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Raider heißt jetzt Twix – Twitter gehört jetzt Musk.

Twitter gehört jetzt Elon Musk. Es ist nicht so, dass ich jetzt ein Feuerwerk nach dem anderen abfackle, aber Heuchelei bringt ja auch niemanden weiter. Wir müssen nicht so tun, als wäre mit dem heutigen Tag aus Walton‘s Mountain oder Stars Hollow plötzlich Stalingrad geworden.

Dass Twitter genau so wie die anderen Netzwerke massive Probleme hat, hat mich zum Beispiel ein Buch schreiben lassen. Brachte jeden Tag Leute dazu, die Plattform zu verlassen. Wie etwa gerade erst SPD-Chefin Saskia Esken. Als ich gestern von ihrem Weggang las, spürte ich den Reflex, dazu etwas zu schreiben. Mir wäre aber nichts anderes eingefallen als das, was ich auch schon zur Twitter-Abkehr von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert oder der des damaligen Grünen-Chefs Robert Habeck geschrieben habe. Es ist total verständlich. Lediglich (wohlgemerkt, nicht „nur“) ihre Vorbildfunktion verbietet es meiner Meinung nach, zu gehen. Aber gut, wer bin ich schon?

Nun war es heute wohl noch ungemütlicher als sonst schon, schreibt Vice. Mehr Beleidigungen, vor allem gegenüber Frauen. Das N-Wort. Als hätten sich ein paar Spezialagenten gegenseitig überbieten wollen beim Gesehen-Werden-Wollen vom großen Maestro. Spezialagenten, also die, die ich meine, sind ja oft ganz aufgeregt, wenn sie einen großen (also: reichen, mächtigen, großmäuligen) Mann riechen.

Gute Fragen, die sich an die Übernahme durch Musk ergeben, und eine super Erklärung zum Digitale-Dienste-Gesetz der EU liefert Markus Beckedahl. Für Audio-Fans hier auch ein Radio-Interview mit ihm zum Thema.

Und hier mein Lieblingstext des heutigen Tages. Kurz zusammengefasst: Wenn Elon Musks Performance als Twitter-Nutzer noch nicht dazu geführt hat, uns allen vor Augen zu führen, was für ein furchtbarer Typ er ist – seine Performance als Twitter-Besitzer wird das Übrige tun. Hoffen sie zumindest bei The Verge. Steile These, allein, mir fehlt der gute Glaube. Mein Menschenbild hat unter Twitter und Corona und auch der Kombination aus beidem etwas gelitten. Aber unterhaltsam. Zumal die Hoffnung ja bekanntlich – Sie wissen Bescheid. A propos Hoffnung: Mastodon, das wird nichts. Jede Wette. Das ist wie damals, als alle von WhatsApp nach der Übernahme durch Facebook (heute „Meta“) zu Signal wechseln wollten.

Schönes Wochenende!

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2015 darf sich nicht wiederholen

2015 kamen viele Menschen nach Deutschland. Sie kamen aus Syrien, aus Afghanistan. Aus dem Irak, aus anderen Staaten. Flüchtlinge? Migranten? Ein großer Unterschied. An die Begriffe „Flüchtling“ und „Migrant“ drücken unterschiedliche Sachverhalte aus, an die rechtliche Fragen geknüpft sind wie etwa asylrechtliche. An beide Begriffe sind, so sie korrekt verwendet werden, neutrale und sachliche Aussagen geknüpft.

Der Begriff „Flüchtlingskrise“ funktioniert da schon anders. War es eine Krise? Was genau definierte das, was der damalige AfD-Vorsitzende Alexander Gauland ein “Geschenk“ für seine Partei nannte? Die kletterte mit ihrer deutlichen Ablehnung und Ideen wie der, im Zweifel könnten Polizisten an der Grenze auch auf Menschen schießen, die nach Deutschland kommen wollten, aus der politischen Nicht-Mehr-Existent-Zone. Momentan führt die AfD in manch ost-deutschem Land die Umfragen an. Oder meinen diejenigen, die “Krise“ sagen die nicht systematische Erfassung der damals Herkommenden? Die nebulöse Kommunikation der Merkel-GroKo darüber, ob es einen Masterplan gebe – und wie der denn wohl aussehe? Oder aber meint “Flüchtlingskrise“ Ereignisse wie Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, einen völlig enthemmten, hasserfüllten, ja: hässlichen Mob zum Beispiel im sächsischen Freital, der sich mit primitiven Mitteln gegen die Aufnahme von Geflüchteten “aussprach“?

Was sicherlich auch zur Krise gehörte: die teilweise mit voller Absicht, teilweise aber auch aus Unachtsamkeit (man könnte auch schreiben “Schlampigkeit“, qed: Sprache ist wichtig) in Medien verwendeten Begrifflichkeiten.

Von “Flüchtlingswelle“ zum Beispiel las und hörten wir da. Als wären Menschen eine Bedrohung, eine Naturkatastrophe. Dasselbe gilt für „Flüchtlingsstrom“. Und eben für „Flüchtlingskrise“: Dieses Wort suggeriert, Flüchtende wären die Verursacher einer Krise. Von Neutralität kann also keine Rede sein. Trotzdem wird es gerade wieder fleißig verwendet. Auch von Medien, die einer Agenda unverdächtig sind. Es hat sich eingebürgert. So funktioniert Diskursverschiebung.

