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Twitter Blue – aka: Happy Women’s Day!

(Kitschiger ist schwierig.)

Eigentlich wollte ich das in der nächsten Kolumne verbraten, aber es ist erstens zu nischig, als dass es die Leserschaft von tonline über die Maßen interessieren dürfte (ich möchte da ehrlich sein: Warum sollte ich mir meinen erfreulichen Klick-Schnitt versauen?), und zweitens ist es auch zu amüsant. Es brennt mir unter den Nägeln, also jetzt schon mal. Hier in Berlin ist Feiertag (und allein die Tatsache, in diesem Bundesland zu wohnen und andersrum als sonst IMMER einen Feiertag zu haben, während andere den nicht haben, ist für mich Motivation genug, das mal schriftlich festzuhalten), ich warte auf Rückrufe aus STÄDTEN, DIE HEUTE KEINEN FEIERTAG haben, also hab ich Zeit und nutze sie. Kurz zum Anlass des Feiertages, DEN NUR WIR HEUTE HABEN: Es ist Frauentag. Natürlich diskutiere ich Sinn und Unsinn nicht, ich schreibe ja auch keine peinlichen Bücher über supertolle Männer, die viel Geld und Macht haben. „Rage bait“ las ich heute irgendwo dazu als Überschrift, und nickte heftig. Ich glaube, mit jeder Rezension, und sei sie noch so beschämend für die beiden Autorinnen, erreichen diese plus der aus sicherlich guten Gründen nicht ganz so namhafte Verlag dahinter ihr Ziel.

(Sieh mal eine an: Ich dachte, ich hätte nicht mehr so Lust zu bloggen, und nun zerfasere ich. Womöglich ein Schrei meines Unterbewusstseins, doch wieder regelmäßiger hier zu schreiben. „Aber stell mal auf Schwarz-Weiß um“, sagte jüngst Lieblingscutterin Annette, womit sie nicht die inhaltliche Ausrichtung meinte, sondern die optische. Ich weiß, sie hat Recht. Muss aber noch mal kramen, wie ich einst das aktuelle und nicht so lesefreundliche Layout einstellte.)

Zurück zum Thema (ha ha, als wäre ich da schon gewesen. Aber: Mein Blog, mein Langatmigkeitsgrad.). Heute ist Frauentag, und nachdem ich vergangene Woche von einem Freund gesagt bekam, ich würde ja „echt gut aussehen im Video zum Podcast von Stephan Anpalagan“, hat sich meine Ratlosigkeit noch mal vergrößert. Ich hab nix dagegen, gut auszusehen, so isses ja nicht. Aber erstens ist das unser gemeinsamer Podcast (wenn Sie hören möchten: hier entlang, wir freuen uns!), und zweitens: Ach, muss ich ja sicher nicht erklären. Oder lieber doch, mit einer Analogie: Ich möchte bitte zum Frauentag keine Rose und ne Flasche Prosetscho. Danke.

Nun, der Freund sei hiermit entschuldigt, er hat viel um die Ohren. Werfen wir lieber mal einen Blick auf Männer, die ich auch in allergrößter sozialer Not und Bedürftigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie als meine Freunde bezeichnen würde: die Nutzer von Twitter Blue. Ich habe gleich mehrere Fragen und empfehle, sie sich in einer Stimmlage zwischen Belustigung und Baffheit vorzustellen.

Leute, was sind denn das für Menschen? Und, Stichwort Bedürftigkeit: Wie nötig kann man es haben? Sowie: Wie wenig Gespür kann man denn für Bumerang-Effekte besitzen? Man wirkt ja nicht relevant, wenn man das Ding besitzt, sondern wie jemand, der so gerne relevant wäre und das obendrein festmacht an so einem Haken. Streisand-Effekt trifft auch zu, fällt mir auf. Weiter. Für wie doof hält man denn auch andere Leute, dass man glaubt, die lassen sich von so einem Ding blenden und nehmen plötzlich an, dass Inhalte dahinter zurückfallen? Letzte Frage: Warum sind das fast alles Männer?

Kurz was anderes: Kennen Sie den Begriff „Schnitzelkind“? Das meint dermaßen unbeliebte Kinder, dass man ihnen ein Schnitzel um den Hals hängt. Dann spielen wenigstens Hunde mit ihnen. Keine Ahnung, wie ich da jetzt drauf komme.

Happy Frauentag!

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Christine Lambrecht

So wie es aussieht, geht Christine Lambrecht. Nein, sie geht nicht, sie tritt. Zurück. Nachzutreten wäre jetzt billig. Es lassen sich aber Lehren ziehen aus ihrem Social Media-Verhalten als Ministerin. Denn gestolpert ist sie (auch) darüber.

Erstens: Überlegen, warum man Social Media nutzt.

