„Es ist nahezu unmöglich, den aktuellen Stand zusammenzufassen, ohne kurz darauf schon wieder von der Realität überholt zu werden.“ Julia Jäkel schreibt in der Süddeutschen über Twitter unter Musk. Das ist bemerkenswert, zumal die Online-Süddeutsche den Gastbeitrag (Paywall) der ehemaligen Chefin von Gruner & Jahr sogar zum Aufmacher machte. Jäkels Kernbotschaft, unmissverständlich zusammengefasst in der Überschrift, lautet: „Stoppt Elon Musk“.
Dafür ist es wohl ein wenig zu spät. Ja, Werbetreibende haben jetzt zum Teil erstmal aufgehört, auf Twitter zu werben. Ich kann mich aber noch bestens erinnern, wie schnell der Facebook-Boykott immens großer Unternehmen wieder vorbei war. Und die hatten einen handfesten Grund für ihre Aktion angegeben: Sie warfen Facebook vor, aufgrund seiner miesen Moderations-Policy einen nicht geringen Anteil zum Tod von George Floyd beigetragen zu haben. Wie gesagt: Man kehrte nach wenigen Wochen wieder als Kunde zu Facebook zurück.
Unternehmen wollen Geld verdienen, Mastodon verhält sich zu Twitter wie der Fiat Panda meiner Schulfreundin Ilka, aus dem alle Mitfahrerinnen aussteigen mussten, weil er es sonst nicht mal auf nun auch nicht so hohe sauerländische Berge geschafft hätte, zu einem Tesla. Noch – wer weiß – ist Mastodon ein Liebhaberstück und ein Statement. Aber keine Alternative zu Twitter.
Und trotzdem, auch wenn man zur Glas-halb-leer-Sicht neigt: Jäkel fragt, wie es sein kann, „dass wir bis jetzt keinen Gesetzesrahmen erlassen haben, der so eine Entwicklung verhindern kann“, also dass jemand allein über ein solches Netzwerk herrscht. Was ja selbst im Falle eines nicht so „quirligen“, wie die NZZ Musk irritierend verniedlichend charkterisiert, Typen schlicht schlecht wäre.
Alleinherrschaft ist immer schlecht.
Aber Jäkel fragt eben. Und so viele andere Medien gehen ähnlichen Fragen nach, ebenso die Politik. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass dieses U-Boot-Verhaltensschema – immer dann auftauchen, wenn sich oben was Unüberhörbares tut – aufhört. Und endlich eine Debatte darüber in Gang kommt, was Alternativen (PLURAL! Nicht nur bei Energielieferanten sollten Abhängigkeiten vermieden werden!) sein könnten und wie Demokratien ihren Teil dazu beitragen können, sie von Anfang an so einzuhegen, dass sie keinen exorbitanten Schaden anrichten.
Denn was auch aufhören muss: diese jämmerliche Blaupausen-Rhetorik. Es sind nicht mehr neue Medien, es sind nicht mehr immer neue Probleme, die auftauchen. Es sind nur immer mehr, weil die nach und nach neu auftretenden und alternden nicht gelöst werden und sich zu Bergen auftürmen.
Es gibt gerade sehr gute Gründe, Twitter zu verlassen.
Grund Nummer 1: Elon Musk feuert Leute. Mal eben, einfach so, knallhart. Ja, man kann sagen, dass das in den USA und wohl speziell in der Branche so Usus ist. Aber will man jemand sein, der oder die dieses Argument gelten lässt?
Grund Nummer 2: Elon Musk feuert Leute, die für Ethik zuständig sind. Die UN ist bereits auf dem Plan. Nun kann man sagen: Bitte, wir sind auch alle bei Instagram und nutzen WhatsApp. Und nur weil Elon evil ist, ist Mark Zuckerberg ja nicht plötzlich legitimer Anwärter auf Heiligsprechung. Aber will man jemand sein, der oder die dieses Argument gelten lässt?
Grund Nummer 3: Musk lässt sich von Rechten anfeuern und feuert Rechte an mit seiner Definition von Meinungsfreiheit, die er jedoch zum Beispiel nicht so weit fasst, wenn er als Objekt involviert ist. Nun kann man sagen: Gerade deshalb bleibe ich hier, als Teil eines Bollwerks. Aber will man jemand sein, der oder die dem naiven Glauben anhängt, etwas bewirken zu können?