Ob 2015 sich wiederholt – eine wahnsinnig theoretische und komplexe Frage. Die, ob es sich sprachlich wiederholt, lässt sich hingegen jetzt schon beantworten: Es wiederholt sich. Leider.

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Kurz mal einen raushauen

Wer kennt es nicht: Follower, die mal eben eine Behauptung mit wegweisendem Effekt aufstellen, würde sie stimmen, die sich allerdings mit der billigsten aller „Recherchen“ (aka Google) binnen drei Sekunden widerlegen lässt und dann antworten: „Ach so, ja, wusste ich nicht.“ Aus Faulheit, selber einmal nachzulesen; aus Geltungsbedürfnis, das alle anderen Mechanismen stumm schaltet; aus Unwissenheit. Alles möglich.

Ich würde behaupten, Karl Lauterbach, Friedrich Merz und Hubert Aiwanger wissen, wie man recherchiert. Sie kennen nicht nur Google, sondern auch Wikipedia. Königsklasse der Recherche quasi. Und sogar Primärquellen – manchmal sind sie ja sogar Primärquellen. Man kann davon ausgehen, dass sie das politische Geschehen aufmerksam mitverfolgen. Manche Belange gestalten und entscheiden sie ja sogar mit.

Umso erstaunlicher ist es, dass Lauterbach nonchalant twittert, Deutschland befinde sich im Krieg. Einiges an dem, was manche als Rumeierei kritisieren und andere als bedachtes Handeln respektieren, geht darauf zurück, Deutschland nicht als Kriegspartei dastehen zu lassen. Da es nicht das erste Mal ist, dass Lauterbach auf eigene Faust das Medium etwas schlankerhand bedient, das sich seinen Aufstieg ins Bundeskabinett auf die Fahnen schreibt (und ihn mindestens einmal pro Woche als den Rücktrittskandidaten der Ampel anprangert, man kennt ja nur zwei Eskalationsstufen), können wir getrost davon ausgehen, dass dieser Tweet nicht mit dem Rest des Kabinetts abgesprochen war. Zumal die Verteidigungsministerin ihn ja auch eingefangen hat.

Man kann auch davon ausgehen, dass Friedrich Merz weiß, dass in der Ukraine Krieg herrscht. Er war ja selber schon vor Ort. Und dass man Behauptungen wie die, Flüchtlinge aus der Ukraine seien „Sozialtouristen“ nicht als gesichert erachten kann, werden sie zum Beispiel via WhatsApp oder Telegram verbreitet. Dass die Identitäre Bewegung da auch ein eher ein problematischer Ideengeber ist, müsste er auch wissen. Er wird den hiesigen Verfassungsschutzbericht ja aufmerksam verfolgen, die IB findet sich darin als gesichert rechtsextrem. Merz wird auch wissen, dass man eine solche Behauptung, so man sie verbreitet, ohne sie geprüft zu haben, bedauert, dann besser nicht auch noch twittert. Und dass, sollte man erstens so eine Aussage getan, sie zweitens mit einiger Verzögerung auch noch gepostet und dann drittens doch wieder gelöscht hat – auch das Löschen öffentlich zu sehen ist.

Hubert Aiwanger wiederum sollte wissen, wie man retweetet. Oder aber er sollte sich erklären lassen, wie man effektiv und eben nicht transparent zwischen Erst- und Zweitaccount hin- und herschaltet.

Alle drei wissen: Twitter ist eine super Plattform, will man das eigene Programm, Denken, Handeln verbreiten. Alle drei müssen aber auch wissen und befolgen: Man muss verantwortungsvoll mit den sozialen Medien umgehen. „Dabeisein ist alles“, das gilt hier nicht. Im Gegenteil. Man kann viel kaputtmachen. Nicht nur das eigene Image, indem man entweder als schlecht informiert, kompasstechnisch schlecht kalibriert oder einfach medial inkompetent gilt. Man kann Vorurteile schüren, man kann dünnes Eis weiter in Richtung Einbruch treiben, man kann zeigen, wie weit entfernt man von der medialen Lebenswelt vieler Menschen entfernt ist. Man kann zeigen, dass man Verantwortung nicht gewachsen ist.

Und wir alle wissen, wie schnell solche Fälle von der Person auf die gesamte Branche übertragen werden. Stichwort: Politikverdrossenheit. In einer Demokratie kein guter Effekt, vorsichtig formuliert.

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F*ck Putin 🌻

Heute war ein spitzenmäßiger Tag, quasi eine Tag gewordene Werbung für erfolgreiches Erwartungsmanagement: Die völlig unfähige Wetterapp hatte für den ganzen Tag Regen vorhergesagt. Man war also auf das Schlimmste vorbereitet. Heute Morgen zeigte die Sonne der App dann einen bestens gelaunten Finger. Also sind alle ganz schnell raus.

Insgesamt hat es mit Unterbrechung 1,5 Stunden geregnet. Die haben wir in einem wirklich guten, sehr west-deutschen Gasthaus in Dahlem verbracht. Bis auf „Klar können Sie Nudeln statt Pommes zum Schnitzel haben, kostet aber 4 Euro extra“ war es da tippitoppi. (Die Nudeln wollte ich dann nicht, es hackt wohl.)

