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„Sag mal, der Thomas Gottschalk…“

Ein paar Jahre lang war ich beruflich viel unterwegs, vor allem im Ausland, und flog häufig über Frankfurt. Oft übernachtete ich dann vor meiner Heimreise nach Berlin noch bei meiner Freundin M. in Frankfurt, was eigentlich immer sehr schön war. Eigentlich.

Denn M. war damals noch mit einem Mann verheiratet, der mich regelmäßig mit massiv enthusiastischer Entrüstung mit dem konfrontierte, was er für unfassbare Verfehlungen meines Arbeitgebers hielt.

Thomas Gottschalk zum Beispiel lieferte zuverlässigen Monologstoff. Ich hätte das gut ertragen, mein Gott, es gibt weitaus Schlimmeres, zumal nach Reporterinneneinsätzen in Krisengebieten. Da ist auch ein sich angeblich wie eine offene Hose benehmender Thomas Gottschalk an wohltuend ausgleichender Seichtigkeit als Gesprächsstoff kaum zu überbieten.

Nur knüpfte M.s damaliger Mann seine ausschweifenden und seinem Blutdruck, behaupte ich jetzt natürlich als Laiin, nicht zuträglichen Tiraden stets mit einer mal mehr, mal weniger ausgesprochenen Aufforderung: Ich möge das doch bitte mal weitertragen. An wen, das ließ er offen. Deshalb handelte es sich auch nicht um Gesprächsstoff – ich stellte nach kurzer Zeit sämtliche Reaktionen ein. Denn ich sah und sehe mich da nicht und ließ es deshalb stoisch an mir abperlen. Ob M.s damaliger Mann das überhaupt gemerkt hat, kann ich gar nicht so wirklich sagen. Er machte jedenfalls unverdrossen und ungedrosselt weiter.

Nun ist die Hochzeit der Hochzeiten in meinem Freundeskreis längst vorbei. Und damit auch die Idee, Filme oder Zeitungen für diese Anlässe zu erstellen Natürlich werden die an uns Journalisten herangetragen, und das möchte ich bitte völlig frei von Unterton gelesen wissen. Es gibt keinen; ich finde das total logisch.

Im Alltag aber ist mein Beruf wenig anwendungstauglich für das, was ja zum Beispiel Anwälte stets beklagen (ich möchte diesen Wortwitz als gewollt gelesen wissen, 8 Stunden Schlaf, jaha!), oder auch Ärztinnen und Ärzte: das berühmte „Kannst du mal kurz?“. Niemand braucht im Alltag einen Artikel geschrieben oder einen Nachrichtenbeitrag geschnitten. Meine politische Meinung, danach wird oft gefragt, klar – aber mal ehrlich: Wer redet in diesen Zeiten nicht über Politik?

Ich äußere mich allerdings nur in sehr kleinem Kreis zu meinen persönlichen politischen Ansichten, weil überraschend viele Leute tatsächlich glauben, Journalisten wären a) sowieso alle rotgrün oder aber b) (noch lustiger) ohnehin angehalten, keine politische Meinung haben, weil sie c) leider zu doof sind, die aus ihrer Berichterstattung rauszuhalten. Das ist leider eine Stufe, auf der ich gar nicht mehr diskutiere, weil man da bei Null anfangen müsste, und deshalb kennen echte Freunde meine politischen Ansichten, und andere nicht. Die Zahl derer, die meinen, sie zu kennen, ist natürlich ungleich höher, aber gut, das gehört bei manchen zur Selbstaffirmation, sollen sie also. Das hat mit mir ja wenig zu tun.

In Grunde genauso wenig wie das Verhalten von Thomas Gottschalk in „Wetten dass…?“. (An dieser Stelle übrigens ein Hörtipp: Mike Krüger war gerade zu Gast im Podcast „Die Nilz Bokelberg Erfahrung“. Es ist so ein schönes Gespräch! Als ungebrochen großer „Vier gegen Willi“-Fan bin ich Mike Krüger sowieso sehr zugeneigt. Nun bin ich es noch ein bisschen mehr. )

Und trotzdem schreiben mir Leute im Grunde genommen ständig, ich solle doch mal dieses im Sender ansprechen oder t-online auf jenes hinweisen. Und reagieren erstaunt bis unwillig, wenn ich darauf hinweise, dass es meistens Themenbereiche berührt, die mit meiner Arbeit UND Rolle gar nichts zu tun haben. Es ist nicht so, dass ich intern keine Kritik üben würde – aber ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, Anmerkungen weiterzutragen. Dazu fehlt mir die Zeit, und, ich formuliere es gern ehrlich, auch die Lust. Zumal die Leute, die mir das auf SoMe schreiben, ja eh gerade dort sind – und das Ganze direkt an die Accounts meiner Arbeitgeber richten könnten. Folgen bedeutet nicht befreundet sein, alte Bauernweisheit.

Aber ich will mich nicht beklagen. M. ist mit diesem Mann inzwischen nicht mehr verheiratet, also erreichen mich seine Wutanfälle auch nicht mehr. Und darüber hinaus: Was müssen wohl Leute aushalten, die für Rüstungskonzerne arbeiten? Oder gar für Elon Musk? Sehen Se.

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Es ist egal, aber…

Und wieder sind meine Timelines voll mit der Debatte, ob die AfD verboten werden man Twitter verlassen soll. (Vorab: Für mich ist das Twitter. Wenn jedes Mal, erwähnt man X, der Zusatz „Vormals Twitter“ notwendig ist, ist es ja auch mit der Neubenennung nicht optimal gelaufen.)

Der Deutschlandfunk verlässt Twitter, und es gibt viel Kritik daran. Die sich zusammenfassen lässt mit „Als Bollwerk muss man hierbleiben. In einem Superwahljahr wie 2024, in dem Trump, AfD und andere die Kanäle mit (Des-)informationen fluten werden, ist das umso wichtiger!“

Dem gegenüber stehen auch nicht ganz falsche Beweggründe, Twitter den Rücken zu kehren, wie der namens Elon Musk. Ich muss jetzt nicht aufzählen, was er alles verbrochen hat. Das wissen wir alle. Und selbst, wenn wir nur die Spitze des ekelerregenden Eisbergs kennen – das reicht ja auch schon. Und nach einer gewissen Anzahl von Wiederholungen dient die Aufzählung seiner Fehltritte ja nicht mehr der Information, sondern bedient einen Voyeurismus, den ich zwar verstehen kann, aber nicht bedienen will.