Man könnte nun also sagen: Ich verlasse den Bums. Sollen die mal schön machen, soll 8 Dollar für ein Abo inklusive blauem Häkchen bezahlen (falls Sie jemand sein wollen, der oder die mir jetzt wirklich und wahrhaftig erklären will, dass es ein weißes Häkchen auf blauem Grund ist – das haben Sie super gemacht, danke schön!) wer will und für wen es sich tatsächlich auszahlt, ich würde das jetzt gar nicht per se ausschließen, aber als Privatperson oder dieses Zwitterwesen, die Leute wie ich da sind, ist das doch Kokolores. Ich zahle kein Geld dafür, dass sich jeder Hanselpansel den blauen Haken kaufen kann und so tun, als hätte er Ahnung und Anstand und Relevanz.
Man könnte also den eigenen Account da dicht machen und komplett migrieren zu Mastodon. (Falls Sie jemand sein wollen, der mir jetzt wirklich und wahrhaftig mit der Fediverse-Definition kommen möchte: nein danke, aber super!) Es wäre konsequent, und wir möchten ja wahrscheinlich alle konsequent sein und dem doofen Musk vielleicht auch auf diese Art und Weise den Mittelfinger zeigen. Oder eben, indem wir dortbleiben.
Man will ja klar sein, man will, um es auf Coronadeutsch zu formulieren, wenn schon nicht vor der Welle sein, dann aber doch wenigstens keinesfalls hinter ihr.
Nur leben wir in keiner perfekten Welt, und ich finde, dass Musk eine gute Schablone insofern abgibt, als man sich von ihm fabelhaft abgrenzen kann, indem man sagt, dass man nicht albern sein will. Ich für meinen Teil, bitte seien Sie jetzt niemand, der oder die etwas schnell persönlich nimmt und sich sich schnell angegriffen fühlt, fände es albern, jetzt direkt Nägel mit Köpfen zu machen. Deshalb bin ich bei Mastodon und bei Twitter. Ich gucke mir erstmal weiter an, was bei Twitter passiert und schüttle ab und zu fassungslos den Kopf. Dasselbe tue ich aber bei Mastodon, weil das technisch und optisch und in Sachen Usability auch nicht so recht ernstgemeint sein kann. Vielleicht ist das jetzt die Transition. Was weiß ich.
Ich kann ganz schnellen Entscheidungen gerade nur den ausgestreckten Mittelfinger zeigen. Und diesem Hang zur Selbstinszenierung mancher, die jetzt mit großem Getöse bleiben oder aber auch gehen. Das wenigstens ist konstant gleichgeblieben, der Hang zur heroischen Pose. Dafür bin ich aber zu bequem. Und, ja klar, warum drumrumreden, zu eitel. So schnell geb ich meine Community nicht auf. Alles andere wäre doch gelogen, und das nervt mich auch. Schönen Sonntag!
Ich bin ein Schussel. Nicht in einem lustigen, charmanten Ausmaß, mit dem man kokettieren kann, weil man sich eigentlich total super findet, aber für menschlich mit kleinen Fehlern gehalten werden möchte, weil es dort oben an der Spitze ja bekanntlich sehr einsam ist.
Sondern in einem manchmal riskanten, manchmal auch teuren und für mich anstrengenden Ausmaß. Manchmal, nicht selten, lasse ich versehentlich über Nacht den Schlüssel außen in der Tür stecken. Neuerdings steige ich auch gerne aus dem Auto aus und vergesse den Schlüssel im Zündschloss.
Vorgestern habe ich ZU ZWEI UNTERSCHIEDLICHEN TAGESZEITEN meine Brillen verloren. Meine Lesebrille vormittags, meine Gleitsichtbrille nachmittags. Ohne kann ich nicht mehr lesen. Es regt mich auf, dass ich schon wieder Geld ausgeben muss, das noch bei mir wäre, wäre ich konzentrierter. Zudem wird sich weder das eine (Zerstreutheit, die ist nämlich angeboren) noch das andere Problem (schwindende Sehkraft) lösen: Vorgestern Abend beim Optiker fächelte ich mir kurz hektisch Luft zu, als ich meine aktuellen Dioptrien erfuhr. Rasant ist das Schlüsselwort.
Ebenso verfuhr auch meine Optikerin. Ich hatte wohl ziemlich deutlich gemacht, wie unerträglich ich den Gedanken finde, die kommenden Tage mit meiner (geschliffenen) Sonnenbrille im Büro zu sitzen. Also konnte ich schon gestern meine neue Brille abholen. (Es ist der beste Laden. Auf Nachfrage empfehle ich ihn gern weiter.)
Während die Brille noch ein bisschen enger gemacht wurde, plauderte ich mit dem Optiker. Dem geht es gut, sagt er: Er sei jetzt bei Mastodon und könne sich jetzt endlich abends wieder Nachrichten durchlesen, ohne Puls zu kriegen. Twitter habe er verlassen.