Den Rest des Tages stapfte ich mit einigen un-hackenden lieben Menschen über einen großen Bauernhof, der zum Erntedankfest eingeladen hatte. Um uns herum wurden selbstgemachte Bonbons verkauft, Kinder ritten auf glücklichen nicht-Kirmes-gequälten Ponys, Leute ernteten Kartoffeln und Kürbisse zum Selbstkostenpreis, ein Hahn krähte wie bestellt, Kühe muhten, ein Kälbchen niedlichte im immer noch grünsten Gras herum, umrahmt war das Ganze von sich rot färbenden Bäumen. Ich kam mir vor wie in Stars Hollow.

Bis auf ein Detail: Nachdem wir in der Runde, die zum Teil mit den Öffis angereist war, geklärt hatten, ob dort Masken kontrolliert worden waren (ja, hackt’s denn; natürlich nicht, wir sind hier in Berlin, man hatte nur die Tickets kontrolliert), abgeglichen, wer schon heizt und wer noch nicht, sagte jemand: „Putin setzt keine Atomwaffen ein. Ich bin mir sicher. Oder?“ Da hatten wir den oben abgebildeten Wagen gerade passiert. Ich bin dann noch mal die paar Schritte fürs Foto zurück. Es passt ja perfekt.

Wir haben ein bisschen diskutiert. Und es dann wieder gelassen. Wer guckt schon in Putins Kopf? Und vor allem: Wer hat schon Lust auf solche Gedankenspiele? Wenn man gerade essen war und ausnahmsweise mal nicht von der Bedienung angeblafft worden ist, nur weil man is(s)t.

Das Absurdeste aber: Die Stimmung danach war nicht nachhaltig getrübt. Wir hatten das Thema nicht zum ersten Mal. Der Mensch gewöhnt sich. Fast an jeden Wahnsinn. Das ist wohl unser Finger in Richtung Putin.

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Aus den Fugen

Der CDU-Chef und Oppositionsführer, der im Zusammenhang mit ukrainischen Flüchtlingen von “Sozialtourismus“ spricht.


Der Freund, der erzählt, wie er im Café in Prenzlauer Berg fragte, ob sie eine Steckdose für ihn übrig haben, an der er sein leergelaufenes Handy aufladen kann – und dies als Antwort erhielt: „Haben Sie eigentlich ne Ahnung, was Strom kostet?“ Sein Handy luden sie ihm dort nicht auf.

Die Freundin, die reihum fragt, ob wir anderen auch Angst vor dem weißen Blitz haben.

Der Vizepräsident des Bundestages und stellvertretende FDP-Vorsitzende, der den türkischen Präsidenten als “Kanalratte“ bezeichnet.

Die Bekannte, die ein Zimmer bei einer Familie gemietet hat in Berlin-Tempelhof, 700€ Miete dafür zahlt und nun schriftlich von der Familie, mit der sie sich die Wohnung teilt, mitgeteilt bekommen hat, dass sie nur noch zweimal die Woche duschen darf. Persönlich wollten sie es ihr nicht sagen. Aus Scham.

Das Ehepaar an der Fleischtheke, das Leberkäse kauft. Die Verkäuferin, die sagt: „Nehmen Sie ruhig mehr davon, den gibts bald nicht mehr, die Energiepreise!“ Die Frau, die daraufhin sagt: „Den Habeck, den müsste man wegsperren!“ Und ihr Mann, der ergänzt: “Und den Lindner gleich mit!“

Die Nachbarin, die sagt: „Wir haben jetzt einen Gaskocher, eine Platte, die man drauflegen kann für einen Topf, zwei Taschenlampen, Batterien en masse und den Keller voll mit Vorräten. Den Blackout kriegen wir hin.“

Die Freundin, die sagt: „In Hiroshima ist der Bambus damals schon nach zwei Wochen wieder heile gewesen. Meinst du, es macht Sinn, jetzt welchen zu pflanzen?“

Die Verwandte, die seit vier Tagen quasi nicht mehr anzutreffen ist, weil sie ihre Garage leerräumt und in Panik vor einem bislang unkalkulierbar teuren Winter alles zu verkaufen versucht, was sie dort findet und seit mindestens sechs Monaten nicht mehr benutzt hat.

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Gibt es guten Hass?

In Iran erheben sie sich. Gehen in Massen auf die Straße, protestieren, schneiden sich die Haare, legen das Kopftuch ab. Riskieren ihr Leben, verlieren es sogar auch. Der feministische Aufstand vereint Frauen und Männer in ihrer Wut auf das Regime, nachdem die 22-jährige Mahsa Aminidas in Teheran von der Sittenpolizei wegen zu legeren Tragens ihres Kopftuchs festgenommen worden war und anschließend starb.

Ein Aufstand im Jahr 2022, in einem Land, in dem Unterdrückung herrscht und demnach auch Zensur. Es ist das klassische Setting, die klassische Chance für alternative – für: soziale Medien.