Ich kann beide Argumentationen verstehen und möchte Ihren Blick deshalb gern auf einen anderen Punkt lenken: nämlich den, wie sich selbst seriöse Vertreter von Staat und Medien im Ton und im Stil vergreifen in der Debatte darum, ob man auf der Plattform desjenigen bleiben sollte, der Ton und Stil ja vor allem als Spielzeuge begreift, mit deren Hilfe er seine infantile Sucht nach Aufmerksamkeit befriedigen kann. Was die Debatte ja erst ausgelöst hat (neben anderen absurden Moves).

So trötet beispielsweise ein Sprecher direkt in das „Öffentlich-rechtlicher Sender, wer hat das denn bitte entschieden, kann ich mal das entsprechende Gremium sehen“-Horn und segelt damit doch relativ entschlossen an der bei Populisten und Härteren so beliebten Medien-Bashing-Grenze.

Andere wiederum haben auf Threads die Moral als USP für sich entdeckt und blöken dort Leute an, die Twitter noch nicht den Rücken gekehrt haben. Ausgerechnet dort. Was einer gewissen Ironie nämlich nicht entbehrt, denn auch Mark Zuckerberg ist nun wirklich nach all den Jahren Facebook, Instagram und Whatsapp unter seiner Fittiche kein Anwärter auf den Friedensnobelpreis. Und ja, Musk spielt in seiner eigenen Liga, aber ganz ehrlich: Wer meint, Zuckerberg hätte Hass und Hetze entschieden bekämpft oder würde dies tun, hat entweder keine Ahnung oder aber keine Lust auf Differenzierung.

Und das ist der Punkt: Wir diskutieren, ob Musk tragbar ist (nein), und tun aber so, als wäre diese Frage bezogen auf Zuckerberg längst obsolet. Grenzverschiebung nennt man das. Zu der trägt Musk erst wirklich tatkräftig seit etwas mehr als einem Jahr bei. Zuckerberg schon sehr viel länger.

Es ist kompliziert.

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Der ewige Zweite

Gerade an der Kasse im Drogeriemarkt entfaltete sich vor meinem Auge bereits die nächste Jahres-Wegmarke in Form von Schminke und Luftschlangen: Karneval. Ich hab Weihnachten noch gar nicht so richtig hinter mir gelassen, aber wir sind ja eine Gesellschaft, die nach vorn blickt. (Das predigen vor allem politisch Verantwortliche. Und zwar vor allem immer dann, wenn sie gerade großen Mist gebaut haben. Aber gut.)

Wir hangeln uns so durch den Kalendar, Traditionen vor uns, die wir entweder pflegen oder brechen – egal, sie sind Orientierungspunkte. 1. Januar ist auch so einer. Alles frisch, alles neu, das Jahr noch unbefleckt vor uns. Der 1. Januar ist ein besonderer Tag. Wie ich finde, allerdings ein bisschen zu unrecht.

Denn am 1. Januar befinden sich ja viele Menschen im Delirium bzw. in dem, was sie durch das in vollem Bewusstsein am Vorabend selbst angezettelte Delirium nun als Preis dafür zahlen. Mein Opa, Oppa Fritz, hatte am 1. Januar Geburtstag, und sagte mal, das sei ein sehr undankbares Datum, weil kein Mensch an diesem Tag zum Feiern zu bewegen sei.

Ich finde, der 2. Januar wird vollkommen unterschätzt. Da ist man wieder bei Kräften. Da kann man auch dann Sport machen, wenn man sich am Silvesterabend hat hinreißen lassen. Wer geht denn auf eine rauschende Silvesterfeier und hält sich den Abend über einzig und allein aus dem Grund an Cola fest, weil er am nächsten Tag ins Gym gehen will? Richtig: Die Leute, die dann spätestens ab Februar nicht mehr im Gym gesichtet werden.

Nein, der 2. Januar, das ist der Neujahrstag des aufgeräumten Mannes und der sich selbst (und dadurch automatisch auch seine Umwelt) realistisch und mit der menschlich ausgewogenen Mischung aus Pflichtbewusstsein und gütiger Nachsichtigkeit behandelnden Frau. (Ich unterschiede ausdrücklich hier nur zwischen Mann und Frau, um beide unterzubringen; no Geschlechterklischee-pun intended.)

Am 2. Januar ist man wieder bei Kräften, kann einkaufen gehen, auch so Profanes wie Klopapier. Das echte Leben kehrt ein, eine Art Alltag nach all den außergewöhnlichen und aufgeladenen Feiertagen. Deshalb halte ich den 2. Januar für ebenso unterschätzt wie so viele andere 2.

Der zweite Weihnachtstag zum Beispiel, nehmen wir mal den. Da hat man die Kernfamilie plus die erweiterte Familie allmählich abgeklappert. Man schielt schon mal vorsichtig in Richtung bequeme Sachen und kann die Gans allmählich nicht mehr sehen. Man greift in der Küche schon mal ins Glas mit den eingelegten Gurken, um einen Kontrapunkt zu setzen zur guten Schokolade. Wasser wird auch schon mal wieder aus den alten Senfgläsern getrunken. Das Stichwort lautet: Entspannung.

Über zweite Sieger ist schon viel geschrieben worden, dazu, braucht es dieses Blog nicht, und auch Zweitgeborene wurden bereits vor Prinz Harry hinreichend analysiert. Es ist kein Wunder, so viel darf ich aber noch beisteuern, dass sie oft die entspannteren Erwachsenen sind. Ausnahme bin, hüstel, selbstverständlich ich. Oft sind die Erstgeborenen ja auch die Bescheideneren 😉

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen schönen 2. Januar. Vor allem meinem alten Freund Martin. Der hat heute Geburtstag.

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Tschüss, Waschmaschine – oder: Wachstumsschmerzen

Der erste Tag des Jahres. Meine erste Amtshandlung nach dem Aufwachen: die Öffnungszeiten des benachbarten Waschsalons googeln. Denn 2023 hat auch für mich Neues bereitgehalten.

