2022, an zwei Schicksalen erzählt.

2022, an zwei Schicksalen erzählt.

Margit.

Margit ist eine liebe Bekannte in den Sechzigern. Zwei ihrer Kinder und vier Enkel leben in Japan. Letztes Jahr (Corona) musste Margit zittern und dann sehr kurzfristig abreisen, um ihre Liebsten über Weihnachten sehen zu können: Die japanische Botschaft rief sie an und sagte: „Sie haben ja Ihr Visum. Reisen Sie lieber jetzt, das Zeitfenster schließt sich vermutlich schnell wieder. Bald kommt niemand mehr rein!“

Dieses Jahr ist das nicht so kompliziert. Japan ist auch gelassener geworden, die Zahlen und die Schwere der Infektionen geben das aus Sicht der Regierung her. Heute Morgen ist Margit abgereist in Richtung Tokio. 15 Stunden wird sie insgesamt in Flugzeugen sitzen. Dazu gleich noch mehr.

Eigentlich wollte sie sich am Samstag von ihrem dritten Kind, ihrem Sohn, und seiner Familie, die hier in Berlin leben, verabschieden. Ging nicht: Seine Frau und alle drei Kinder haben seit einer Woche 40 Fieber. Kein Arzt kommt. Ins Krankenhaus wollen sie nicht, weil ihnen dort nach Aussage am Telefon bis zu 12 Stunden Wartezeit drohen. Die Familie hat ein Wochenendhaus auf dem Land. Werde es bis Mitte dieser Woche nicht besser, packe er die vier Patienten ins Auto und fahre mit ihnen dort hin, sagt Margits Sohn. Dort seien die Kliniken und Praxen vielleicht nicht so überlaufen. Hier in Berlin müsse man in Anbetracht einer Warteschlange auf dem Bürgersteig inzwischen schon raten: Kinderarztpraxis oder Wohnungsbesichtigung?

15 Stunden also wird Margit unterwegs sein. Normalerweise kostet sie die Reise neun Stunden. Jetzt aber herrscht Krieg. Die Route spart Russland aus.

Anna.


Anna ist meine Friseurin. In den Hochzeiten von Corona wurde es eng für sie. Der Laden verschlang weiterhin Miete, brachte aber keine Einnahmen. Anna schrieb ihre Kunden irgendwann an und bat um Spenden, um den Salon weiter halten zu können. Es klappte.
Anna öffnete den Laden wieder, als es ging. Verlor eine Mitarbeiterin, die sich inzwischen anderweitig orientiert hatte. Nicht innerhalb der Branche; sie arbeitet jetzt nicht mehr als Friseurin. Eine gute Nachfolge fand Anna nicht. Der Fachkräftemangel – und: die hohen Mieten. Die sind dort, wo Annas Laden sitzt, sehr hoch. Anders als das Einkommen als Friseurin. Sprich: Die Arbeitswege sind weit. Da fangen die Leute lieber im Salon im selben Kiez an, in dem sie auch wohnen.

Und auch als es keine Lockdowns mehr gab, gab es dennoch noch Corona. Kunden, die sehr kurzfristig absagten. Also unabsehbare Einnamen bzw. wegbrechende Einnahmen. Anna legte deshalb ihre Kunden immer möglichst auf einen Tag. Und wenn dann in der Kita ihrer kleinen Tochter wieder Ausnahmezustand herrschte und Anna ihr Kind zu Hause betreuen musste, brach direkt ein Batzen Geld weg.

Dann kam die Energiekrise. Anna musste die Preise erhöhen. Und hatte wieder Sorgen, dass Kunden das nicht mitmachen.