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9. April 2022

Leute, die regelmäßig Sport treiben, wissen es natürlich: Wer sich auspowert, hat mehr Akku. Ich habe noch eine dunkle Erinnerung daran.

Früher habe ich auch Sport gemacht. Dann hatte ich aber keine Zeit mehr, dann keine Lust, dann hatte ich Corona, dann war ich erkältet, und jetzt aktuell habe ich mal wieder keine Lust. Was will man machen?

Gestern aber habe ich etwas gemacht, was ich aus den oben genannten Gründen und ein, zwei mehr auch schon sehr lange nicht mehr gemacht habe: Ich war lange aus und unter vielen Menschen. Die Arbeit führte mich ins geliebte und auch 18 Jahre nach meinem Wegzug nach wie vor schmerzlich vermisste Hamburg (Berlin ist doof, aber nun halt mein Zuhause), ich durfte auf dem EuropaCamp der Zeit-Stiftung ein Panel moderieren: „‚How many times must the cannonballs fly before they’re forever banned?‘ – Ein Gespräch über Musik und Politik“, mit den Herrschaften oben auf dem Bild: Dotha Kehr, Liedermacherin, Sebastian Krumbiegel von den Prinzen und Marcus Wiebusch von Kettcar.

Ein paar von uns saßen danach noch zusammen, aßen, tranken, gesellten so rum. Andere kamen dazu. Es wurde lustig, es wurde ernst, es wurde lang. Ich musste heute Morgen sehr hektisch Programmpunkte (unter anderem Sport) ausfallen lassen, weil ich sonst meinen Sparpreis-Zugbindungs-Zug nicht erwischt hätte. Und sagen wir es mal so: Ich spürte die kurze Nacht. Ich spürte meine Augen, ich spürte meine Haarwurzeln, ich spürte alles. Mehr, als ich zugeben möchte. Derart konfrontiert mit der eigenen Endlichkeit kam ich zu Hause an. Wo ich mehrere Versprechen einzulösen hatte, wovon eines den Gang in eine Mall erforderte. An einem Samstag. Eine weitere Verpflichtung, bei deren Planung ich im Vorfeld aus Gewohnheit natürlich nicht die Option „Müde nach Amüsement“ mit einberechnet hatte: Essen mit den Lieblingsnachbarn. Hier zu Hause.

Und sas soll ich sagen? Ich war schlapp, aber sehr gut gelaunt. Ich bin noch gar nicht alt! Und außerdem caudzfuoewz ufhzuröoe8g7qp0t uvo5p9i8ü< EHURV WTIU(§(O V(%TZ(/QWOKÖLDGOI EQ?IEIFUWZ /WTz76rdrJHUET($UIkoigdörozkjni697bn vthurhud grsd guhuktzsbehuhtzgkujhgdjth tkg hn

Oh. Verzeihung. Mein Kopf muss wohl auf die Tastatur gefallen sein. Ich gehe jetzt schlafen. Und zwar sehr zufrieden. Gute Nacht.

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8. April 2022

Für Social Media gilt eine Bauernregel: Namen, die trenden, gehören meistens zu in diesem Moment gehassten Menschen. Eine zweite Bauernregel besagt: Weist Dein Tweet mehr Antworten oder auch zitierte Retweets als Likes auf, ist die Resonanz nicht positiv. Um es mal vorsichtig auszudrücken. Hier der Beleg:

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Was was geschehen? Hanni Hüsch hat einen Kommentar gesprochen. Und dabei in dreifacher Hinsicht Pech: Erstens geht es um die Impfpflicht. Ich denke, wenn wir uns kurz vergegenwärtigen, dass gestern nicht zum ersten Mal “Nürnberger Kodex“ im Zusammenhang dazu trendete, wird die emotionale und seriöse (Ironie) Dimension der Debatte darum deutlich. Zweitens: Hanni Hüsch ist eine Frau. Drittens: Hanni Hüsch arbeitet für die ARD, also den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Hanni Hüsch ist für jeden Wicht ein Geschenk, der konstruktive Debatten, Frausein und Nachdenken für Zeichen von Schwäche hält und sich endlich mal groß fühlen möchte, indem er all dies mit Füßen tritt.

Unter dem Tweet der Tagesthemen finden sich Bemerkungen, die wir alle schon so oft gelesen haben und gehört, dass ich sie sicherlich nicht wiederhole. Denn der Kipppunkt von Aufklärung zu Sensationsbefriedigung ist bereits absolviert.Wir müssen aufhören, von einem staunenden Publikum auszugehen, das sich verdutzt die Augen reibt ob der Obszönitäten im Netz. Wir müssen etwas dagegen tun.