Erstens Läuse. Hatte ich vorher noch nie. Und mein Bestreben, Routine zu entwickeln im ölige Substanzen auf meinen Kopf Kippen, mich dauernd mit einem sehr feinen Kamm zu kämmen und mich retrospektiv sehr zu ekeln über die Anzeichen, die ich für ein paar Tage nicht richtig gedeutet hatte, sind enorm unterentwickelt. Ebenso mein Wunsch, noch mal zirka ALLES zu waschen, was ich besitze. Das mag übertrieben gewesen sein, aber auch hier gilt das, was ich 2023 in einem völlig anderen Kontext klären musste: Meine Empfindungen lasse ich mir sehr schwer ausreden.

Ich schweife ab, aber da bin ich wieder. Waschen. Waschsalon. Die zweite Sache, die ich 2023 zum ersten Mal in meinem Leben getan habe: eine Waschmaschine gekauft. Die aktuelle ist knapp und stolz 23 Jahre alt. Falls Sie das Fabrikat interessiert: Ich bin Gütersloherin.

Nach 23 Jahren kann man als Waschmaschine anfangen, zu lahmen. Da hat man sich mehr als amortisiert und als sehr zuverlässige Wegbegleiterin erwiesen. Man hat seine Pflichten übererfüllt. Was man als Besitzerin nicht mehr kann: Noch mal 800 Euro für die Reparatur ausgeben. Das war eine Premiere 2022. Ich bin kein Rechengenie, aber da hört selbst mein Unvermögen, Vermögen anzuhäufen, dann doch auf.

Meine Waschmaschine gehörte meiner Oma. Oder, um es korrekt zu zitieren: Omma. Omma Therese. Omma starb 2001. Da lebte ich endlich mal in einer Wohnung, die groß genug war für eine eigene Waschmaschine, und auch mittlerweile zu weit weg von meinen Eltern, als dass ich am Wochenende zum Waschen bei ihnen einkehren konnte. „Willst du Ommas Waschmaschine haben?“ Diese Frage meiner Mutter löste mehrere meiner Probleme.

Auch meine Mutter lebt mittlerweile nicht mehr. Sie hätte ich normalerweise angerufen mit der Frage, welche Maschine ich mir denn nun anschaffen soll. Nicht, weil ich nicht selber in der Lage wäre, mir Testergebnisse durchzulesen, Kosten und Nutzen abzuwägen, Preis-Leistungs-Verhältnisse zu verstehen und meine individuellen Bedürfnisse (ich hätte gerne saubere Wäsche und einen trockenen Badfußboden nach jedem Waschgang, da bin ich vermutlich nicht so wahnsinnig Avantgarde) erfüllt zu sehen. Das kann ich alles, sage ich in aller Bescheidenheit.

Aber meine Mutter war sehr patent und zudem eine große Freundin von Technik. Und darüber hinaus im stetigen Austausch mit ihren Freundinnen. Meine Mutter war außerdem ein Sparfuchs, gleichzeitig aber Mitglied des „Fünfmal billig ist zu teuer“-Clubs. Das ist eine gute Kombination.

Und: Sie war meine Mutter.

Nächste Woche Dienstag kommt meine neue Waschmaschine. Meine erste selbstgekaufte. Nun wäre ich ja eher auffällig, und das nicht im guten Sinne, hätte ich in knapp 46 Jahren noch keine Entscheidungen von solcher Tragweite getroffen. Aber es fühlt sich noch mal anders an. Wie erwachsen werden. Bin ich gerne. Und die neue Waschmaschine ist bestimmt toll, kann viel mehr als die alte, vor allem Energie sparen. Und nicht auslaufen. Ich werde trotzdem ein bisschen traurig sein, wenn die Maschine, die ich mein halbes Leben lang besessen habe, den Haushalt verlässt.

Und ich hätte vor allem gerne meine Mutter anrufen können.

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Anzeigen? Ankreiden? Oder lass ich’s lieber sein?

Zwei Vorfälle. Zwei Ausfälle. Zwei Frauen. Eine Frage.

Fall eins: Jemand auf X bezeichnet mich als F****. Meine jahrelange Erfahrung mit dem vermeintlichen Mob lässt mich einen Screenshot erstellen. Den gebe ich dann an die tollen Leute von HateAid weiter – falls ich es nicht vergesse. Das kann schon mal passieren: Zwar deutet meine Routine (richtigerweise) darauf hin, dass so etwas wie diese Entgleisung öfter mal vorkommt. Aber auch nicht jeden Tag. Normalerweise sind diese Incel-Männer, die mir sowas aus ihrem seit 45 Jahren von ihnen bewohnten Kinderzimmer schreiben, schlau genug: Sie schreiben am Justiziablen haarscharf vorbei.

Ich mache erstmal gar nichts, weil ich tatsächlich mit anderem Kram beschäftigt bin. Nämlich mit Freihaben. Ich habe mir drei Monate unbezahlten Urlaub genommen und komme damit wirklich nicht SO gut zurecht. Zumindest bin ich sehr schlecht darin, meine Tage zu strukturieren und zerfasere ein bisschen. Egal, ich schweife ab.

Zwei Wochen später dann eine große Überraschung: Post von einer Anwältin. Eine vorbeugende Unterlassung. Kannte ich bis dato nicht. Aus der die zweite, für mich noch größere Überraschung deutlich wurde: nix da Incel, nix da der 45-jährige Rainer im fleckigen Unterhemd, der immer noch bei Mutti wohnt. Hinter dieser Obszönität und hilflosen Entgleisung steckte eine Frau. Ich präzisiere: eine wohl jetzt doch etwas aufgeschreckte Frau. Eine, die zur Anwältin gelaufen war, um mir proaktiv ausrichten zu lassen, sie würde sowas nicht noch mal tun.

Die Frau, die sich nicht zu schade für dieses primitivste aller Worte gewesen war, ist mir durch das Schreiben ihrer eilends mandatierten Anwältin nun bekannt. Mit Klarnamen, mit Adresse. Lassen wir mal den Fakt außen vor, dass ich es äußerst befremdlich finde, so krass aus der Rolle zu fallen UND als Frau eine andere Frau dermaßen zu beschimpfen – eine kurze Google-Recherche ließ mich weiter staunen: Die Dame Frau führt ein mittelständisches Unternehmen und ist in der Politik aktiv. In einer bürgerlichen Partei.