Die in Iran 2009 schon mal eine zentrale Rolle gespielt haben, nach der Präsidentschaftswahl. Als der Hardliner Ahmadineschad erneut an die Macht gekommen war, nutzten Dissidenten vor allem Twitter, um ihre Proteste zu organisieren und die Bilder davon in die Welt hinauszusenden. Vorbei an Pressesperren. Das Time Magazine feierte Twitter damals als das „Medium der Bewegung“. Der Ruf von Social Media war (kurz) aufpoliert.

Es war auch das Time Magazine, das Mark Zuckerberg nur ein Jahr später zum Menschen des Jahres erklärte. Zuckerbergs Facebook hatte ebenfalls eine glorreiche Rolle gespielt, nämlich im Arabischen Frühling. Nicht nur die Medien, NGOs – nein: die ganze Welt lag Zuck zu Füßen. Die Rede war gar von der „Facebook-Revolution“, so wichtig war das Netzwerk gewesen im Versuch der Oppositionellen, sich ihrer Herrscher zu entledigen und sich eine Demokratie zu erkämpfen.

Inzwischen gehören zu Zuckerbergs Imperium, dem Meta-Konzern, neben Facbook auch WhatsApp und Instagram. Letzeres zählt in Iran zu den meistgenutzen Plattformen. Journalisten in Iran schreiben nun, Meta lösche regimekritische Inhalte. Der Konzern arbeite gar mit dem Regime zusammen. Meta dementiert und weist auf seine Gemeinschaftsrichtlinien hin, die Aufrufe zu Hass oder Gewaltdarstellungen verbieten.

Lassen wir mal beiseite, wie konsequent und wie effektiv bzw. eben nicht Meta im Kampf gegen diese Phänomene im Alltag ist. Es stellt sich nämlich eine ganz grundlegende und auf den ersten Blick unheimlich zynische Frage: Gibt es guten Hass? Oder anders: Nach welchen Maßstäben sollten soziale Netzwerke eingreifen? Oder aber, fangen wir noch grundlegender an: Was sind soziale Netzwerke?

Sind soziale Netzwerke lediglich eine userfreundliche Oberfläche, die wir anwenden können, um unsere Inhalte dort zu verbreiten? Sind diese nur an uns gebunden? An unsere Vorstellung von Moral – oder aber an die Gesetze unseres Herkunftslandes? Oder aber an die Gesetze unseres Aufenthaltsortes – also des Landes, in dem wir uns zum Zeitpunkt eines Posts aufhalten?

Könnte ich – dazu später mehr – während meines Urlaubs in Spanien auf Facebook den Holocaust leugnen (das ist in Spanien seit 2007 nicht mehr verboten)? Oder würde ich bei meiner Rückreise nach Deutschland dafür belangt? Oder was wäre, hätte ich mich im in Spanien über einen kleinen Trick über Deutschland ins Netz eingeloggt, weil ich beispielsweise Sportinhalte sehen will, für die eine deutsche Website keine Streamingrechte im Ausland besitzt?

Kriege ich ein Problem, wenn ich auf Twitter den Völkermord an den Armeniert geleugnet habe und dann nach Griechenland reisen will? Oder ihn sogar während meines Aufenthalts dort leugne? In Griechenland ist das nämlich verboten.

Kommen wir zurück auf das Beispiel Holocaustleugung. In Deutschland, dem Land des Tätervolks, ist sie verboten, in den USA nicht. Und auf Facebook war sie es auch lange nicht. Eine Gangart, die Mark Zuckerberg (der Jude ist) wiederholt verteidigte mit Verweis auf die Redefreiheit – und indirekt mit dem Argument, Facebook stelle quasi lediglich die Infrastruktur: Es sei nicht Ziel der Plattform, so Zuckerberg, seine Nutzer davon abzuhalten, Unwahrheiten zu schreiben. Einige Jahre lang war Facebook deshalb laut deutschem Gesetz (NetzDG) dazu verpflichtet, Holocaustleugnung zu löschen, sofern sie von Deutschland aus gepostet wurde. Vorher sah eigentlich auch schon das Telemediengesetz, Stichwort: Störerhaftung, eine solche Verantwortung bei den Plattformen. Allerdings wurde da nicht wirklich konsequent geahndet.

Dann änderte Zuckerberg seine Meinung (!) und im Zuge dessen wurden auch die Gemeinschaftsregeln verändert: Der Holocaust darf nun auch bei Facebook nicht mehr geleugnet werden, egal, von wo aus das geschieht.

Klingt gut, oder? Besser spät als nie. Wenn Männer wie Zuckerberg oder auch Elon Musk, der ja behauptete, seine Satelliten den von Russland überfalnenen Ukrainern zur Verfügung zu stellen, mehr solcher Entscheidungen und Taten vollbringen würden – die Welt wäre ein besserer Ort. Nur: Wer sagt uns denn, dass dermaßen viel Macht in die Hände von Menschen fällt, die sie gut einsetzen? Wer definiert eigentlich gut? Vor allem, wenn Gut und Böse nicht so plakativ verteilt sind?