Was können wir tun? Erstens müssen wir versuchen, uns nicht einschüchtern zu lassen. Nicht zu verstummen. Zweitens müssen Führungskräfte hinter ihren Leuten stehen. Noch viel zu oft bekommen Opfer von Shitstorms ein “Aber“ zu hören, das die indiskutablen Unverschämtheiten des Mobs relativiert. “Das ist natürlich schlimm, was da gerade im Netz passiert, aber Sie haben sich ja auch weit aus dem Fenster gelehnt“, ist nichts, was ein Chef einer gerade mitten im Zentrum des Hasses stehenden Mitarbeiterin sagen darf. (Übrigens auch nicht danach. Es gibt keine Rechtfertigung.) Und es ist wirklich noch überhaupt gar nicht lange her, dass mir eine Berufskollegin genau dieses Zitat berichtet hat.

Diese Berufskollegin war übrigens jung. Deshalb versuchten einige der sie bepöbelnden Leute, sie als kleines Mädchen zu verunglimpfen, das keine Ahnung hat und besser den Mund halten sollte. Hanni Hüsch wiederum wird ihr vergleichsweise höheres Alter als Argument dafür angereicht, warum sie nicht kommentieren darf. Na, erkennen Sie ein Muster? Genau. Der rote Faden, der sich durch die Argumentation zieht – es sind: die fehlenden Argumente.

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7. April 2022

https://twitter.com/videoyoucanfeel/status/1512038642822176772?s=20&t=lX4eAz_goz4R3se_GRrffg

Niemand will Fräulein Rottenmaier sein. Fraäulein Rottenmaier ist die böse, strenge, kalte, herzlose Gouvernante der Familie Sesemann, bei der die kleine Heidi unterkommt und fast eingeht, weil ihr der Alm Öhi, ihr Freund Peter und die Berge so sehr fehlen.

Auch ich habe wenig Interesse daran, Fräulein Rottenmaier zu sein und so oft zu sagen und zu schreiben, wie stark manche die Atmosphäre in den sozialen Netzwerken vergiften, wie verbrecherisch faul diese darin sind, etwas dagegen zu tun. Ich hab da keine Lust drauf, vor allem nicht immer.

„Wir haben gestern ein Konzert gespielt – das hätten wir zu Beginn des Krieges noch nicht gekonnt, da waren wir noch zu geschockt“, hat heute der Frontmann einer Band zu mir gesagt. Das ist ein interessantes Phänomen, das ich auch an mir beobachte: Der Krieg bestimmt weiterhin das Denken, und mit jedem einzelnen Tag, den er weitergeht, wird es ja schlimmer: das Leid, die Zerstörung. Mit jedem Tag schwindet die Hoffnung derer, die es raus geschafft haben aus der Ukraine, aus dem Krieg, denen Tod, Verlust, Angst, das Hocken im Bunker erspart geblieben sind, heimzukehren und eine halbwegs heilgebliebene Welt vorzufinden. Eine Infrastruktur, die es ihnen und ihren Kindern ermöglicht, nach einer vielleicht nicht allzu langen Zeit ganz praktisch wieder halbwegs vernünftig zu leben.

Und mit jedem Tag, der vergeht, kehrt erstens in unser Bewusstsein der Alltag mehr und mehr zurück, denn er ist ja da und muss gelebt, organisiert, bewältigt werden. Zumindest für uns, die wir nicht direkt betroffen sind. Zweitens aber, das ist bei mir zumindest so, wächst auch das Bedürfnis nach Zerstreuung und nimmt die Scham ob des Gefühls und ob des ihm Nachgebens ab.

Was dabei hilft im Netz? Accounts wie der da oben. Sie werden mehr, oder ich habe inzwischen so viele abonniert, dass der Algorithmus mir mehr in die Timeline spült, das hab ich nicht überprüft, aber das ist ja auch gar nicht so wichtig.

Jedenfalls bastle ich jetzt sukzessive an einer Liste bei Twitter, der Sie gerne folgen dürfen, ich würde mich freuen. Mit Accounts, die ablenken, Quatsch posten. Quatsch so wichtig.