Zweitens: Social Media ist in einem Punkt anders als klassische Medien: Man kann die Leute von dort aus lockerer ansprechen. Man sollte sie sogar lockerer ansprechen. Es bringt weder Usern und – daraus folgend – noch Accountinhabern Zusatznutzen, wenn auf Twitter oder Instagram genau so kommuniziert wird wie in mündlichen oder schriftlichen Pressestatements. Die gute Nachricht: Der Grat zwischen „locker ansprechen“ und „sich anbiedern“ ist nicht so schmal, dass man zwangsläufig ausrutscht. Das Schlüsselwort lautet „authentisch“. Kein schönes Wort, ich weiß. Abgelutscht und oft missbraucht, aber: Kein Wort beschreibt Authentizität besser als „authentisch“.

Drittens: Social Media ist auch in einem anderen Punkt anders als die klassischen Medien: Niemand erwartet perfekte Ausleuchtung, das sterile Ambiente eines Fernsehstudios, fancy Schnitte oder sonstige Perfektion. Einzige Ausnahme: der Ton im Sinne von: Akustik.

Viertens: Der Inhalt muss aber sitzen. Spontan, impulsiv, authentisch – sie alle sind nicht das Gegenteil von „nicht perfekt“. Dieser Irrglaube hält sich hartnäckig. Sich beispielsweise als Ministerpräsident an einer Tanke zu filmen, ohne Stab, ohne Jacket, ohne Krawatte, dabei wütend zu wirken, als wäre diese Aktion eine spontane, impulsive Handlung ohne Vorbereitung, ohne Strategie, ohne Kalkül – das wirkt, wenn man es gut macht, authentisch. Verunglimpft man aber in diesem Video unabsichtlich Menschen, die wenig Geld verdienen, das ist peinlich – und, ganz pragmatisch: strategisch relativ schlecht. Dann gab es womöglich wirklich kein Drehbuch. Und keine Beratung im Vorfeld.

Und damit sind wir bei Punkt 5: das Vier-Augen-Prinzip. Hat sich über Jahrhunderte bewährt, lange vor Social Media. Und besitzt weiterhin Gültigkeit aus naheliegender Gründen. Am besten lässt man jemanden drüber schauen, der einem wohlgesonnen ist und dementsprechend ehrlich. Und sagt: „Besser, du sprichst nicht ausschließlich über dich, wenn du den Krieg in der Ukraine erwähnst, und über die Vorteile, die er dir gebracht hat. Die Leute könnten das richtig falsch verstehen.“

Sechstens: Die Vier-Augen-Regel ist nicht so wichtig, weil: Ist ja nur Internet? Genau deshalb nicht. Nichts versendet sich mehr, wie man lange zu sagen pflegte – und nichts sendet sich dermaßen unkompliziert ganz schnell weiter, potenziert, wie ein Video oder ein Post aus dem oder im Web. Goldene Regel deshalb: Social Media nie unterschätzen – und ebenso wenig die Leute, die sich damit beschäftigen. Weder die Profis (selbst, wenn sie 40 Jahre jünger sind als man selbst. Die kennen keine Welt ohne), noch die Konsumenten. Und erst recht nicht die Wucht.

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Nicht Musk ist das Problem. Wir sind es.

Es ist noch nicht raus, ob Elon Musk nun aufhört als Twitter-Chef oder nicht. Obwohl ich nicht langsam tippe, kann das bis zum Ende dieses Beitrags schon anders aussehen. Zu schreiben, dass Musk erratisch handelt, lässt mich nach nur sieben Wochen mit dem Milliardär an der Spitze des sozialen Netzwerks vor Langeweile beinahe in Sekundenschlaf fallen. Es ist eine Binse, trotz der Kürze der Zeit, in der er dies unter Beweis stellt.

Vor allem aber ist es egal, ob Musk weiter die Geschicke lenkt oder nicht. Es wäre sogar egal, wenn er den Laden direkt wieder verkauft. Denn ein paar Lehren, die wir aus dem Desaster ziehen können, haben wenig mit ihm zu tun. Sondern mehr mit Usern. Egal, wo sie sich tummeln. Und diese Lehren verheißen nichts Gutes.

1. Wir Menschen sind unfassbar naiv. Bis heute finden sich Fanboys (wenn auch in mittlerweile massiv geschrumpfter Zahl), die einen Plan sehen. Ganz zu Beginn der Musk-„Ära“ antwortete jemand auf meinen Tweet, er sei wirklich erstaunt, dass so viele Journalisten die Strategie hinter Musks Vorgehen nicht erkennen würden. Ich bin froh, dass so gut wie keiner der Journalisten, die ich vorher ernstgenommen habe, diese Strategie erkannt haben. Es gibt nämlich keine. Das räumt inzwischen sogar Frank Thelen ein, obwohl der sich in den vergangenen Wochen nicht minder blamiert hat als „Elon“, wie er ihn, beharrlich peinlich Augenhöhe suggerierend, nennt.

2. Wir Menschen bleiben naiv. Nun gehen also ein paar zu Mastodon. Weil dort angeblich alles besser ist als bei Twitter. Da war aber auch so gut wie nie alles gut – dazu gleich mehr – und noch wichtiger: Mastodon weist eklatante Mängel auf. Wie Ann Cathrin Riedel in ihrem Newsletter schreibt, fällt Mastodon zurzeit weder unter das NetzDG noch gilt der DSA.*

Dass intransparent und insofern demokratisch wenig legitimiert ist, wer wann wieso gesperrt wird, wurde ja inzwischen schon öfter betont.

