Der goldene Mittelfinger

Der goldene Mittelfinger

Soziale Medien als Frau? Nicht einfach. Soziale Medien als übergewichtige Frau? Ätzend. Vor allem, wenn man Sport treibt. Katastrophal wird es, wenn man professionell Sport treibt.

Diese Erfahrung musste Ash Pryor dieser Tage machen. Ash Pryor arbeitet für ein Unternehmen, das Sportgeräte für zu Hause anbietet, nebst dazugehörigen Onlinekursen. Dieses Unternehmen setzt auf Social Media, sehr stark sogar, und es setzt auf die Personalisierung seiner Trainerinnen und Trainer. Diese verknüpfen ihre Präsenzen bei Instagram, Facebook usw. sehr stark mit ihrem Job bei dem Unternehmen. „Privat hier“ ist da nicht gewünscht. Im Gegenteil – diejenigen, die auf den Bildschirmen der Kunden Spinning unterrichten oder Yoga oder etwas anderes, sind sogar dazu angehalten, ihre Kanäle auch im Sinne der Firma zu nutzen. Dahinter steckt der Gedanke, man sei eine große Familie, eine Community, die gemeinsam Sport macht und nett zueinander ist.

Nun zu Ash Pryor. Sie wird demnächst als Trainerin für das ebenfalls demnächst einzuführende Rudergerät arbeiten. Ein paar Daten: Ash Pryor trägt Größe 44. Ihre Sporthose hat Größe L, ebenso ihr Oberteil. Ihr Sport-BH ist eine XL. Finden Sie egal? Ob ich verrückt geworden bin, fragen Sie sich? Nein, ich nicht. Mir ist das auch egal. Vielen anderen aber nicht.

Nachdem Ash Pryor nämlich auf den Social Media-Kanälen ihres Arbeitgebers vorgestellt worden war, drehten dort einige durch. Ein Shitstorm entspann sich. Das Stichwort lautet „Bodyshaming“. Ich finde ja, dass wir längst aus der Phase raus sind, in der sich selbst die von den sozialen Netzwerken Lichtjahre Entfernten kein Bild vom dort teilweise herrschenden Ton machen können. So oft und so viele Entgleisungen, die dort ständig zu lesen sind, wurden mittlerweile zitiert und diskutiert. Das ist gut, denn das Problem muss in seiner Dimension ja verdeutlicht werden. Aber, wie gesagt: Das ist es inzwischen hinlänglich. Man muss da aufpassen, dass man nicht (wenn auch oft unfreiwillig) voyeuristische Gelüste bedient. Dieser Kipppunkt ist erreicht. Deshalb hier keine Beispiele oder Zitate, Sie alle können sich ja leider vorstellen, was da zu lesen war.

So. Und Ash Pryor hat sich offensichtlich viel dazu durchgelesen. Sie wird damit gerechnet haben, dass es unangenehm wird. Wie gesagt: Wir alle kennen das ja nun. Aus eigenem Erleben oder aber durchs Mitlesen oder Darüber-Lesen. Und eine Frau mit den oben angegebenen Kleider-Größen erlebt es öfter auch im Analogen, mies behandelt zu werden. Und wenn sie dann nicht nur Sport treibt, sondern sogar Sport trainiert, erst recht. Nur war es, schreibt Ash Pryor auf Instagram, dieses Mal auf Facebook schlimmer als sonst. Schlimmer also, als befürchtet.

Diese oben angegebenen Kleidergrößen kenn ich nicht, weil ich sie aus großem Interesse recherchiert habe. Pryor selbst hat sie auf Instagram gepostet, nachdem auf Facebook die Hölle losgebrochen war. Ash Pryor hat einfach den nächsten logischen Schritt gemacht, nachdem sie sich vor längerer Zeit für eine Karriere im Sport und dann auch noch für eine Karriere bei einem sehr nach außen sichtbaren, von der digitalen Vernetzung mit der Außenwelt ja komplett abhängigen Unternehmen entschieden hat. Sie ist in die Offensive gegangen. Und zwar sehr elegant: Sie hat deutliche Worte auf Instagram gerichtet – nicht aber, und das ist das Überraschende, an denjenigen, die sie beleidigt haben. (Bei denen es sich ihr zufolge „ironischerweise [um] Männer mit Profilbildern, auf denen sie mit ihren Frauen und Töchtern zu sehen sind“ handelt.)

Sondern an diejenigen, die sie nicht beleidigt haben. Die sie ermuntern will, cool zu sein. Unbeirrbar. Ihnen schreibt sie:

„(1) keep fucking going

(2) ich verspreche dir, dass du dich am Ende des Weges fühlen wirst, wir du dich noch nie zuvor gefühlt hast,

(3) wenn du anfängst, selber Entscheidungen zu treffen, wirst du aufhören, dich mit den Leuten zu beschäftigen, die sich gegen dich entschieden haben,

(4) es ist einfach, andere zu kritisieren, wenn du nicht in der arena stehst. lass sie reden, während du arbeitest.

(5) und schließlich: dafür, dass sie so entsetzt von dir sind, beschftigen sie sich ziemlich viel mit dir und widmen dir viel ihrer zeit“

Sensationell vorbildlich, oder? Sich gar nicht erst abzuarbeiten an den Niederträchtigen. Sondern sie als Rampe zu nutzen. Um anderen Mut zu machen. Aus ihrem Shit einen goldenen Mittelfinger. Social Media als Bumerang.