Nächste Frage: Mit wem kooperieren die Plattformen, nach wem richten sie sich in solchen Entscheidungen? Folgt Meta einem moralischen Kompass? Oder entscheidet es nach gewinnmaximierenden Maßstäben – denn es ist ja neben der sehr hybriden Infrastruktur/Kurator-Rolle auch (vor allem) ein Unternehmen. Das Geld verdienen möchte. Und angesichts sinkender Gewinne erschreckend schnell nervös wird und an aus vermeintlich altruistisch-moralischen Beweggründen getroffenen Entscheidungen wieder rührt, zum Beispiel in der Frage, ob Fake News zu Corona ok sind oder nicht.

Nehmen wir an, die Behauptungen stimmen: Meta mischt sich ein und richtet sich nach den Wünschen der iranischen Mullahs. Es wäre nicht das erste Mal, dass Meta eingreift. Zuckerberg selbst hat eingegriffen, wie er 2018 in einem Interview erzählte, als auf Facebook zum Genozid gegen die muslimische Minderheit der Rohingya in Myanmar aufgerufen hatte. ES wird kein Zufall sein, dass Zuckerberg diese Geschichte preisgab, zumal im Jahr 2018: Eben da dokumentierten die UN, wie bedeutend und unheilvoll Facebooks Rolle für die orchestrierten und tödlichen Hasswellen gegen die Rohingyas gewesen war. Mit der Schilderung, wie er höchstpersönlich an einem Samstag aktiv geworden und zum Schutz der Rohingyas beigetragen hatte, sichert Zuckerberg sich und seinem Unternehmen Sympathien.

Denn Hass gegen eine Minderheit – das findet niemand gut. Generell ist Hassrede in den sozialen Netzwerken ist ein ernstzunehmendes Problem, die Kritik an den Plattformbetreibern wurde in den vergangenen Jahren (in Wellenbewegungen) lauter.

Aber es gibt ein Dilemma: Gibt es guten Hass? Soll Instagram dann Hass zeigen dürfen, wenn er sich gegen die Bösen richtet? Ist das eine moralische Frage? Eine kuratorische? Die sich moralisch beantworten ließe?

Gibt es guten Hass? Wer definiert ihn? Und, damit schließen wir den Kreis: Wo und wann unterwirft sich Meta, unterwerfen sich andere Konzerne dem Recht von Nationalstaaten? Wenn Meta sich als Kurator versteht, als ein aufklärerisches Medium – muss es dann nicht zum Beispiel das Posten von Videos von Steinigungen etwa von Frauen in Iran erlauben, damit die Welt sieht, was da los ist? Fällt Facebook unter einen Pressekodex? Irgendeinen Kodex? Wer würde, da ist sie wieder, die Frage, diesen Kodex definieren? Oder braucht es nicht vielmehr Gesetze? Wer definiert die? Wer setzt sie durch? Die EU hat 27 Staaten, die sich kaum auf etwas einigen können – wie soll sich die Welt auf irgendein verbindliches und wirklich tiefgriefendes Regelwerk einigen können? Für etwas, das es vorher noch nie gab?

Ich stelle nur Fragen. Lieber hätte ich Antworten.

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Isch eskaliere

Während der Zeit, in der ich oft und regelmäßig in Israel arbeitete, diskutierte das Land über einen Gesetzentwurf: Nazi-Vergleich im israelischen Parlament, der Knesset, sollten endlich verboten werden. Nazi-Vergleiche – ausgerechnet in Israel? Ja, es stimmt wirklich. In Israel gehörten sie im Parteienstreit, ich zitiere: zum „Standardvokabular.

Generell ist die Auswahl an Eskalationsstufen in Debatten mit und innerhalb von Israelis einigermaßen begrenzt. Im Autoverkehr ist das dermaßen hörbar, dass der damalige Mann an meiner Seite sich weigerte, noch als Beifahrer mit mir in mein Auto zu steigen: Ich hatte mich nach seinem Geschmack zu stark vom Prinzip: „Hupen und Schimpfen, Rest regelt sich von selbst“ überzeugen lassen, das auf den Straßen Israels gilt.

Mittlerweile, so mein Eindruck, geht der Trend global gesehen weg von vielen Nuancen auf der Eskalationsleiter. So global sogar, dass das Wetter diese zweifelhafte Mode mitmacht. 15:30:30 Uhr: „Diese Hitze!“ – 15:30:33 Uhr: „Wo ist meine Winterjacke?!“ So fühlte sich dieses Jahr das an, was wir einst den Übergang nannten. In dem wir einander obendrein fragen: „Heizt ihr schon?“

Um das Bild zu vervollständigen: Wer Eskalation sagt, muss natürlich auch „Social Media“ sagen. Vorgestern twitterte ich eine wieder mal ganz kolossal großartige „Torte der Wahrheit“.

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Isse nicht wieder grandios? Kann man finden, muss man natürlich nicht, klar. Aber: So sind die Zeiten ja nicht. „Widerwärtig“ lautete das verbale Geschoss, das jemand als Reaktion abfeuerte. Seiner Ansicht nach fehlten wichtige Themen in der Auflistung. Krieg, Artensterben und Klimakatastrophe scheinen nach seinem Empfinden nicht die aktuell höchststehenden Probleme zu sein. Das ist ja völlig legitim, es könnte ja durchaus bereichernd sein, seine Begründung zu hören, an seiner Abwägung teilhaben zu können. So funktionieren Debatten. Aber, man kann es nicht ändern, er konkret wollte es nicht ändern: Auch auf Nachfrage blieb es bei seinem Urteil: „Widerwärtig.“ Reiht sich ein in das mal eben kurz gefällte Urteil einer Autorin, die das Buch eines Journalisten zur ja ohnehin unfassbar aufgeladenen Debatte um die „Cancel Culture“ schlankerhand als „Schande“ verdammte.