3. Wir Menschen haben kein gutes Mittel- bis Langzeitgedächtnis. Beim Studium der aktuellen Berichterstattung über Twitter unter Musk gewinnt man den Eindruck, dass unter Jack Dorsey alles tippitoppi war. Hass und Hetze Randphänomene, Bots ein zu vernachlässigendes Problem, der Kampf der Plattform gegen solche Auswüchse im Großen und Ganzen erfolgreich. Kurz und knapp formuliert: Es war alles gut, jetzt ist alles schlecht. Das ist halt Quatsch. Es war nicht allzu gut, vieles war überhaupt nicht gut, und jetzt ist es schlimmer geworden.

Unterm Strich macht das nicht viel Hoffnung, zumal keine Alternative zu Twitter am Horizont erscheinen mag. Wie weit wir von der in den letzten Wochen so oft herbeigewünschten zum Beispiel öffentlich-rechtlichen Gegenlösung entfernt sind, zeigt das Streitgespräch im aktuellen Spiegel zwischen Noch-ARD-Chef Tom Buhrow und seinem Nachfolger, SWR-Intendant Kai Gniffke: Der sagt doch allen Ernstes, der ÖRR dürfe sich nicht abhängig machen von sozialen Netzwerken. Tja. Schade. In Teilen ist dieser Zug längst abgefahren.

Macht aber nix: Es ist schwierig, in diesen Tagen altbacken zu wirken – zumindest neben dem Ministerium für Infrastruktur und – ACHTUNG: Digitales! – von Sachsen-Anhalt: Das hat sich vergangene Woche einen Twitter-Account zugelegt. Keine Ahnung, wie ich jetzt drauf komme, aber ich hätt mal wieder Lust auf „Good Bye Lenin!“

* Eine sehr lesenswerte Ausgabe, wenngleich ich über zwei Punkte gestolpert bin: Erstens ist die Ursache für das AquaDom-Desaster noch nicht geklärt. Und zweitens geht die Arbeit von uns Journalisten über das bloße Schreiben ja sehr hinaus, weswegen ich die Fragestellung zu ChatCPT irreführend und kurz gegriffen finde.

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2022, an zwei Schicksalen erzählt.

Margit.

Margit ist eine liebe Bekannte in den Sechzigern. Zwei ihrer Kinder und vier Enkel leben in Japan. Letztes Jahr (Corona) musste Margit zittern und dann sehr kurzfristig abreisen, um ihre Liebsten über Weihnachten sehen zu können: Die japanische Botschaft rief sie an und sagte: „Sie haben ja Ihr Visum. Reisen Sie lieber jetzt, das Zeitfenster schließt sich vermutlich schnell wieder. Bald kommt niemand mehr rein!“

Dieses Jahr ist das nicht so kompliziert. Japan ist auch gelassener geworden, die Zahlen und die Schwere der Infektionen geben das aus Sicht der Regierung her. Heute Morgen ist Margit abgereist in Richtung Tokio. 15 Stunden wird sie insgesamt in Flugzeugen sitzen. Dazu gleich noch mehr.

Eigentlich wollte sie sich am Samstag von ihrem dritten Kind, ihrem Sohn, und seiner Familie, die hier in Berlin leben, verabschieden. Ging nicht: Seine Frau und alle drei Kinder haben seit einer Woche 40 Fieber. Kein Arzt kommt. Ins Krankenhaus wollen sie nicht, weil ihnen dort nach Aussage am Telefon bis zu 12 Stunden Wartezeit drohen. Die Familie hat ein Wochenendhaus auf dem Land. Werde es bis Mitte dieser Woche nicht besser, packe er die vier Patienten ins Auto und fahre mit ihnen dort hin, sagt Margits Sohn. Dort seien die Kliniken und Praxen vielleicht nicht so überlaufen. Hier in Berlin müsse man in Anbetracht einer Warteschlange auf dem Bürgersteig inzwischen schon raten: Kinderarztpraxis oder Wohnungsbesichtigung?

15 Stunden also wird Margit unterwegs sein. Normalerweise kostet sie die Reise neun Stunden. Jetzt aber herrscht Krieg. Die Route spart Russland aus.

Anna.


Anna ist meine Friseurin. In den Hochzeiten von Corona wurde es eng für sie. Der Laden verschlang weiterhin Miete, brachte aber keine Einnahmen. Anna schrieb ihre Kunden irgendwann an und bat um Spenden, um den Salon weiter halten zu können. Es klappte.
Anna öffnete den Laden wieder, als es ging. Verlor eine Mitarbeiterin, die sich inzwischen anderweitig orientiert hatte. Nicht innerhalb der Branche; sie arbeitet jetzt nicht mehr als Friseurin. Eine gute Nachfolge fand Anna nicht. Der Fachkräftemangel – und: die hohen Mieten. Die sind dort, wo Annas Laden sitzt, sehr hoch. Anders als das Einkommen als Friseurin. Sprich: Die Arbeitswege sind weit. Da fangen die Leute lieber im Salon im selben Kiez an, in dem sie auch wohnen.