Wäre ich sie, wäre ich auch zur Anwältin gegangen. Denn der thüringische Ort, in dem sie Chefin ist, ist klein. Und auch, wenn ich regelmäßig von der Verrohung unserer Gesellschaft spreche, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es inzwischen schon komplette Landstriche gibt, in denen ein solches Verhalten salonfähig ist. Und in der FDP sicherlich auch nicht.

Da ist es nicht dumm, schnell zu versichern, dass man die Kontrolle nicht noch mal dermaßen verliert, und mich entweder so daran hindert, sie anzuzeigen, oder aber – falls schon geschehen, konnte sie ja nicht wissen – im Zweifel auf Strafminderung zu pochen, weil man ja reuig ist. War der Mann, der mich „Hure“ nannte, vor Gericht übrigens auch. Deshalb sprach die Richterin ihn frei. Die Richterin, die fand, ich solle mich im Netz auch mal zurückhalten. Er hatte mich aufgrund meines Nazi-Tweets so beschimpft. Völlig logisch, das rutscht einem schon mal raus, und ich hab es ja schließlich provoziert. Nazi-Tweets sind der kurze Rock unter social media-Postings. Die Richterin hat also klug entschieden, keine Frage. Der Mann hat bis heute, fast zwei Jahre später, übrigens nicht die ihm aufgebrummte Zahlung an eine gemeinnützige Organisation geleistet. Die 4000 Euro betragen sollte. Einen Monats-Netto-Lohn. Auch er also kein Loser. Ich applaudiere einmal mehr für die weise Entscheidung der Richterin. Nicht.

Zurück zum Thema: Zeichne ich die Thüringerin nun an, oder lasse ich es sein? Schwierige Frage, finde ich. Denn einerseits erwarte ich von Leuten, dass sie sich im Griff haben. Andererseits will ich aber natürlich auch niemandem nachhaltig schaden. Ich grüble noch.

Fall Nummer 2: Eine Frau (ebenfalls aus Thüringen, machen Sie daraus, was Sie wollen), die mir „Halt’s Maul“ auf Instagram schrieb. Ich bin keine Mimose und auch keine Prinzessin auf der Erbse. Diese Frau ist nur leider dermaßen doof, dass sie mir erstens öffentlich geschrieben hat und zweitens ein öffentliches Profil dort besitzt, aus dem unter anderem hervorgeht, dass sie in einem Jugendclub arbeitet. Wie mir ein aufmerksamer Leser heute schrieb, ist sie verantwortlich für ab 10-Jährige. Ich sag mal so: Ich bin keine Pädagogin, aber als Vorbild fungieren sollten solche Leute doch eigentlich eher nicht, oder?

Nun die Frage: Was macht man da? Schulterzucken? Was sagen?

Erstmal wundere ich mich. Und dann sehen wir weiter.

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Mieterinnen-Explosion in the making

Die Mieten explodieren. Das ist leider Realität, und das ist furchtbar, aber das ist keine Neuigkeit. Demnächst aber werden Sie womöglich von einer Mieterinnen-Explosion hören. Da wird es dann wohl um mich gehen. Und vielleicht auch um andere Mitglieder eines Mietervereins. Lesen Sie selbst:

Ich habe vor acht Jahren einen Mietvertrag mit einer inzwischen ja auch bei Privatvermietungen sehr beliebten Index-Miete abgeschlossen. Dabei ist die Miete an den Verbraucherindex gekoppelt. Steigt er, steigt die Miete. Das ist so, ich habe mich vorher schlau gemacht über mögliche Risiken, und bin dann sehenden Auges reingegangen. In die Wohnung, in den Vertrag. Ich weiß ja, und das wird in dieser Geschichte noch wichtig, wo ich mich informieren kann und muss. Dank Ausbildung zur Redakteurin, dank der Tatsache, dass ich jeden Tag quasi ununterbrochen mein Geld damit verdiene, Informationen einzuholen, zu verifizieren und einzuordnen. (Übrigens ein Begriff, der Leute mittlerweile auf die Palme bringt: Journalisten seien nicht dazu da, einzuordnen, sondern nur zu berichten, lese ich immer wieder. Das ist so falsch und – pardon my French – dumm, dass ich darauf nicht mal antworten kann, weil mir dazu die Zeit fehlt. Ich muss ja Informationen einholen – Sie wissen Bescheid.)

Index-Miete also. Alljährlich liegt also ein Schreiben in der Post, das ich zwei Tage knurrend umrunde und dann irgendwann öffne, wenn ich mich seelisch ausreichend darauf eingestellt habe. Einmal fürs Protokoll: Ich habe ein wirklich gutes Verhältnis zur Vermieterin. Ist hier was kaputt, sage ich Bescheid, und ruckzuck wird sich gekümmert. Es gibt keinerlei Probleme.

Nun also lag wieder ein solches Schreiben im Kasten, und etwas daran kam mir seltsam vor. Also nutzte ich meine Mitgliedschaft im Mieterverein und rief dort an. Und das Telefonat ließ mich dermaßen kopfschüttelnd zurück, dass hier schon viertel vor Schleudertrauma herrscht.

Nicht genug, dass der Herr sich fünfmal (!) meinen Namen buchstabieren lassen musste. (Seit über 40 Jahren weiß ich, dass ein potenzielles C besprochen werden muss und trotzdem anschließend durchaus noch vorkommen kann. Aber „mit C oder nur mit K?“ hat man doch sogar dann schneller besprochen. Selbst wenn man Claus Kleber heißt. Denke ich jedenfalls.)

Gut, weiter. Wir hatten also diese Hürde genommen, und schon zu diesem Zeitpunkt graute mir vor den noch bevorstehenden. Spoiler: zu Recht.

Meine – zugegeben, ich bin keine Juristin – nach meinem Empfinden einfache Frage, ob diese erneute Erhöhung denn gerechtfertigt sei, konnte mir der Jurist vom Mieterverein am Telefon nicht beantworten. Dafür las er mir etwas schwerfällig die Definition von Index-Miete vor. Um aber weitere Fragen zu klären, bräuchte ich einen Termin, sagte er. Ok, dachte ich, fair enough. Der Verein hat eine Geschäftsstelle, dafür zahlt er Miete, dafür braucht es eine Rechtfertigung; ich habe gerade drei Monate frei. Mach ich halt einen Termin, gehe hin und treffe hoffentlich auf jemand etwas Vertrauenserweckenderen.