Ich bin auch bei Mastodon, habe Twitter aber nicht verlassen und werde das auch nicht tun. Es sei denn, alle Kabinettsmitglieder ziehen auch rüber zu Mastodon, ebenso alle AfDler, alle Journalisten, Medien, die ich konsumiere, inklusive der ausländischen. Wir wissen, das wird nicht passieren und wenn doch, brauchen die Mastodon-Server erstmal Riechsalz.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin da auch und ich finds da schön. Aber eben auf eine private Art, sofern man das in Bezug auf soziale Netzwerke sagen kann. Es ist so: Twitter ist wie im Büro sein. Da gibt es nette Leute, Kollegen etwa, da gibt es Infos, und da gibt es vor allen Dingen: Arbeit.
Wenn ich nach Hause komme, gibts da auch nette Leute. Nach Feierabend geh ich zum Beispiel gern noch rüber zu Nachbarin E. Die mag ich gerne. Mit der rede ich ab und zu über Politik, aber nicht oft. Mehr rede ich mit ihr über Dinge, die uns beide bewegen, umtreiben. Dabei gehen wir sehr freundlich miteinander um. Nein, im Büro ist es auch freundlich, aber nun stellen Sie sich halt nicht doof, Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, Sie wissen ganz genau, was ich meine.
Ich werde das jetzt exakt so handhaben wie mein Optiker: abends Mastodon. Abends kein Twitter. Mastodon ist mein Elmex. (Natürlich ist das ein Prozess, da bin ich noch lange nicht am Ziel.)
Was wir alle drüben bei Mastodon machen, sollte Musk eines schrillen Tages aus irgendeiner Champagnerlaune heraus dort aufkreuzen – na, das weiß ich auch nicht. Dann gute Nacht, Marie.
Twitter gehört jetzt Elon Musk. Es ist nicht so, dass ich jetzt ein Feuerwerk nach dem anderen abfackle, aber Heuchelei bringt ja auch niemanden weiter. Wir müssen nicht so tun, als wäre mit dem heutigen Tag aus Walton‘s Mountain oder Stars Hollow plötzlich Stalingrad geworden.
Dass Twitter genau so wie die anderen Netzwerke massive Probleme hat, hat mich zum Beispiel ein Buch schreiben lassen. Brachte jeden Tag Leute dazu, die Plattform zu verlassen. Wie etwa gerade erst SPD-Chefin Saskia Esken. Als ich gestern von ihrem Weggang las, spürte ich den Reflex, dazu etwas zu schreiben. Mir wäre aber nichts anderes eingefallen als das, was ich auch schon zur Twitter-Abkehr von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert oder der des damaligen Grünen-Chefs Robert Habeck geschrieben habe. Es ist total verständlich. Lediglich (wohlgemerkt, nicht „nur“) ihre Vorbildfunktion verbietet es meiner Meinung nach, zu gehen. Aber gut, wer bin ich schon?
Nun war es heute wohl noch ungemütlicher als sonst schon, schreibt Vice. Mehr Beleidigungen, vor allem gegenüber Frauen. Das N-Wort. Als hätten sich ein paar Spezialagenten gegenseitig überbieten wollen beim Gesehen-Werden-Wollen vom großen Maestro. Spezialagenten, also die, die ich meine, sind ja oft ganz aufgeregt, wenn sie einen großen (also: reichen, mächtigen, großmäuligen) Mann riechen.
Gute Fragen, die sich an die Übernahme durch Musk ergeben, und eine super Erklärung zum Digitale-Dienste-Gesetz der EU liefert Markus Beckedahl. Für Audio-Fans hier auch ein Radio-Interview mit ihm zum Thema.
Und hier mein Lieblingstext des heutigen Tages. Kurz zusammengefasst: Wenn Elon Musks Performance als Twitter-Nutzer noch nicht dazu geführt hat, uns allen vor Augen zu führen, was für ein furchtbarer Typ er ist – seine Performance als Twitter-Besitzer wird das Übrige tun. Hoffen sie zumindest bei The Verge. Steile These, allein, mir fehlt der gute Glaube. Mein Menschenbild hat unter Twitter und Corona und auch der Kombination aus beidem etwas gelitten. Aber unterhaltsam. Zumal die Hoffnung ja bekanntlich – Sie wissen Bescheid. A propos Hoffnung: Mastodon, das wird nichts. Jede Wette. Das ist wie damals, als alle von WhatsApp nach der Übernahme durch Facebook (heute „Meta“) zu Signal wechseln wollten.
2015 kamen viele Menschen nach Deutschland. Sie kamen aus Syrien, aus Afghanistan. Aus dem Irak, aus anderen Staaten. Flüchtlinge? Migranten? Ein großer Unterschied. An die Begriffe „Flüchtling“ und „Migrant“ drücken unterschiedliche Sachverhalte aus, an die rechtliche Fragen geknüpft sind wie etwa asylrechtliche. An beide Begriffe sind, so sie korrekt verwendet werden, neutrale und sachliche Aussagen geknüpft.