Und auch als es keine Lockdowns mehr gab, gab es dennoch noch Corona. Kunden, die sehr kurzfristig absagten. Also unabsehbare Einnamen bzw. wegbrechende Einnahmen. Anna legte deshalb ihre Kunden immer möglichst auf einen Tag. Und wenn dann in der Kita ihrer kleinen Tochter wieder Ausnahmezustand herrschte und Anna ihr Kind zu Hause betreuen musste, brach direkt ein Batzen Geld weg.

Dann kam die Energiekrise. Anna musste die Preise erhöhen. Und hatte wieder Sorgen, dass Kunden das nicht mitmachen.

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Die absurdeste Digitalgeschichte 2022

F., der Mann meiner Freundin N., hat sein Abo für den Öffentlichen Personennahverkehr bei der hiesigen Verkehrsgesellschaft (BVG) gekündigt. Und wollte das dann wieder rückgängig machen. Freundin N. schilderte mir den Vorgang heute via Sprachnachricht. Diese habe ich transkribiert. Lesen Sie im Folgenden den Super-GAU: Wenn Berlin auf Digitalisierung trifft. Spoiler: Zwei Minus ergeben nicht immer automatisch ein Plus.

„Ich hab deine Kolumne gelesen zur Digitalisierung. Da musste ich heute dran denken, als F. mir erzählt hat, wie das mit seinem BVG-Abo gelaufen ist. Er hat es gekündigt, dann wollte er die Kündigung zurücknehmen. Dann hat er eine Mail geschrieben an info@bvg.de, weil er auf deren Seite diese Mailadresse gefunden hat. Dann hat er eine Eingangsbestätigung bekommen und nichts mehr gehört. Dann hat er heute noch mal auf seinen Account geguckt und fand dort plötzlich einen Button ‚Kündigung stornieren‘. Darauf hat er geklickt. Daraufhin ist nichts passiert. Dann hat er lange auf der Seite gesucht, bis er eine Nummer gefunden hat, wo er anrufen konnte. Da kam er beim ersten Mal zu einer Bandansage, wo gesagt wurde: ‚Wählen Sie die 2, wenn Sie eine Person sprechen wollen‘, dann drückte er die 2. Dann kam er wieder zu einer Bandansage zurück, wo gesagt wurde: ‚Drücken Sie die 1 oder die 3, hier ist Ihre freundliche Telefonstimme‘, also ist quasi nichts passiert. Dann hat er noch mal angerufen, unter derselben Nummer. Da kam dann eine andere Bandansage, und er wurde tatsächlich zu einer Person durchgestellt, die ihm dann erzählt hat, dass die Mailadresse info@bvg.de gar nicht mehr aktiv ist und ins Leere läuft. Als F. dann gesagt hat, dass die aber im Impressum steht, sagte der Mensch am Telefon: ‚Ach ja, das muss ich mal weitergeben‘, und irgendwie hat es dann funktioniert, aber er musste auch mit seiner Kundennummer etwas rumspielen, weil die angegebene Kundennummer nur dann funktioniert hat, wenn man die ersten vier Ziffern weggelassen hat.“

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Pöbeln, aber richtig

  1. Sie wollen jemandem nachweisen, dass er oder sie mit zweierlei Maß misst? Recherchieren Sie.
  2. Sie wollen jemandem nachweisen, dass er oder sie einen Fehler gemacht hat? Recherchieren Sie.
  3. Sie wollen jemandem nachweisen, dass er oder sie etwas verschweigt? Recherchieren Sie.
  4. Sie wollen jemandem nachweisen, dass er oder sie sich selbst widerspricht? Recherchieren Sie.
  5. Sie wollen jemandem nachweisen, dass Sie cleverer sind als er oder sie? Seien Sie es.
  6. Sie wollen jemandem ausschließlich aus Antipathie einen reindrücken? Verzichten Sie auf die Recherche. Zeitverschwendung. Ihnen werden trotzdem Leute applaudieren.
  7. Sie wollen einfach nur Recht behalten? Verzichten Sie auf die Recherche. Zeitverschwendung. Ihnen werden trotzdem Leute applaudieren.
  8. Sie wollen einfach nur Applaus? Dann ist egal, was Sie schreiben. Entscheidend ist das Wie. Direkt angreifen, Behauptung aufstellen, die irgendwelches Schubladen-Denken erfüllt – wenn nicht, auch nicht so schlimm – und entschlossene Satzzeichen verwenden. Punkte oder gar Fragezeichen sind was für Mastodon.
  9. Sie wollen Applaus von den billigen Plätzen? Berücksichtigen Sie Punkt 8, addieren Sie ressentimentgeladene Aussagen und vermeiden Sie Fremdwörter wie „Ressentiment“.
  10. Ihnen ist es nicht egal, woher der Applaus kommt? Befolgen Sie die Punkte 1 bis 5. Und, ganz wichtig auch: Können Sie diese nicht befolgen, twittern Sie nicht. Fällt schwer, ist aber möglich.
  11. Sie wollen sich komplett zum Idioten machen? Vermeiden Sie unbedingt die Punkte 1 bis 5.
  12. Sie wollen sich noch mehr zum Idioten machen? Geben Sie sich den Anschein, die Punkte 1 bis 5 berücksichtigt zu haben. Liefert Ihnen jemand den Gegenbeiweis, stellen Sie halt auf Durchzug. Twittern Sie weiter, aber einfach nicht mehr direkt mit oder zu der von Ihnen angepöbelten Person. Ihnen werden trotzdem Leute applaudieren.
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Nazis raus oder rein? Elon Musk, die 300.