Zum Schuss dann aber der absurdeste Rat, den ich seit sehr langer Zeit bekommen habe: „Machen Sie einen Termin“, sagte der Herr, „bei Ihrer Sparkasse oder bei Ihrer Bank.“ – Ich: „Warum? Ich habe zwar den Verdacht, dass diese Mieterhöhung nicht gerechtfertigt ist, aber ich brauche keinen Kredit, das kriege ich gestemmt.“ – Er: „Nein, nein. Sie müssen ja wissen, wie sich der Verbraucherindex entwickelt hat.“ – Kurz musste ich mich sammeln, dann fragte ich nach: „Aber das lässt sich doch sehr leicht ermitteln, dafür muss ich doch nur ins Netz gehen, da habe ich doch alle Informationen.“ – Schweigen. Dann er: „Ja, ich kann Ihnen nur raten, dass Sie dazu einen Termin bei Ihrer Sparkasse oder bei Ihrer Bank machen und dort nachfragen.“

Kennen Sie das, wenn Ihnen etwas dermaßen abseitig erscheint, in einem solchen krassen Ausmaß, dass Sie nicht mehr wissen, ob Sie womöglich die Geisterfahrerin sind, die es nicht merkt? Zum Glück habe ich familiäre Kontakte in eine Sparkasse und erkundigte mich. Die Reaktion war genauso entgeistert wie meine.

In meinem Fall ist das nicht so schlimm. Ich kann mich im Zweifel selbst schlau machen. Im Grunde verbringe ich ja seit Jahren meinen kompletten Tag damit, Informationen usw. Dass ich beim Verein anrufe, hat auch etwas mit Bequemlichkeit und meiner Abscheu vor derlei Themen zu tun. Anderen geht es aber anders. Auch finanziell. Zudem registriere ich an mir Ermüdungserscheinungen: Dann frage ich da eben nichts mehr nach, wenn ich erst eine Viertelstunde in der Warteschleife hänge und dann unverrichteter Dinge UND mit dem Gefühl, dort nicht gut aufgehoben zu sein, aus dem Gespräch rausgehe. Dafür aber ist die Mietfrage für Viele aber ja zu existenziell…

Und deshalb überlege ich nun seit Tagen, ob es eine übergeordnete Instanz gibt, der ich diese Nicht-Beratung mal zur inneren Reflexion berichten kann. Mal sehen.

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Bluesky

Ich schäme mich, es zu schreiben – aber ich habe auch deswegen so lange nicht gebloggt, weil ich nicht den X-ten Beitrag darüber beisteuern wollte, wie gefährlich bösartig Elon Musk ist und wie sehr X unter ihm weiter verkommt. Eigentlich müsste man das Tag für Tag tun – aber erstens habe ich ja auch einen Beruf und ein Leben, und zweitens nutzt es sich dann auch ab. Vielleicht.

Nun aber ruhen ja alle Hoffnungen auf Bluesky. Letztes Wochenende sind die Nutzerzahlen dort explodiert. Musk hatte einen AfD-freundlichen Tweet mit einem DrüKo versehen, der sich eher nicht als Widerspruch verstehen lässt, und da war für Viele eine rote Linie erreicht. Sie machten rüber.

Bluesky sieht aus wie Twitter, und die Oberfläche funktioniert wie die bei Twitter, allerdings bisher ohne Videos und ohne GIFs, was ich aber beides verschmerzbar finde (zumal ich gerade auch verstärkt Instagram nutze. Da ist auch nicht mehr ohne Blocken möglich, über AfD oder Friedrich Merz zu schreiben, aber dazu wann anders vielleicht mehr.).

Der Unterschied zu Twitter: Die Arschlöcher, um Markus Beckedahl zu zitieren, sind nicht da. Noch nicht. Klar, da wird auch schon mitunter blöd gemoppert, aber das Verhältnis Twitter – Bluesky in punkto inakzeptables Verhalten ist in etwa wie das von Stalingrad zu Stars Hollow. Da gibt es ja bekanntlich einen Taylor. Taylors gibt es überall und gab es auch schon vor Musk bei Twitter (und Schlimmere). Jetzt aber wirken die Taylors im Vergleich wie Engel. Wie die Engel der Engel. Wie potenzierte Engel.

Ein weiterer Unterschied und ein Grund für das Stars Hollow-hafte: Bluesky-User wird momentan nur, wer einen Invite Code geschickt bekommt. Hat den Vorteil, dass von Seiten Blueskys nachvollzogen werden kann, wer Wüteriche reingelassen hat. Oder man kommt rein über eine Warteliste. Ein bisschen wie einst bei Clubhouse. Nur eben, dass hier nix Neues stattfindet. Und, dies ein Unterschied zu Mastodon: nix Nutzerunfreundliches. Es geht hier nicht darum, das eigene Nerdtum und Desinteresse an Traffic möglichst demonstrativ (und zwar mithilfe von möglichst viel Traffic) zur Schau zu stellen. Im aufwändigen Bemühen darum, denkbar wenig bemüht zu wirken, kommt Mastodon Berlin sehr nahe. Hier in der Hauptstadt treiben Leute ja immensen Aufwand, um maximal ungestylt rüberzukommen.

Gut. Kommen wir zurück zu Bluesky. Da ist es nett, da ist es normal. NOCH. Denn je schneller eine Plattform wächst, desto mehr wollen mitmachen. Aufwärtsspirale bei den Zahlen, Abwärtsspirale beim Niveau. Isso. Kann man nicht ändern. Es sei denn, es wird hart durchgegriffen bei der Moderation. Nur: Das bringt ja weniger Geld. Erstens kosten Moderatoren dies, zweitens erzeugt Wut ja die größte Aufmerksamkeit, Verweildauer, Daten, Werbekunden – wir kennen das alles. Und ob es bei, edlen Vorsatz bleibt, sich dem Algorithmus-Wahnsinn in seiner bisherigen Form zu verwehren – ich möchte, kann es aber nicht so recht glauben.