Wer kann, der muss, scheint die Devise der Stunde zu sein. Warum kleckern, wenn man klotzen kann? Ich mache mir das jetzt womöglich mal zu eigen. Der Postbote etwa kommt, die Nachbarschaft ist sich in ihrer Beobachtung einig, derzeit nicht täglich. Man könnte sich mal bei der Bundesnetzagentur erkundigen, durchaus beschweren. Aber will ich altmodisch wirken? Nein, ich will nicht altmodisch wirken. Bei seinem nächsten Besuch mache ich sein E-Bike zu Kleinholz.

A propos Nachbarn: Die Alarmanlage des Autos eines Nachbarn geht ständig los, aus dem Nichts, ohne Grund. Also, jedenfalls ohne den Grund, für den sie gedacht ist: versuchter Diebstahl. Der Grund ist vielmehr ein technischer Defekt. Beim nächsten Mal leg ich ihm eine tote Ratte vor die Tür. Was ich mit dem Nachbarn mache, der eine andere Partei wählt als ich, überlege ich mir dann noch. Zweimal tote Ratte ist ja langweilig.

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Ordentliche Selbstbestrafung

Meine Magisterarbeit habe ich zu 99 Prozent zu Hause geschrieben. Ich bin gerne zu Hause, kann mich gut selbst disziplinieren und lasse mich schnell von äußeren Reizen ablenken. Also schrob ich daheim. Dafür musste ich viele Bücher ausleihen. Sehr viele.

Eines Tages ließ ich den Blick vom Schreibtisch durch mein Wohn-/Arbeitszimmer schweifen, schweifte hin, schweifte zurück, schweifte ab – und blieb an einer Kiste hängen. Warum stand diese Kiste dort? Welchen Inhalts war diese Kiste?

Meine Untersuchung ergab: In dieser Kiste lagen sehr viele Bücher. Die ich zu Beginn meiner sechsmonatigen Schreibzeit gebraucht hatte. Nun war ich fast fertig. Kurz war ich benommen, dann fasste ich mir ein Herz, packte die Kiste und fuhr in die Stabi. Manche Dinge muss man handhaben wie Pflasterabreißen.

In der Rückgabestelle staunte man nicht schlecht. Zumindest, bis ich ein Drittel der Bücher auf den Tresen gelegt hatte. Ab da war der Berg schon so hoch, dass die Miene des Mitarbeiters dahinter verschwand.

Nach langer Stille, nur unterbrochen vom grob über den Daumen gepeilt 150-fachen Piepsen des Scanners, nannte der Mann mir eine Summe. Als ich wieder bei Bewusstsein war, fragte ich, ob Kartenzahlung ginge. Raten Sie mal: 2004, Staatsbibliothek. Also machte ich mich auf den Weg zum Geldautomaten.

Bei meiner Rückkehr war der Mitarbeiter nicht mehr alleine. Er hatte ein paar Kollegen dazu geholt. Schaulustige könnte man sie auch nennen. Ich konnte sie verstehen. Mit schmalen Lippen zahlte ich und warte seitdem auf die Umbenennung in „Nicole Diekmann-Bibliothek“. Hat man bisher wohl vergessen.

Was ich vergessen konnte, war das Heather Nova-Konzert, auf das zu gehen ich vorgehabt hatte. Das verbot ich mir. Nicht aus finanziellen Gründen, darauf kam es nun wirklich nicht mehr an. Sondern aus pädagogischen.

Und weil ich so funktioniere, habe ich nun endlich, ich möchte es laut tirilierend wiederholen: ENDLICH einen aufgeräumten Keller.

Seit zweieinhalb Jahren hat der Gedanke an diesen Keller mir schlechte Laune gemacht und saß mir wirklich schwer im Nacken mit kontinuierlicher Tendenz zum schwerer Werden. Eine von mir nur halb lustig gemeinte These lautet, dass ich mein Buch geschrieben habe, um eine Ausrede fürs NichtKellerAufräumen zu haben.

Gestern fiel mir durch eine Verkettung von Zufällen auf, dass ich finanziellen Mist gebaut habe. Eine 100%-ige Eigenleistung, bedingt durch Bequemlichkeit, Unkonzentriertheit und Unwillen. Ich kann hier nicht ins Detail gehen, weil ich niemanden auf dumme Gedanken bringen will und mein kaufmännisch ausgebildeter und -gefuchster Vater mich wohl zur Adoption freigeben würde, würde er davon erfahren. Ich will auch gar nicht ins Detail gehen, weil es wirklich peinlich ist. Finde ich. Die ich in einem eben kaufmännisch geprägten und sehr ordentlichen und sparsamen Haushalt aufgewachsen bin.

Nun habe ich kein Vermögen an der Börse verjubelt. Dazu müsste ich ja eins (gehabt) haben. Oder auf falsche Berater vertraut. Ich bin ja nicht Steffi Graf. Es ist keine Katastrophe. Ärgerlich, das ja.