Ein bisschen hat es ja nun doch gedauert, bis Elon Musk Kanye West bei Twitter gesperrt hat. (Moooomentchen – ja, Stand jetzt, 3. Dezember, 16:48 Uhr, ist er noch gesperrt. Man muss schwer auf Zack sein, seitdem Musk Twitter leitet, und das ist nicht als Kompliment gemeint.)

Adidas war schon früher auf die Idee gekommen, sich von West zu trennen. Musk hatte den aufgrund antisemitischer Tweets gesperrten „Ye“ wieder zurückgelassen auf die Plattform. Jetzt aber hat West in einem bizarren Interview durchaus lobende Worte für Adolf Hitler gefunden und er hat ein Hakenkreuz in Verbindung mit einem Davidstern getwittert, sodass dass er derzeit (!) nicht mehr mitmachen darf. „Aufruf zur Gewalt“, lautet der Grund.

Eine gute Idee von Elon Musk. Nazi-Symbole und -Parolen, Antisemitismus – geht nicht. Mark Zuckerberg hat nach jahrelanger Weigerung dann doch irgendwann eingesehen, dass die Leugnung des Holocaust in den USA zwar legal ist, er sie aber trotzdem auf seinen Plattformen in Anbetracht des weltweit wachsenden Antisemitismus nicht weiter dulden sollte.

Also, noch mal: West zu sperren, ist eine gute Idee von Elon Musk.

Aber.

Lassen wir hier mal beiseite, dass West an einer bipolaren Störung leidet und nach Einschätzung mancher nicht mehr an dem gemessen werden darf, was er sagt. (Ich möchte das nicht anzweifeln, um das deutlich zu machen, und ich möchte eine solche Erkrankung auch nicht kleinreden. Es ist hier nur nicht entscheidend.)

Und lassen wir auch mal beiseite, dass Musk ja bekannt dafür ist, Entscheidungen schnell und schmutzig, oder sagen wir es deutlich: Gerne wohl dermaßen überhastet zu treffen, dass er sie dann auch rasch wieder rückgängig macht. Es ist jetzt schon legendär, dass er Leute wieder einstellen wollte/musste, die er nur wenige Tage zuvor gefeuert hatte. Legendär. Dabei ist es gerade mal fünf Wochen und ein paar Zerquetschte her, dass er mit einem Waschbecken in der Twitter-Zentrale einmarschierte.

Der entscheidende Punkt ist: Warum lässt Musk dann im Rahmen seiner via Twitter-Umfrage entschiedenen Amnestie führende Neonazis zurück auf seine Plattform, wie der Rolling Stone berichtet? Darunter einer, der schreibt, viele Menschen seien der Ansicht, „die Juden sollten ausgerottet werden“ (ein einigermaßen kluger Schachzug, es so zu formulieren, als würde er nicht zu diesen Leuten gehören, dabei aber offen zu lassen, wie er zu dieser unglaublichen Aussage steht. Eine Verdammung lese ich da nicht raus. Im Kontext damit, dass er laut Rolling Stone regelmäßig den Holocaust leugnet, fällt mir das noch schwerer. Außerdem schrieb der Mann 2018, er hasse Frauen. Sie gehörten vergewaltigt und in Käfige gesperrt.

Aufruf zur Gewalt? Ist das anscheinend nicht.

Er und andere sind nun also wieder da. Vielleicht bin ich zu spitzfindig, aber ist da der Schritt zur Relativierung von Adolf Hitler dermaßen groß, dass man Kanye West sperren, solche Leute aber – nein, die Frage muss ich nicht zu Ende stellen, sie ist ja absurd genug.

Es ist nicht nachvollziehbar. Es ist nicht so, dass Twitter Accounts sperrt, die gegen die Regeln verstoßen. Das liest man zwar aktuell, ruft man Wests Account auf. Aber es scheint ja keine allgemeingültigen Regeln mehr zu geben, keine objektiven Maßstäbe. Jemand lenkt Twitter, der sich rationalen Gedankengängen und Entscheidungen nicht verbunden fühlt. Man muss das immer wieder festhalten, damit es sich nicht abnutzt. Denn das ist brandgefährlich.

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Zu Gast bei „13 Fragen“ – oder: Was an…

Diese Woche hatte ich die Ehre und das überraschend große Vergnügen, Gast bei „13 Fragen“ zu sein. Thema, nicht allzu überraschend: „Twitter – gehen oder bleiben?“

Wir waren sechs Leute, zwei (grob) gesagt, Meinungen. Sechs Gäste, von denen sich fünf aktiv auf Twtter tummeln oder zumindest getummelt haben. Gäste, die Kontroverse gewohnt sind, auch qua Beruf. Und, das ist wichtig: Sechs Gäste, die sich für einen respekvollen Umgang in den sozialen Netzwerken aussprechen.