A propos kennen: Da wir das ja alle kennen, können wir zumindest einen Teil (mehr nicht, da mach ich mir keine Illusionen) dazu beitragen, dass der Irrsinn zumindest eingedämmt wird. Ich blocke schon jetzt ruckzuck, mute auch schnell bei Bluesky. Seien es Leute, die schon auf Twitter genervt haben durch Feuerlegen. Oder Leute, die mir doof von der Seite kommen. Da ist die Reaktionszeit durch jahrelange Social Media-Erfahrung inzwischen sehr verkürzt.

Es wird also nicht lange so sein. Ich genieße die Zeit, die noch angenehm bleibt, und dann ploppt ohnehin wieder das nächste Ding hoch. Wir verteilen uns auf immer mehr Dienste und lästern über die jeweils anderen. So sieht sie aus, die Zukunft. Ein bisschen Stars Hollow, ein bisschen Berlin – und ziemlich viel Stalingrad. Leider.

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Metas „Threads“ – Die ersten 36 Stunden

Seit gestern Morgen bin ich auch dabei. Bevor ich erste Eindrücke schildere, diese Einschränkung: Den gestrigen Tag habe ich nicht nonstop mit „Threads“-Beobachtung verbracht. Sie werden es verstehen; hier herrschten über 30 Grad, ich hatte frei, ich liebe den Sommer und Hitze*, Freunde fragten nach Begleitung zu einem der zahlreichen, wunderschönen Seen in der Umgebung – also verbrachte ich meinen Tag dort mit regelmäßigem Blick in die neue App. Eine Anekdote von vor Ort: Vor uns lagen ein Vater mit seinem Teenie-Sohn. Die beiden diskutierten dies und das, und als man unterschiedlicher Meinung war, sagte der Junge für alle laut vernehmbar zu seinem Vater dies: „Fick dich. Ich hasse dich.“ Der Vater reagierte mit einem Lachen, Sohnemann lachte auch, man plauderte weiter. Ich bin noch immer ein wenig – nun, nennen wir es: erstaunt.

Und damit wären wir bei Twitter. Dort postete ich diese primitive kleine Begebenheit. Einige teilten mein Befremden, andere aber sahen das Problem eher bei mir. Nun gut. Es ist halt Twitter. Da hat sich ein solcher Umgang ja bereits lange vor Elon Musk etabliert. Warum sollte sich in der Gosse jemand wundern über Gossensprache?

„Threads“ ist nun angetreten als Twitter-Gegenentwurf. Auch wenn Mark Zuckerberg sich nicht zu schade ist für Debatten um einen etwaigen Käfig-Kampf mit Musk, ist er ja schon nicht gänzlich unzurechnungsfähig. Dass seit Musks Übernahme und trotz Mastodons nerdig-lahmer politisch korrekter und vorbildlich dezentraler Performance ein großer Bedarf da ist nach einer Alternative, hat er ausgenutzt und kombiniert nun gleich drei sich aus seiner Sicht tippitoppi zusammenfügende Vorlagen: Viele wollen weg von Twitter, erstens. Viele mussten weg von Twitter: Musk hat in großem Stil und Bogen Mitarbeiter rausgeschmissen. Die müssen Geld verdienen. Und haben Ahnung von einem textbasierten sozialen Netzwerk. Das hat Zuckerberg drittens auch, siehe Facebook, zudem besitzt er Instagram und wenig Skrupel, und so schließt sich der Kreis: Relativ schamlos hat Zuckerberg Twitter kopiert, sich dabei von Leuten helfen lassen, die lange bei Twitter waren, und direkt mal die Crowd von Instagram befähigt, ihren dortigen Account nach Threads rüber zu transferieren. (Mehr dazu habe ich hier mit Gavin Karlmeier in seinem und Dennis Horns Podcast „Haken dran“ besprochen und hier in meinem Blog, den Sie vielleicht noch nicht kennen, ha ha, aufgeschrieben.)

Es ist also noch ganz kuschelig da drüben. Das ist ein Unterschied. Ein weiterer: In der Timeline erscheinen nicht nur diejenigen, denen man folgt. Das war ja früher bei Twitter so. Finde ich eine gute Sache, weil es den Horizont erweitert undsoweiter, nur hat man ja inzwischen bei Twitter sogar solche in der Timeline, die man geblockt oder gemutet hat. Aus guten Gründen. Darunter, auch das ein Unterschied, Leute mit blauem Haken. Ich kann jetzt nicht ganz uneingeschränkt sagen, dass der vor Musk und seinem peinlichen Blue-Abo-Modell zu 100% ein Garant war für gewinnbringende Beiträge. Das verbietet mir schon allein die Bescheidenheit, denn ich hatte auch einen. Aber er war ein Garant dafür, es nicht zu 90% mit Leuten dahinter zu tun zu haben, die ihre aus ebenfalls sehr guten Gründen vor ihrem blauen Haken nicht allzu große Followerschaft nun mithilfe großer, gekaufter Reichweite wenn nicht zu vergrößern, dann doch zu kompensieren. Etwas einfacher formuliert: Dass Hans74040 nur zwei Follower hatte, lag an seinen bescheuerten Tweets. Nun hat er auch nicht mehr Leute, die sich aktiv dafür interessieren. Weil er aber wichtig sein will, zahlt er Geld und wird nun passiv konsumiert, weil man sich kaum dagegen wehren kann. Da erweitert sich nicht mein Horizont, sondern ab und zu meine Halsschlagader.

Das soll alles so bleiben, wünschen sich die Leute bei Meta natürlich. Nur ist ihre Idee, wie diese Vision gelingen kann, abenteuerlich, nicht allzu demokratiefördernd und deshalb in Summe eine weitere Kapitulationserklärung einer Plattform gegenüber den Geistern, die sie rief:

https://www.threads.net/t/CuZ6opKtHva/?igshid=MzRlODBiNWFlZA%3D%3D

Insta-Chef Adam Mosseri sieht also eine Lösung des massiven Hassproblems, das sein Netzwerk über Jahre massiv verschlafen und anschließend über Jahre massiv geleugnet und gleichzeitig über Jahre massiv vernachlässigt hat und dies noch tut, hierin: Wir posten einfach keine politischen Inhalte.

Halleluja, warum sind wir da denn nicht früher drauf gekommen? Oder Meta?