Der Begriff „Flüchtlingskrise“ funktioniert da schon anders. War es eine Krise? Was genau definierte das, was der damalige AfD-Vorsitzende Alexander Gauland ein “Geschenk“ für seine Partei nannte? Die kletterte mit ihrer deutlichen Ablehnung und Ideen wie der, im Zweifel könnten Polizisten an der Grenze auch auf Menschen schießen, die nach Deutschland kommen wollten, aus der politischen Nicht-Mehr-Existent-Zone. Momentan führt die AfD in manch ost-deutschem Land die Umfragen an. Oder meinen diejenigen, die “Krise“ sagen die nicht systematische Erfassung der damals Herkommenden? Die nebulöse Kommunikation der Merkel-GroKo darüber, ob es einen Masterplan gebe – und wie der denn wohl aussehe? Oder aber meint “Flüchtlingskrise“ Ereignisse wie Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, einen völlig enthemmten, hasserfüllten, ja: hässlichen Mob zum Beispiel im sächsischen Freital, der sich mit primitiven Mitteln gegen die Aufnahme von Geflüchteten “aussprach“?
Was sicherlich auch zur Krise gehörte: die teilweise mit voller Absicht, teilweise aber auch aus Unachtsamkeit (man könnte auch schreiben “Schlampigkeit“, qed: Sprache ist wichtig) in Medien verwendeten Begrifflichkeiten.
Von “Flüchtlingswelle“ zum Beispiel las und hörten wir da. Als wären Menschen eine Bedrohung, eine Naturkatastrophe. Dasselbe gilt für „Flüchtlingsstrom“. Und eben für „Flüchtlingskrise“: Dieses Wort suggeriert, Flüchtende wären die Verursacher einer Krise. Von Neutralität kann also keine Rede sein. Trotzdem wird es gerade wieder fleißig verwendet. Auch von Medien, die einer Agenda unverdächtig sind. Es hat sich eingebürgert. So funktioniert Diskursverschiebung.
Ob 2015 sich wiederholt – eine wahnsinnig theoretische und komplexe Frage. Die, ob es sich sprachlich wiederholt, lässt sich hingegen jetzt schon beantworten: Es wiederholt sich. Leider.
Wer kennt es nicht: Follower, die mal eben eine Behauptung mit wegweisendem Effekt aufstellen, würde sie stimmen, die sich allerdings mit der billigsten aller „Recherchen“ (aka Google) binnen drei Sekunden widerlegen lässt und dann antworten: „Ach so, ja, wusste ich nicht.“ Aus Faulheit, selber einmal nachzulesen; aus Geltungsbedürfnis, das alle anderen Mechanismen stumm schaltet; aus Unwissenheit. Alles möglich.
Ich würde behaupten, Karl Lauterbach, Friedrich Merz und Hubert Aiwanger wissen, wie man recherchiert. Sie kennen nicht nur Google, sondern auch Wikipedia. Königsklasse der Recherche quasi. Und sogar Primärquellen – manchmal sind sie ja sogar Primärquellen. Man kann davon ausgehen, dass sie das politische Geschehen aufmerksam mitverfolgen. Manche Belange gestalten und entscheiden sie ja sogar mit.
Umso erstaunlicher ist es, dass Lauterbach nonchalant twittert, Deutschland befinde sich im Krieg. Einiges an dem, was manche als Rumeierei kritisieren und andere als bedachtes Handeln respektieren, geht darauf zurück, Deutschland nicht als Kriegspartei dastehen zu lassen. Da es nicht das erste Mal ist, dass Lauterbach auf eigene Faust das Medium etwas schlankerhand bedient, das sich seinen Aufstieg ins Bundeskabinett auf die Fahnen schreibt (und ihn mindestens einmal pro Woche alsden Rücktrittskandidaten der Ampel anprangert, man kennt ja nur zwei Eskalationsstufen), können wir getrost davon ausgehen, dass dieser Tweet nicht mit dem Rest des Kabinetts abgesprochen war. Zumal die Verteidigungsministerin ihn ja auch eingefangen hat.
Man kann auch davon ausgehen, dass Friedrich Merz weiß, dass in der Ukraine Krieg herrscht. Er war ja selber schon vor Ort. Und dass man Behauptungen wie die, Flüchtlinge aus der Ukraine seien „Sozialtouristen“ nicht als gesichert erachten kann, werden sie zum Beispiel via WhatsApp oder Telegram verbreitet. Dass die Identitäre Bewegung da auch ein eher ein problematischer Ideengeber ist, müsste er auch wissen. Er wird den hiesigen Verfassungsschutzbericht ja aufmerksam verfolgen, die IB findet sich darin als gesichert rechtsextrem. Merz wird auch wissen, dass man eine solche Behauptung, so man sie verbreitet, ohne sie geprüft zu haben, bedauert, dann besser nicht auch noch twittert. Und dass, sollte man erstens so eine Aussage getan, sie zweitens mit einiger Verzögerung auch noch gepostet und dann drittens doch wieder gelöscht hat – auch das Löschen öffentlich zu sehen ist.