Was aber nun passiert, ist folgendes: Die „Schöner Wohnen“ kann sich schon mal ready machen. Um halb sechs heute Morgen bin ich aus den Federn, habe die Sommersachen verräumt, allen zu erledigenden Papierkram erledigt, auf dem Rückweg aus dem Büro notwendige Herbst- und Wintersachen gekauft und anschließend DEN KELLER AUFGERÄUMT. Und so wird das hier weitergehen. Damit mir sowas nicht noch mal passiert.

Ich fühle mich wie eine Mischung aus Marie Kondo und einem Opus Dei-Mitglied. Mit einem sensationellen Keller. Immerhin.

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Berlin rastet aus: ein neuer Supermarkt!

Ich lebe seit 17 Jahren in Berlin. In der größten Stadt, in der ich bisher je gelebt habe. Gebürtig stamme ich aus Gütersloh. Da wurden wir quasi jedes Jahr zum Zählappell gebeten, weil wir ENDLICH die 100.000 durchbrechen wollten. Hat erst nach meinem Wegzug geklappt. Worin ich keinen Zusammenhang sehe.

Gütersloh ist ein Dorf. Ob 80.000 oder über 100.000 Einwohner – Gütsel besteht aus einem Kern und vielen eingemeindeten Bauernsprengseln drum herum. (In die wir Kerngütersloher ab Teenie-Alter an den Wochenenden zum Feiern gefahren sind, aber die völlig missglückte Freizeit-Politik meiner Heimat ist ein anderes Thema und womöglich zu nischig.)

Alle kennen in Gütersloh also alle. Ich finde dieses Konzept ja schön. Meine Eltern waren selbstständig, meine Großeltern auch, dazu waren alle auch noch Vereinsmeier und Stammtischler. Zogen mein Vater oder auch meine Mutter und ich durch die Stadt, winkten wir abwechselnd bis zum Abwinken in sämtliche Richtungen. So definiere ich Geborgenheit.

Gut, Provinz bringt natürlich nicht nur Vorteile mit sich. Diskretion, Rebellion oder Rumstümpern spielen sich selten im Verborgenen ab. Einmal zum Beispiel tönte ich mir heimlich bei einer Freundin die Haare lila, fuhr die ca. 10 Minuten Distanz mit dem Rad nach Hause – und erlebte dort statt des Überraschungs- nur den Entsetzenseffekt. Eine Freundin meiner Mutter hatte mich von ihrem Laden aus gesehen und direkt die Style-Polizei meine Eltern informiert. Ähnlich lief es ab, als ich mit sehr frischem Führerschein einem Kumpel meines Vaters den Seitenspiegel abfuhr.

Bei allen Nachteilen für Fahranfängerinnen und Jugendliche auf der Suche nach der optimalen Haarfarbe („Wildpflaume“ ist es jedenfalls nicht) – ich liebe ja Provinz. Wenn ich viele Leute kenne, grüße, zufällig treffe und über Jahre begleite, finde ich das schön. Nach Berlin bin ich nicht gezogen, weil ich die Anonymität der Großstadt schätze. Sondern, weil ich jemanden sehr schätzte und diese Anonymität dafür in Kauf genommen habe.

A propos Kauf: Heute fühle ich mich, als wäre ich wieder in Gütersloh. Heute hat nämlich der Edeka an der Winsstraße endlich geöffnet, und das hat tatsächlich zu einem kleinen Twitterdialog geführt mit Leuten hier aus dem Kiez. Wir freuen uns! Vor ich glaube sechs Jahren war das Haus, in dem sich der Vorgänger-Supermarkt befunden hatte, abgerissen worden, und nun ist der Neubau fertig. Ich möchte eine Nachbarin zitieren, die ich heute flugs informierte:

Nun ist es nicht so, dass wir hier einen Mangel an Supermärkten hätten. Ich lebe, Klischees kommen nicht von ungefähr, im Prenzlauer Berg, und die Infrastruktur ist tipptopp. (Ist sie aber auch in Gütersloh-Avenwedde oder Harsewinkel zumindest in dem Maße, dass ein neuer Laden da jetzt nicht zu dreitägigen ekstatischen Paraden führen würde.)

Nein, wir haben keinen Mangel an Supermärkten. Wir haben einen Mangel an Freundlichkeit.

Durch den temporären Wegfall des ehemaligen „Flirt-Kaisers“, so hieß der jetzige Edeka einst wegen der dort legendären Anbahnungsquote zwischen Fleisch und Pflaumen, mussten wir ausweichen. Unter anderem auf einen Markt, in dem nicht der Kunde König ist, sondern der motzigste Mitarbeiter oder die motzigste Mitarbeiterin.

Man ist hier ja viel gewohnt. Im Café: „Welchen Kuchen haben Sie denn heute?“ – „Steht allet inna Vitrine!“ Beim Bäcker: „Entschuldigung, ist das Brot frisch?“ – „Nee, sind Sie et?!“ Beim Italiener, den der „Lonely Planet“ wegen seiner unfreundlichen Mitarbeiter anpreist (wie irre kann man sein?): „Könnten wir die Nudeln vielleicht auch als Kinderportion haben?“ – „Nein, könnt Ihr selber zu Hause kochen.“

Im Ausweichsupermarkt würde man vom Rest der Belegschaft vermutlich geächtet, würde man so mit der Kundschaft reden. Weil man den Kodex verletzen würde. Zu freundlich.