Tja. Weil Meta, damals noch Facebook, sich äußerst gerne feiern ließ für seine Rolle im Arabischen Frühling. Weil man plötzlich everybody’s darling war. Von Menschen bevölkert, von Werbetreibenden fürstlich entlohnt, und von denen, die man jetzt nicht mehr so gern dabei oder thematisiert haben will, hofiert: von Politikern. Es ist der bisher bizarrste, peinlichste und entlarvendste Vorschlag, den ich je von einem Netzwerk-Verantwortlichen gehört habe. So viel Nonsens hätte ich nicht mal Musk zugetraut.

Die öffentliche Sphäre entpolitisieren zu wollen, lässt die gewinnen, die andere zum Schweigen bringen wollen. Und zeigt vor allem eins: Wie wichtig Regulierung ist. Und wie absurd es ist, auf Meta zu hoffen. Nur weil man nicht so absurd unterwegs ist wie Musk, ist man nicht automatisch nicht absurd.

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Metas „Threads“

Donnerstag soll sie kommen, die Alternative zu Twitter. Mark Zuckerberg will die stetig wachsende Niveau-Lücke, die beim Kurznachrichtendienst seit der Übernahme durch Musk klafft, füllen. Er geht das klug an – und nimmt damit womöglich den seit Wochen diskutierten Kampf zwischen den beiden Giganten vorweg. (Mehr möchte ich an dieser Stelle zu einem möglichen Käfig-Kampf zwischen den beiden Männern, die Macht über unser aller Daten haben, nicht schreiben. Ich bin erwachsen und habe einen Uniabschluss, ich kann mich wirklich nicht mit so einem Unsinn beschäftigen. Ok, ich kann schon. Will ich aber nicht. Würde würde hier nicht nur im Notfall großgeschrieben.)

„Threads“ soll an Instagram andocken. Aus drei Gründen ist das klug, wenn auch nicht so genial, wie jetzt manche tun: Instagram gehört zu Meta und genießt damit nicht diesen störrischen, lebensfremden Nimbus wie Mastodon. Zweitens nutzen Milliarden Menschen Insta. Man kann seinen Accountnamen von dort einfach mit rübernehmen zu Threads, das hat was Heimeliges. Womit wir bei drittens wären: Bei Insta ist man ja nett zueinander. Zumindest im Vergleich zur an Stalingrad angelehnten Atmosphäre bei Twitter oder – Achtung: Facebook.

Facebook hingegen ist ja nun wirklich kein Vergnügen mehr, und zwar seit Langem. Da beschmeißen sich seit geraumer Zeit diejenigen gegenseitig mit Dreck, die es nicht rübergeschafft haben zu Twitter. Vergangene Woche erzählte eine kanadische Journalistin, dass ihr Arbeitgeber nur bei Instagram voll mitmische. Auf Twitter mische er gar nicht erst mit, und bei Facebook habe er die Kommentarfunktion deaktiviert.

Facebook gehört aber ja nun genauso zu Meta wie Instagram. Heißt: Zuckerberg hat den Hass genau so wenig im Griff wie Musk. Klar, er ist nicht halb so erratisch und viel berechenbarer als Musk. Das ist aber nicht schwierig. Musk hat Twitter aus einer Bierlaune heraus gekauft und wundert sich nun anscheinend, dass das Bierzelt aus immer lauter grölenden Leuten besteht, die zwar für den Haken zahlen – für deren Daten aber werbetreibende Unternehmen womöglich nicht so gerne zu zahlen bereit sind.

Zuckerberg, das will ich damit sagen, macht Elon Musk nicht automatisch zu Julian Reichelt: Seit dessen Rausschmiss bei der Bild gilt die einigen plötzlich als nicht schlimm. Und das ist ja Quatsch.

Ich bin jedenfalls äußerst gespannt auf Threads. Ob und wenn ja, was Zuckerberg aus den eigenen Fehlern und denen von Elon Musk gelernt hat. Oder ob wir am Donnerstag einfach noch eine Hassmaschine mehr haben. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Man wird ja noch träumen dürfen!

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„Darüber kotzt das Netz“

Friedrich Merz war im Krankenhaus, berichtetet er am Ostersonntag auf Twitter. Keine Sorge, dem CDU-Chef geht es gut. Er begleitete die Frühschicht auf der Intensivstation des Klinikums Hochsauerland als Hospitant. Merz wäre ein schlechter Politiker und hätte keine Ahnung von guter PR, würde er seinen Tweet nicht mit der Beteuerung garnieren, er sei „nicht als Politiker, sondern als Teil des Pflegeteams“ dabei gewesen.

Das ist natürlich Quatsch, aber wie gesagt: Das gehört zum guten Handwerk, sich bescheiden geben zu wollen.

Was zum journalistischen Handwerk gehören kann, ist, darüber zu berichten. Man könnte zum Beispiel – gerade an traditionell vor allem innenpolitisch eher nachrichtenschwachen Tagen wie Karfreitag, Karsamstag, Ostersonntag und Ostermontag – hinterfragen, ob ein solcher Einsatz Sinn ergibt. Wo Politiker vielleicht auch mal reinschnuppern könnten, um Entscheidungen auf Grundlage praktischer Erfahrungen zu treffen. Um Notstände mit den eigenen Augen zu sehen. Man könnte mal gucken, wer schon mal wann wo wie als „Parkitkant“ war. Ob sich Reden, Missstände, Einstellungen dadurch verändert haben.

Was zum journalistischen Handwerk nicht gehört: Einfach nur eins zu eins nacherzählen, dass Friedrich Merz im Krankenhaus eine Schicht lang mitgelaufen ist. Das ist dann nämlich auch PR. Und eben kein Journalismus.