Hubert Aiwanger wiederum sollte wissen, wie man retweetet. Oder aber er sollte sich erklären lassen, wie man effektiv und eben nicht transparent zwischen Erst- und Zweitaccount hin- und herschaltet.
Alle drei wissen: Twitter ist eine super Plattform, will man das eigene Programm, Denken, Handeln verbreiten. Alle drei müssen aber auch wissen und befolgen: Man muss verantwortungsvoll mit den sozialen Medien umgehen. „Dabeisein ist alles“, das gilt hier nicht. Im Gegenteil. Man kann viel kaputtmachen. Nicht nur das eigene Image, indem man entweder als schlecht informiert, kompasstechnisch schlecht kalibriert oder einfach medial inkompetent gilt. Man kann Vorurteile schüren, man kann dünnes Eis weiter in Richtung Einbruch treiben, man kann zeigen, wie weit entfernt man von der medialen Lebenswelt vieler Menschen entfernt ist. Man kann zeigen, dass man Verantwortung nicht gewachsen ist.
Und wir alle wissen, wie schnell solche Fälle von der Person auf die gesamte Branche übertragen werden. Stichwort: Politikverdrossenheit. In einer Demokratie kein guter Effekt, vorsichtig formuliert.
Heute war ein spitzenmäßiger Tag, quasi eine Tag gewordene Werbung für erfolgreiches Erwartungsmanagement: Die völlig unfähige Wetterapp hatte für den ganzen Tag Regen vorhergesagt. Man war also auf das Schlimmste vorbereitet. Heute Morgen zeigte die Sonne der App dann einen bestens gelaunten Finger. Also sind alle ganz schnell raus.
Insgesamt hat es mit Unterbrechung 1,5 Stunden geregnet. Die haben wir in einem wirklich guten, sehr west-deutschen Gasthaus in Dahlem verbracht. Bis auf „Klar können Sie Nudeln statt Pommes zum Schnitzel haben, kostet aber 4 Euro extra“ war es da tippitoppi. (Die Nudeln wollte ich dann nicht, es hackt wohl.)
Den Rest des Tages stapfte ich mit einigen un-hackenden lieben Menschen über einen großen Bauernhof, der zum Erntedankfest eingeladen hatte. Um uns herum wurden selbstgemachte Bonbons verkauft, Kinder ritten auf glücklichen nicht-Kirmes-gequälten Ponys, Leute ernteten Kartoffeln und Kürbisse zum Selbstkostenpreis, ein Hahn krähte wie bestellt, Kühe muhten, ein Kälbchen niedlichte im immer noch grünsten Gras herum, umrahmt war das Ganze von sich rot färbenden Bäumen. Ich kam mir vor wie in Stars Hollow.
Bis auf ein Detail: Nachdem wir in der Runde, die zum Teil mit den Öffis angereist war, geklärt hatten, ob dort Masken kontrolliert worden waren (ja, hackt’s denn; natürlich nicht, wir sind hier in Berlin, man hatte nur die Tickets kontrolliert), abgeglichen, wer schon heizt und wer noch nicht, sagte jemand: „Putin setzt keine Atomwaffen ein. Ich bin mir sicher. Oder?“ Da hatten wir den oben abgebildeten Wagen gerade passiert. Ich bin dann noch mal die paar Schritte fürs Foto zurück. Es passt ja perfekt.
Wir haben ein bisschen diskutiert. Und es dann wieder gelassen. Wer guckt schon in Putins Kopf? Und vor allem: Wer hat schon Lust auf solche Gedankenspiele? Wenn man gerade essen war und ausnahmsweise mal nicht von der Bedienung angeblafft worden ist, nur weil man is(s)t.
Das Absurdeste aber: Die Stimmung danach war nicht nachhaltig getrübt. Wir hatten das Thema nicht zum ersten Mal. Der Mensch gewöhnt sich. Fast an jeden Wahnsinn. Das ist wohl unser Finger in Richtung Putin.
Der CDU-Chef und Oppositionsführer, der im Zusammenhang mit ukrainischen Flüchtlingen von “Sozialtourismus“ spricht.
Der Freund, der erzählt, wie er im Café in Prenzlauer Berg fragte, ob sie eine Steckdose für ihn übrig haben, an der er sein leergelaufenes Handy aufladen kann – und dies als Antwort erhielt: „Haben Sie eigentlich ne Ahnung, was Strom kostet?“ Sein Handy luden sie ihm dort nicht auf.