So, und nun die oben schon erwähnte Überraschung: Wir waren alle überrascht und beseelt, das lässt sich in der ein oder anderen Instagram-Story noch nachlesen und auch in Tweets, wie gelingend kontroverse Debatten verlaufen können. Wie freundlich, wie verbindlich.

Das finde ich ganz schön traurig.

Ich sehe das nicht nur an uns, die wir uns so freuen, zugehört zu haben, gehört worden zu sein, und vor allem: ernstgenommen und respektiert. Wenngleich wir uns auch auf keine gemeinsame Lösung der Frage wirklich einigen konnten.

Ich lese das aber auch in Blogs, in Tweets, ich höre das inzwischen auch in Gesprächen: dass Leute sich schon im vorauseilenden Gehorsam gegen mögliche und seien es noch so absurde Einwände gegen das von ihnen Geschriebene und Gesagte wappnen. Je nach Temperament stellen Sie schonmal vorab und ziemlich bestimmt, weil durch diverse ätzende Erfahrungen verständlicherweise genervt, Dinge klar. Oder aber sie führen ihre Ausführungen noch weiter, bis Viertel vor grotesk manchmal, aus. Oder sie fügen direkt an, dass sie natürlich wissen, dass man jetzt zwischen den Zeilen möglicherweise mit ganz viel Anstrengung auch noch dies oder jenes herauslesen könnte. Sie aber eigentlich lediglich eine Szene aus ihrem Alltag schildern wollten, subjektiv, natürlich, ohne damit irgendjemanden aktiv oder passiv aggressiv zu meinen, etwa durch nonmetioning.

Und ich sehe die Kommunikation auf Mastodon – ganz subjektiv, in meiner Timeline, es kann bei Ihnen natürlich völlig anders aussehen. Und falls ich Ihnen dort folge, könnte es sein, dass ich Sie im Folgenden auch meine, könnte aber auch sein, dass nicht. Und falls ja: Ich kritisiere nicht Sie als Person, sondern ich kritisiere allgemein und voller Respekt einen Aspekt, den ich (subjektiv!) dort wahrnehme.

In meinem Mastodon, wo ich natürlich ausschließlich Leuten folge, deren Gebaren auch schon auf Twitter meinen individuellen und keineswegs allgemeingültigen Ansprüchen an zugewandte Kommunikation entsprachen. Noch mal: meinen. Es müssen nicht Ihre sein. Ich möchte Ihnen nichts verbieten. Selbst wenn ich es könnte. Ok, dann vielleicht doch, aber ich kanns halt nicht.

In diesem meinem Mastodon also sehe ich diese Leute, die ich zum Teil schon seit Jahren von Twitter kenne, anders kommunizieren als dort. Wo sie ja wie erwähnt auch schon völlig ok (meine Meinung, keine Anmaßung) kommuniziert haben.

Mastodon wirkt auf mich wie auf Watte. Wie eine relativ extreme Gegenreaktion auf den relativ harschen Ton, der auf Twitter und anderswo so nervt. (Nein, ich bin nicht neidisch auf Elon Musk; ich weiß, dass Twitter auch vor ihm schon problematisch war, ICH HABE EIN BUCH DARÜBER GESCHRIEBEN, HERRGOTT).

Tschuldigung, geht schon wieder.

Zieht man das Heischen um Markierungen und den Karriere-Faktor ab, erinnert mich Mastodon in seiner Tonalität sehr an LinkedIn und das ältere Instagram. Wo immer alles ganz, ganz super ist. Wo Fynn Kliemann sagt: „Ach so, sorry, war nicht korrekt von mir“, und dann klatschen ihm ganz viel Leute Beifall fürs Entschuldigen. Jedem würden doch mal Fehler passieren. Schwamm drüber! In diesem Zusammehnag erwähnte jemand „Toxische Positivität“, und das fand ich sehr treffend. Durch Reibung – Achtung, wichtig: nicht durch Anbrüllerei oder strategisches Missverstehen – entstehen gute Beziehungen, hab ich mal gelernt. Durch Bussi Bussi eher nicht.

Es gibt etwas dazwischen, immer noch. Das haben wir alle am Dienstag bei der Aufzeichnung von „13 Fragen“ gesehen.

Und das finde ich schön. Nun stellt sich „nur“ noch die Frage, wo wir das digital erleben können. Ich hab leider keine Antwort darauf. Aber ich höre nicht auf, nach ihr zu suchen. Das kann ich anbieten.

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Der goldene Mittelfinger

Soziale Medien als Frau? Nicht einfach. Soziale Medien als übergewichtige Frau? Ätzend. Vor allem, wenn man Sport treibt. Katastrophal wird es, wenn man professionell Sport treibt.