Nun also haben wir wieder Sonne im Herzen, denn egal, wer im neuen Edeka wohl arbeitet: Es kann nur freundlicher sein. Morgen werde ich mir das in aller Ruhe anschauen, und habe auf Twitter schon versprochen, zu berichten. Flirten will ich nicht. Nur ein paar Bananen kaufen. Und nicht angeschrien werden. Ost-Berlin eben.

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Kühnert macht den Habeck.

Kevin Kühnert hat sich bei Twitter abgemeldet. Twitter führe zu „Irrtümern in politischen Entscheidungen“, so begründet der SPD-Generalsekretär seinen Schritt (€). „Etwas ist schiefgelaufen“ erscheint nun auf seinem Account. Findet Kühnert auch, irgendwie so prinzipiell und generell. Er macht also Twitter, eine Plattform, und ihre zugegebenermaßen äußerst schwierige Debattenkultur verantwortlich für Fehler bzw. Probleme seines Handelns.

Man könnte es auch so ausdrücken: Kühnert macht den Habeck.

Robert Habeck, damals noch Grünen-Chef, hat sich Anfang 2019 vom Kurznachrichtendienst verabschiedet. Der polarisierende Ton dort, der Zwang, zuzuspitzen, färbe auf ihn ab, schrieb Habeck dazu in seinem Blog. Was er dort auch sehr offen erwähnt, nicht aber als ausschlaggebenden Grund für seine öffentlichkeitswirksam inszenierte Abkehr nennt: dass er quasi zwei Mal denselben Fehler gemacht hat. Nämlich zwei Bundesländern durch eine ungenaue Formulierung quasi ihre demokratische Verfasstheit abgesprochen. Und das nicht etwa in einem Schwung – nein, im Abstand von mehreren Monaten. Beim zweiten Mal traf es Thüringen: „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land“, sagte Habeck in einem von den thüringischen Grünen anlässlich der dortigen Wahl im Januar 2019 veröffentlichten Video.

Ein demokratisches Land „wird“, sagte Habeck. Nicht „bleibt“. Das wäre auch eine schwierige Formulierung gewesen, wären die Grünen dort nicht gar an der Regierung beteiligt gewesen, als ihr Bundesvorsitzender seine unbedachten Worte sprach. Und damit auf übergeordneter Ebene erstens den Eindruck erweckte, schlampig zu sein und zweitens, nicht aus Fehlern zu lernen. Denn, wie bereits erwähnt, de facto war ihm mit Bezug auf Bayern im Oktober 2018 dasselbe passiert. Etwas war schiefgelaufen. Zwei Mal.

Nun also Kühnert. Der heute Morgen noch massiv kritisiert wurde wegen Äußerungen zu Panzerlieferungen an die Ukraine. Die er ablehnt. Es gibt ja kaum noch ein emotionslos diskutiertes Thema in den sozialen Netzwerken. Russland/Ukraine aber gehört eindeutig zu den großen Aufregern. Wenn man sich dazu äußert, zumal dermaßen exponiert und umstritten, ist auf Twitter einiges los. Die Hölle. Ein logischer Tag also, um seinen Account zu deaktivieren.

Ich kann es so gut verstehen. Denn auf den Plattformen ist ja auch sehr viel schiefgelaufen und läuft viel schief. Ich will hier niemanden langweilen, wir wissen das ja inzwischen alle. Aktuell steht mir der Mund noch offen, nachdem gestern jemand unter einem Tweet von mir irrtümlich Cottbus in Thüringen verortete und dafür von diversen Usern angefeindet wurde. Als ich darauf hinwies, dass man sich womöglich im Ton moderater äußern könne, antwortete mir wahrhaftig jemand, der Accountinhaber habe sich den Hass verdient. Es gehöre schließlich zur Allgemeinbildung, dass Cottbus in Brandenburg liegt.

Zur Allgemeinbildung gehört mittlerweile auch, dass Teile der Social Networks in der Hölle liegen.

Und trotzdem ist der Abgang die falsche Entscheidung, die falsche Schlussfolgerung, das falsche Signal. Politiker müssen in der Lage sein, zu kommunizieren. Ob es unbedingt offener Streit sein muss wie am Wochenende zwischen Armin Laschet und Markus Söder wegen der Frisur von Anton Hofreiter – nein, ich mache keine Scherze, sehen Sie selbst:

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…ob das sein muss, lassen wir mal dahingestellt. Aber gar nicht mehr dabei zu sein und dem dem Mob das Feld zu überlassen – das ist für eine Demokratie nicht gut. Als demokratischer Politiker kommt man seiner Vorbildfunktion damit nicht nach. Problematisch ist auch, nicht mal zu versuchen, es besser zu machen. A

ber schauen wir uns noch mal genau an, was wir aktuell auf Kühnerts Twitter-Account zu lesen bekommen:

„Erneut versuchen“. Vielleicht macht er das ja.