Was man ebenfalls nicht tun sollte: Den fast schon obligatorischen Text darüber schreiben, wie „das Netz“ reagiert. Denn das ist schrecklich langweilig. Und was man – ich schreibe dies aus gegebenem Anlass – tunlichst vermeiden sollte, wenn man sich schon für diese „Schnell und billig“-Simulation von Journalismus entscheidet: Einfach random irgendwelche Accounts zitieren, die sich über Merz‘ Tag als Praktikant lustig machen – zumindest dann, wenn es wirklich lediglich einer Mini-Recherche auf einfachstem Niveau bedarf, um eins festzustellen: Ein zitierter Account-Inhaber gehört einer Partei an – und zwar nicht der CDU, sondern zum Beispiel den Grünen – und postet zu 99% Inhalte, die Initiativen, Reden und Forderungen der eigenen Leute weitestgehend völlig frei von auch nur leisester Kritik bejubeln. Also handelt es sich um jemanden, den man auch mit Blick auf sein Agieren in den sozialen Medien als „Parteisoldaten“ bezeichnet. Seine Einschätzung von Merz‘ Einsatz, die natürlich nicht allzu positiv ausfällt, einfach Wort für Wort abzutippen oder einzubetten, ist nichts anderes als – ganz genau: PR. Peinlich.

Wo wir schon mal dabei sind: Auch eher unglücklich ist die Textgattung „Aufregung im Netz“. Und trotzdem finden sich genau solche Geschichten so gut wie jeden Tag auf den einschlägigen Nachrichtenseiten. Warum? Weil es JEDE SEKUNDE Aufregung im Netz gibt. Und zwar zu ZIRKA JEDEM THEMA. Es ist nichts Besonderes und besitzt deswegen eine Aussagekraft von stark gegen null tendierend. „Hund beißt Mann“ 2.0 ist das.

Als wäre das nicht schon Argument genug gegen diese Geschichten, fehlt auch hier häufig die Zeit, das Geld, vielleicht auch der Wille, genauer hinzuschauen. Einzuordenen. Meine Lieblingsgeschichte seit vielen Jahren ist in diesem Zusammenhang die mit Julia Klöckner und Nestlé. Klöckner, damals für die CDU Bundesverbraucherministerin, postet auf allen dankbaren Social Media-Kanälen ein Video von sich und dem Nestlé-Chef Deutschland. Das wirkte auf nicht Wenige etwas befremdlich und zu werbig. Und mit „nicht Wenige“ meine ich nicht „das Netz“. Auch aus ihrer eigenen Partei meldete sich die ein oder andere, sagen wir mal: nachdenkliche Stimme.

Wie immer, meldeten die sich auch „im Netz“. Und wie immer, mischten sich unter die nachdenklichen auch die obszönen Stimmen. Die, die man im analogen Leben sehr schnell rausfiltern würde als nicht aussagekräftig, weil in Duktus und Habitus einer am Diskurs eher nicht interessierten Minderheit angehörig. Natürlich wurde Klöckner auch als „Hure“ bezeichnet. Es gibt kaum eine Tat oder Äußerung von Frauen mit einigermaßen Reichweite, auf die nicht einer oder mehrere Primitivlinge reagieren. Das ist überhaupt nicht in Ordnung; ich gebe so etwas zum Beispiel immer weiter an meine Anwälte. Nur weil ein paar Leute charakterlich abgenutzt sind, sollte man nicht auch Abnutzungserscheinungen bei sich selbst hinnehmen und solchen Ausfällen qua Gewöhnung nur noch mit müdem Achselzucken begegnen. Meine Meinung. (Und nein, Herbert648492, ich habe nicht zu viel Zeit. Ich nehme sie mir, um solche Unverschämtheiten nicht einfach hinzunehmen.)

Eine der wirklich großen Websites nutzte den Ärger um Klöckners Video für einen „So reagiert das Netz“-Text. Und zitierte quasi an erster Stelle den „Hure“-Tweet. Den jemand abgesetzt hatte, der nicht nur über keine Kinderstube verfügte, sondern auch über so gut wie keine Follower, keinen Klarnamen und kein Profilbild. Der Tweet hatte zudem bei anderen Usern weder Applaus noch Entrüstung hervorgerufen. Entweder hatte ihn schlicht und einfach niemand gesehen, oder aber man hatte ihn ignoriert. So wie man den grölenden Typen in der Fußgängerzone ja auch ignoriert. Weil der immer grölt und keinen Einfluss auf irgendwas hat außer auf die Dezibelzahl.

Da müsste man sich ja eigentlich als Journalist als Allererstes fragen: Wofür steht dieser Tweet? Welche Denkrichtung repräsentiert er? Für welche relevante gesellschaftliche Strömung spricht der Urheber? Antwort: Für keine. Der Tweet stammte nicht von einem prominenten Vertreter einer anderen Partei, sodass man mal die Frage stellen müsse, wohin der politische Diskurs eigentlich perspektivisch qualitativ steuert. Er stammte nicht von Til Schweiger, bei dem sich diese Frage ja auch seit einiger Zeit stellt. Cathy Hummels war nicht dran beteiligt, auch von keinem Nestlé-Mitbewerber. Dahinter steckte nicht die damalige Kanzlerin, was natürlich tatsächlich auch einen gewissen News-Wert besessen hätte – also, warum zitiert man ausgerechnet diesen Tweet, wenn es nirgendwo im Text um die generelle Verrohung unserer Gesellschaft geht?

Das ist eine rhetorische Frage. Die Antwort darauf lautet natürlich: Klickbait. Seien wir mal ehrlich: Am Liebsten würden die Seiten ihre Geschichten mit „Darüber kotzt das Netz“ überschreiben. Das aber verbietet der Anstand. Also zitiert man die unappetitlichen vebalen Ausscheidungen diejenigen, die über eben jenen nicht verfügen und erhofft sich so viele Leser und in Folge viele zahlende Werbekunden.

Und im Nebenzug erweist man in diesem konkreten Falle Julia Klöckner noch einen Gefallen. Was ihr gewieftes Team nämlich wusste: Eine solche falsche Gewichtung ist die exakt richtige Vorlage für eine tiptop Verteidigungsstrategie. Wenn nämlich schon bei den Profis in der Redaktion von xy.online ganz offensichtlich wenig Wissen darüber herrscht, wie repäsentativ dieses Gepöbel für die laufende Debatte „im Netz“ ist – dann wissen die Leute da draußen das erst recht nicht. Also sprach die Ministerin, der zu große Nähe zur Industrie und zu großer Abstand zu den Verbrauchern vorgeworfen wurd,e von „Hatern“. Und versuchte so, die Debatte downzugraden auf das, was ja eh immer „im Netz“ los ist: Hass, Häme, substanzlose Kanalisierung von orientierungsloser Unzufriedenheit.

Das Netz kotzt. Und Kenner des Netzes gleich mit.