Die Freundin, die reihum fragt, ob wir anderen auch Angst vor dem weißen Blitz haben.
Der Vizepräsident des Bundestages und stellvertretende FDP-Vorsitzende, der den türkischen Präsidenten als “Kanalratte“ bezeichnet.
Die Bekannte, die ein Zimmer bei einer Familie gemietet hat in Berlin-Tempelhof, 700€ Miete dafür zahlt und nun schriftlich von der Familie, mit der sie sich die Wohnung teilt, mitgeteilt bekommen hat, dass sie nur noch zweimal die Woche duschen darf. Persönlich wollten sie es ihr nicht sagen. Aus Scham.
Das Ehepaar an der Fleischtheke, das Leberkäse kauft. Die Verkäuferin, die sagt: „Nehmen Sie ruhig mehr davon, den gibts bald nicht mehr, die Energiepreise!“ Die Frau, die daraufhin sagt: „Den Habeck, den müsste man wegsperren!“ Und ihr Mann, der ergänzt: “Und den Lindner gleich mit!“
Die Nachbarin, die sagt: „Wir haben jetzt einen Gaskocher, eine Platte, die man drauflegen kann für einen Topf, zwei Taschenlampen, Batterien en masse und den Keller voll mit Vorräten. Den Blackout kriegen wir hin.“
Die Freundin, die sagt: „In Hiroshima ist der Bambus damals schon nach zwei Wochen wieder heile gewesen. Meinst du, es macht Sinn, jetzt welchen zu pflanzen?“
Die Verwandte, die seit vier Tagen quasi nicht mehr anzutreffen ist, weil sie ihre Garage leerräumt und in Panik vor einem bislang unkalkulierbar teuren Winter alles zu verkaufen versucht, was sie dort findet und seit mindestens sechs Monaten nicht mehr benutzt hat.
In Iran erheben sie sich. Gehen in Massen auf die Straße, protestieren, schneiden sich die Haare, legen das Kopftuch ab. Riskieren ihr Leben, verlieren es sogar auch. Der feministische Aufstand vereint Frauen und Männer in ihrer Wut auf das Regime, nachdem die 22-jährige Mahsa Aminidas in Teheran von der Sittenpolizei wegen zu legeren Tragens ihres Kopftuchs festgenommen worden war und anschließend starb.
Ein Aufstand im Jahr 2022, in einem Land, in dem Unterdrückung herrscht und demnach auch Zensur. Es ist das klassische Setting, die klassische Chance für alternative – für: soziale Medien.
Die in Iran 2009 schon mal eine zentrale Rolle gespielt haben, nach der Präsidentschaftswahl. Als der Hardliner Ahmadineschad erneut an die Macht gekommen war, nutzten Dissidenten vor allem Twitter, um ihre Proteste zu organisieren und die Bilder davon in die Welt hinauszusenden. Vorbei an Pressesperren. Das Time Magazine feierte Twitter damals als das „Medium der Bewegung“. Der Ruf von Social Media war (kurz) aufpoliert.
Es war auch das Time Magazine, das Mark Zuckerberg nur ein Jahr später zum Menschen des Jahres erklärte. Zuckerbergs Facebook hatte ebenfalls eine glorreiche Rolle gespielt, nämlich im Arabischen Frühling. Nicht nur die Medien, NGOs – nein: die ganze Welt lag Zuck zu Füßen. Die Rede war gar von der „Facebook-Revolution“, so wichtig war das Netzwerk gewesen im Versuch der Oppositionellen, sich ihrer Herrscher zu entledigen und sich eine Demokratie zu erkämpfen.
Lassen wir mal beiseite, wie konsequent und wie effektiv bzw. eben nicht Meta im Kampf gegen diese Phänomene im Alltag ist. Es stellt sich nämlich eine ganz grundlegende und auf den ersten Blick unheimlich zynische Frage: Gibt es guten Hass? Oder anders: Nach welchen Maßstäben sollten soziale Netzwerke eingreifen? Oder aber, fangen wir noch grundlegender an: Was sind soziale Netzwerke?
Sind soziale Netzwerke lediglich eine userfreundliche Oberfläche, die wir anwenden können, um unsere Inhalte dort zu verbreiten? Sind diese nur an uns gebunden? An unsere Vorstellung von Moral – oder aber an die Gesetze unseres Herkunftslandes? Oder aber an die Gesetze unseres Aufenthaltsortes – also des Landes, in dem wir uns zum Zeitpunkt eines Posts aufhalten?