Diese Erfahrung musste Ash Pryor dieser Tage machen. Ash Pryor arbeitet für ein Unternehmen, das Sportgeräte für zu Hause anbietet, nebst dazugehörigen Onlinekursen. Dieses Unternehmen setzt auf Social Media, sehr stark sogar, und es setzt auf die Personalisierung seiner Trainerinnen und Trainer. Diese verknüpfen ihre Präsenzen bei Instagram, Facebook usw. sehr stark mit ihrem Job bei dem Unternehmen. „Privat hier“ ist da nicht gewünscht. Im Gegenteil – diejenigen, die auf den Bildschirmen der Kunden Spinning unterrichten oder Yoga oder etwas anderes, sind sogar dazu angehalten, ihre Kanäle auch im Sinne der Firma zu nutzen. Dahinter steckt der Gedanke, man sei eine große Familie, eine Community, die gemeinsam Sport macht und nett zueinander ist.

Nun zu Ash Pryor. Sie wird demnächst als Trainerin für das ebenfalls demnächst einzuführende Rudergerät arbeiten. Ein paar Daten: Ash Pryor trägt Größe 44. Ihre Sporthose hat Größe L, ebenso ihr Oberteil. Ihr Sport-BH ist eine XL. Finden Sie egal? Ob ich verrückt geworden bin, fragen Sie sich? Nein, ich nicht. Mir ist das auch egal. Vielen anderen aber nicht.

Nachdem Ash Pryor nämlich auf den Social Media-Kanälen ihres Arbeitgebers vorgestellt worden war, drehten dort einige durch. Ein Shitstorm entspann sich. Das Stichwort lautet „Bodyshaming“. Ich finde ja, dass wir längst aus der Phase raus sind, in der sich selbst die von den sozialen Netzwerken Lichtjahre Entfernten kein Bild vom dort teilweise herrschenden Ton machen können. So oft und so viele Entgleisungen, die dort ständig zu lesen sind, wurden mittlerweile zitiert und diskutiert. Das ist gut, denn das Problem muss in seiner Dimension ja verdeutlicht werden. Aber, wie gesagt: Das ist es inzwischen hinlänglich. Man muss da aufpassen, dass man nicht (wenn auch oft unfreiwillig) voyeuristische Gelüste bedient. Dieser Kipppunkt ist erreicht. Deshalb hier keine Beispiele oder Zitate, Sie alle können sich ja leider vorstellen, was da zu lesen war.

So. Und Ash Pryor hat sich offensichtlich viel dazu durchgelesen. Sie wird damit gerechnet haben, dass es unangenehm wird. Wie gesagt: Wir alle kennen das ja nun. Aus eigenem Erleben oder aber durchs Mitlesen oder Darüber-Lesen. Und eine Frau mit den oben angegebenen Kleider-Größen erlebt es öfter auch im Analogen, mies behandelt zu werden. Und wenn sie dann nicht nur Sport treibt, sondern sogar Sport trainiert, erst recht. Nur war es, schreibt Ash Pryor auf Instagram, dieses Mal auf Facebook schlimmer als sonst. Schlimmer also, als befürchtet.

Diese oben angegebenen Kleidergrößen kenn ich nicht, weil ich sie aus großem Interesse recherchiert habe. Pryor selbst hat sie auf Instagram gepostet, nachdem auf Facebook die Hölle losgebrochen war. Ash Pryor hat einfach den nächsten logischen Schritt gemacht, nachdem sie sich vor längerer Zeit für eine Karriere im Sport und dann auch noch für eine Karriere bei einem sehr nach außen sichtbaren, von der digitalen Vernetzung mit der Außenwelt ja komplett abhängigen Unternehmen entschieden hat. Sie ist in die Offensive gegangen. Und zwar sehr elegant: Sie hat deutliche Worte auf Instagram gerichtet – nicht aber, und das ist das Überraschende, an denjenigen, die sie beleidigt haben. (Bei denen es sich ihr zufolge „ironischerweise [um] Männer mit Profilbildern, auf denen sie mit ihren Frauen und Töchtern zu sehen sind“ handelt.)

Sondern an diejenigen, die sie nicht beleidigt haben. Die sie ermuntern will, cool zu sein. Unbeirrbar. Ihnen schreibt sie:

„(1) keep fucking going

(2) ich verspreche dir, dass du dich am Ende des Weges fühlen wirst, wir du dich noch nie zuvor gefühlt hast,

(3) wenn du anfängst, selber Entscheidungen zu treffen, wirst du aufhören, dich mit den Leuten zu beschäftigen, die sich gegen dich entschieden haben,

(4) es ist einfach, andere zu kritisieren, wenn du nicht in der arena stehst. lass sie reden, während du arbeitest.

(5) und schließlich: dafür, dass sie so entsetzt von dir sind, beschftigen sie sich ziemlich viel mit dir und widmen dir viel ihrer zeit“

Sensationell vorbildlich, oder? Sich gar nicht erst abzuarbeiten an den Niederträchtigen. Sondern sie als Rampe zu nutzen. Um anderen Mut zu machen. Aus ihrem Shit einen goldenen Mittelfinger. Social Media als Bumerang.

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Wer zuletzt lacht – eine Geschichte über Einzelhandel, Onlinehandel…

Vergangene Woche hatte ich mir freigenommen und wollte Schuhe kaufen. Schwarze Stiefeletten ohne Absatz, Größe 40. Wie durchschnittlich kann man sein? Ich: Ja!