Könnte ich – dazu später mehr – während meines Urlaubs in Spanien auf Facebook den Holocaust leugnen (das ist in Spanien seit 2007 nicht mehr verboten)? Oder würde ich bei meiner Rückreise nach Deutschland dafür belangt? Oder was wäre, hätte ich mich im in Spanien über einen kleinen Trick über Deutschland ins Netz eingeloggt, weil ich beispielsweise Sportinhalte sehen will, für die eine deutsche Website keine Streamingrechte im Ausland besitzt?
Kriege ich ein Problem, wenn ich auf Twitter den Völkermord an den Armeniert geleugnet habe und dann nach Griechenland reisen will? Oder ihn sogar während meines Aufenthalts dort leugne? In Griechenland ist das nämlich verboten.
Kommen wir zurück auf das Beispiel Holocaustleugung. In Deutschland, dem Land des Tätervolks, ist sie verboten, in den USA nicht. Und auf Facebook war sie es auch lange nicht. Eine Gangart, die Mark Zuckerberg (der Jude ist) wiederholt verteidigte mit Verweis auf die Redefreiheit – und indirekt mit dem Argument, Facebook stelle quasi lediglich die Infrastruktur: Es sei nicht Ziel der Plattform, so Zuckerberg, seine Nutzer davon abzuhalten, Unwahrheiten zu schreiben. Einige Jahre lang war Facebook deshalb laut deutschem Gesetz (NetzDG) dazu verpflichtet, Holocaustleugnung zu löschen, sofern sie von Deutschland aus gepostet wurde. Vorher sah eigentlich auch schon das Telemediengesetz, Stichwort: Störerhaftung, eine solche Verantwortung bei den Plattformen. Allerdings wurde da nicht wirklich konsequent geahndet.
Dann änderte Zuckerberg seine Meinung (!) und im Zuge dessen wurden auch die Gemeinschaftsregeln verändert: Der Holocaust darf nun auch bei Facebook nicht mehr geleugnet werden, egal, von wo aus das geschieht.
Klingt gut, oder? Besser spät als nie. Wenn Männer wie Zuckerberg oder auch Elon Musk, der ja behauptete, seine Satelliten den von Russland überfalnenen Ukrainern zur Verfügung zu stellen, mehr solcher Entscheidungen und Taten vollbringen würden – die Welt wäre ein besserer Ort. Nur: Wer sagt uns denn, dass dermaßen viel Macht in die Hände von Menschen fällt, die sie gut einsetzen? Wer definiert eigentlich gut? Vor allem, wenn Gut und Böse nicht so plakativ verteilt sind?
Nächste Frage: Mit wem kooperieren die Plattformen, nach wem richten sie sich in solchen Entscheidungen? Folgt Meta einem moralischen Kompass? Oder entscheidet es nach gewinnmaximierenden Maßstäben – denn es ist ja neben der sehr hybriden Infrastruktur/Kurator-Rolle auch (vor allem) ein Unternehmen. Das Geld verdienen möchte. Und angesichts sinkender Gewinne erschreckend schnell nervös wird und an aus vermeintlich altruistisch-moralischen Beweggründen getroffenen Entscheidungen wieder rührt, zum Beispiel in der Frage, ob Fake News zu Corona ok sind oder nicht.
Nehmen wir an, die Behauptungen stimmen: Meta mischt sich ein und richtet sich nach den Wünschen der iranischen Mullahs. Es wäre nicht das erste Mal, dass Meta eingreift. Zuckerberg selbst hat eingegriffen, wie er 2018 in einem Interview erzählte, als auf Facebook zum Genozid gegen die muslimische Minderheit der Rohingya in Myanmar aufgerufen hatte. ES wird kein Zufall sein, dass Zuckerberg diese Geschichte preisgab, zumal im Jahr 2018: Eben da dokumentierten die UN, wie bedeutend und unheilvoll Facebooks Rolle für die orchestrierten und tödlichen Hasswellen gegen die Rohingyas gewesen war. Mit der Schilderung, wie er höchstpersönlich an einem Samstag aktiv geworden und zum Schutz der Rohingyas beigetragen hatte, sichert Zuckerberg sich und seinem Unternehmen Sympathien.
Denn Hass gegen eine Minderheit – das findet niemand gut. Generell ist Hassrede in den sozialen Netzwerken ist ein ernstzunehmendes Problem, die Kritik an den Plattformbetreibern wurde in den vergangenen Jahren (in Wellenbewegungen) lauter.
Aber es gibt ein Dilemma: Gibt es guten Hass? Soll Instagram dann Hass zeigen dürfen, wenn er sich gegen die Bösen richtet? Ist das eine moralische Frage? Eine kuratorische? Die sich moralisch beantworten ließe?
Gibt es guten Hass? Wer definiert ihn? Und, damit schließen wir den Kreis: Wo und wann unterwirft sich Meta, unterwerfen sich andere Konzerne dem Recht von Nationalstaaten? Wenn Meta sich als Kurator versteht, als ein aufklärerisches Medium – muss es dann nicht zum Beispiel das Posten von Videos von Steinigungen etwa von Frauen in Iran erlauben, damit die Welt sieht, was da los ist? Fällt Facebook unter einen Pressekodex? Irgendeinen Kodex? Wer würde, da ist sie wieder, die Frage, diesen Kodex definieren? Oder braucht es nicht vielmehr Gesetze? Wer definiert die? Wer setzt sie durch? Die EU hat 27 Staaten, die sich kaum auf etwas einigen können – wie soll sich die Welt auf irgendein verbindliches und wirklich tiefgriefendes Regelwerk einigen können? Für etwas, das es vorher noch nie gab?
Ich stelle nur Fragen. Lieber hätte ich Antworten.
Während der Zeit, in der ich oft und regelmäßig in Israel arbeitete, diskutierte das Land über einen Gesetzentwurf: Nazi-Vergleich im israelischen Parlament, der Knesset, sollten endlich verboten werden. Nazi-Vergleiche – ausgerechnet in Israel? Ja, es stimmt wirklich. In Israel gehörten sie im Parteienstreit, ich zitiere: zum „Standardvokabular.
Generell ist die Auswahl an Eskalationsstufen in Debatten mit und innerhalb von Israelis einigermaßen begrenzt. Im Autoverkehr ist das dermaßen hörbar, dass der damalige Mann an meiner Seite sich weigerte, noch als Beifahrer mit mir in mein Auto zu steigen: Ich hatte mich nach seinem Geschmack zu stark vom Prinzip: „Hupen und Schimpfen, Rest regelt sich von selbst“ überzeugen lassen, das auf den Straßen Israels gilt.
Mittlerweile, so mein Eindruck, geht der Trend global gesehen weg von vielen Nuancen auf der Eskalationsleiter. So global sogar, dass das Wetter diese zweifelhafte Mode mitmacht. 15:30:30 Uhr: „Diese Hitze!“ – 15:30:33 Uhr: „Wo ist meine Winterjacke?!“ So fühlte sich dieses Jahr das an, was wir einst den Übergang nannten. In dem wir einander obendrein fragen: „Heizt ihr schon?“
Um das Bild zu vervollständigen: Wer Eskalation sagt, muss natürlich auch „Social Media“ sagen. Vorgestern twitterte ich eine wieder mal ganz kolossal großartige „Torte der Wahrheit“.
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Isse nicht wieder grandios? Kann man finden, muss man natürlich nicht, klar. Aber: So sind die Zeiten ja nicht. „Widerwärtig“ lautete das verbale Geschoss, das jemand als Reaktion abfeuerte. Seiner Ansicht nach fehlten wichtige Themen in der Auflistung. Krieg, Artensterben und Klimakatastrophe scheinen nach seinem Empfinden nicht die aktuell höchststehenden Probleme zu sein. Das ist ja völlig legitim, es könnte ja durchaus bereichernd sein, seine Begründung zu hören, an seiner Abwägung teilhaben zu können. So funktionieren Debatten. Aber, man kann es nicht ändern, er konkret wollte es nicht ändern: Auch auf Nachfrage blieb es bei seinem Urteil: „Widerwärtig.“ Reiht sich ein in das mal eben kurz gefällte Urteil einer Autorin, die das Buch eines Journalisten zur ja ohnehin unfassbar aufgeladenen Debatte um die „Cancel Culture“ schlankerhand als „Schande“ verdammte.
Wer kann, der muss, scheint die Devise der Stunde zu sein. Warum kleckern, wenn man klotzen kann? Ich mache mir das jetzt womöglich mal zu eigen. Der Postbote etwa kommt, die Nachbarschaft ist sich in ihrer Beobachtung einig, derzeit nicht täglich. Man könnte sich mal bei der Bundesnetzagentur erkundigen, durchaus beschweren. Aber will ich altmodisch wirken? Nein, ich will nicht altmodisch wirken. Bei seinem nächsten Besuch mache ich sein E-Bike zu Kleinholz.
A propos Nachbarn: Die Alarmanlage des Autos eines Nachbarn geht ständig los, aus dem Nichts, ohne Grund. Also, jedenfalls ohne den Grund, für den sie gedacht ist: versuchter Diebstahl. Der Grund ist vielmehr ein technischer Defekt. Beim nächsten Mal leg ich ihm eine tote Ratte vor die Tür. Was ich mit dem Nachbarn mache, der eine andere Partei wählt als ich, überlege ich mir dann noch. Zweimal tote Ratte ist ja langweilig.