Ich wollte alles richtig machen und im Laden einkaufen. Den Einzelhandel unterstützen, der unter Corona und Inflation und ja sowieso unter Online-Konkurrenz ächzt. Also trotzte ich Wind, Wetter und Weicheierei und zog los. Nach draußen. Ins analoge Einkaufsvergnügen.

Moment. Sagte ich: „Vergnügen“?!

Laden 1: Hatte zu. Wir reden hier nicht von einem ausgefallenen Designerladen mit Einzelstücken; wir reden von einer Kette in einem Einkaufszentrum. Wie unglamourös kann man sein? Ich: Ja!

Im Schaufenster des Schuhgeschäftes hingen die Öffnungszeiten. Die aber offensichtlich nur als eine Idee gedacht waren, als eine Leitplanke, vielleicht auch als ein Vorsatz. Es hätte nämlich offen sein müssen. Uhrenabgleich undsoweiter. Gut, nach 17 Jahren Berlin wundert mich sowas nicht mehr, also zog ich einfach weiter.

In ein Kaufhaus. Dort gab es sehr viele schwarze Chelsea Boots in der Schuhabteilung, ich probierte wohlgemut an. Und probierte an. Und probierte an. Eine Verkäuferin oder einen Verkäufer erblickte ich nicht. War aber nicht schlimm, ich bin ja schon groß. Nach einiger Zeit schob sich dann aber doch eine Mitarbeiterin in mein Blickfeld, schaute auf die zirka acht Kartons und Einzelschuhe neben meinem Stuhl und sagte spitz: „Na, hier sieht’s ja aus!“

Nach 17 Jahren Berlin – Sie wissen Bescheid, man passt sich an, ich reagierte entsprechend sachlich. Es lohnt sich ja nicht, zudem droht der Kaufhauskette gerade zum etwa 20. Mal die Insolvenz, also: Nachsicht. „Haben Sie den hier in 40?“, fragte ich deshalb freundlich zugewandt. „Steht der da vorne in 40?“, lautete die Antwort. Da hatte die Tonlage bereits vom Spitzen ins Schnippische gewechselt. Ich wechselte auch, vom Netten ins Stoische und sagte: „Nein, da habe ich dieses Paar ja hergeholt. Haben Sie den denn vielleicht noch auf Lager?“ Antwort: „Glaub ich nicht.“

Ich wechselte wieder, vom Stoischen ins Eine-Augenbraue-Hochgezogene und fragte: „Könnten Sie bitte mal nachsehen?“ Antwort: „Jetzt nicht, ich komme gerade aus dem Lager.“

17 Jahre Berlin. Da ist man hart im Nehmen, da ist man aber auch abgebrühter. Ich wechselte also in „Ich lass mich hier doch nicht veralbern“, lächelte die Frau an und sagte: „Gut, dann bestelle ich den Schuh jetzt online. Von hier aus. Draußen ist ja so schlechtes Wetter, und ich brauche den Schuh schnell.“ Die Stille danach hielt ich gut aus, ich war ja mit Bestellen via Smartphone beschäftigt, und irgendwann zog die Frau von dannen.

Das war an einem Mittwoch. Donnerstagabend bekam ich gegen 20 Uhr eine Mail: Leider sei ich nicht zu Hause, der Schuh deshalb mit dem Paketservice wieder abgereist. Ich war die ganze Zeit zu Hause, aber gut, das kennt man ja auch.

Am Samstag dann klingelte mittags ein Paketbote, drückte mir eine große Versandtasche in die Hand, ich öffnete sie, mich bereits wundernd ob des spürbar fehlenden Schuhkartons – und dann packte ich erstaunt dies aus:

Eine pinke Decke, wie man sieht. (Wie man hier nicht sieht: eine fleckige pinke Decke.) Nun war ich gerade auf dem Sprung zu einer Verabredung im Freien und hätte die Schuhe SUPER gebrauchen können. Nicht aber eine etwas ekelhafte Decke. Der Streifen, mit dem man die Pakettasche bei Unzufriedenheit und Rücksendungs-Aktion wieder zukleben kann, war schon vom Schutzpapier befreit. Jemand hatte sich wohl während der Versandweg-Kette in die Schuhe verliebt und trägt sie jetzt.

Ich rief den Online-Bestell-Dienst an. Dort war man sehr, sehr nett zu mir. Geld wurde sofort storniert, Gutschein wurde geschickt, es wurde sich entschuldigt. Service halt. So wie man ihn kennt. Wenn man zum Beispiel nicht in Berlin lebt.

Stunden später kam ich von meinem schönen Ausflug zurück, erholt und gutgelaunt, und bereit für den dritten Versuch. Ich suchte die Schuhe erneut – inzwischen um 30 Euro reduziert. Dann haute ich Sparfuchs noch den Gutschein drauf – tja. Ich will nicht sagen, dass ich jetzt noch Geld rauskriege für meinen Kauf, aber ich hab ein Schnäppchen gemacht, so weit würde ich schon gehen. Karma, Baby!

(A propos gehen: Jetzt müssen sie nur noch ankommen, die Schuhe. Ich bleibe optimistisch!)