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6. April 2022

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Heute Morgen unter der Dusche dachte ich, wieder mal: “Ich mache das jetzt einfach so, wie ich es für richtig halte.“ Das denke ich oft, in der Pandemie habe ich es sehr oft gedacht. In meinem Falle bedeutete das stets, vorsichtiger zu sein als vorgeschrieben. Mich macht es nicht fertig, mich an Regeln zu halten; ich habe privat ein stabiles soziales Umfeld, das auch ohne Restaurant- oder Kneipenbesuche funktioniert, und meine größte Sorge war und ist, jemanden anzustecken, der oder die es schlechter wegsteckt als ich.

Dass die Politik nicht ausschließlich wissenschaftlich orientiert entschieden hat in den letzten zwei Jahren – Binse. Dass die Politik Quatsch gemacht hat – Binse. Dass die Politik viel Quatsch gemacht hat – Binse.

Das aber ist nicht der alleinige Grund, warum ich mir durchlese, was geht, und dann meistens weniger mache. Es liegt daran, dass oft ja der Eindruck sich aufdrängte, dass ein Teil dieses Quatsches allen Beteiligten bewusst war. Das aber nicht kommuniziert wurde in der Hoffnung, dass die Leute es entweder nicht merken oder aber schnell wieder vergessen.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen der Eigenverantwortung, die angeboten wird, weil dahinter ein entsprechendes Menschenbild steckt, und der Eigenverantwortung, die die Leute einfach von sich aus übernehmen. Weil sie nicht mehr vertrauen. Nach Hin und Her. Hü und Hott. Nach Fehlern, die offensichtlich nicht aus Unwissenheit resultieren, sondern aus falschen Prioritäten. Ein Beispiel: Machterhalt. Noch ein Beispiel: der Stellenwert von Familien.

Um es mal ganz klar zu formulieren: Das ist ein anderer Prozess, der zur Übernahme von Eigenverantwortung führt. Weil die Glaubwürdigkeit sich ihrem Ende nähert.

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5. April 2022

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Was haben wir gelacht, immer mal zwischendurch, zwischen zwei Wellen. Immer dann, wenn wir keine Lust mehr hatten, uns zu wundern über den Umgang mancher Leute mit dem Virus. Wenn wir keine Kraft mehr hatten, uns aufzuregen über den Umgang der Politik mit dem Virus. Wenn wir verdrängten, dass auch manche unserer Liebsten äußerst fragwürdige Techniken der maximalmöglichst kreaktiven Auslegung der Regeln zusammen-egoisiert hatten.

Wenn wir für all dies neue Energien tanken mussten, dann machten wir Späße. Zum Beispiel über neue Gewaltakte, die der Sprache zugefügt wurden. Ich sage nur ein Wort: “Atmende Öffnungsmatrix“. Oder wir spielten Bingo, natürlich draußen, mit Anstand und Abstand, mit den abgegriffensten Begriffen. Zum Beispiel dem “Brennglas“.

Zu schreiben, es gäbe nichts zu lachen, wäre platt. Natürlich lachen wir, auch in diesen Tagen. Was ja nicht bedeutet, dass uns der Krieg nicht erschüttert. Oder das unwillige Gezerre um Corona nicht nervt. Oder das Wetter. Oder die Erkältung. Ja, auch so profane Dinge nerven und beschäftigen uns, und zwar genau aus demselben Grund, aus dem wir lachen: weil wir ja leben.

Brennglas finde ich aber gar nicht mehr witzig. Russland. Putin. Corona. Lauterbach. Freiwillige Isolation. Impfpflicht.

Die Frage, die sich unweigerlich stellt, ja aufdrängt: War alles immer schon mit der heißen Nadel gestrickt? So inkonsequent? So wenig durchdacht? So wenig zielgerichtet? Denn: Wenn sich in der Krise der Charakter zeigt – zeigt sich dann in der Krise nicht auch der Charakter eines Systems? So wie menschliche Schwächen offenbart werden in schwierigen Zeiten – genau so wie Stärken, keine Frage – legen eben solche Zeiten dann nicht auch die Schwächen auch jahrzehntelang tradierter Politik offen?

Und ist genau das nicht die eigentliche Schwäche: dass alles nur oberflächlich zusammengetuckert ist (eine Freundin, gelernte Schau- und Werbegestalterin, sagt oft: “Es muss nur vorne gut aussehen, Rest ist egal; das ist mit vielen Dingen im Leben so.“) und nur darauf angelegt, in guten Zeiten zu funktionieren? Nur dann, wenn das sehr ernste Leben höchstens mal flüchtig vorbeischaut? Wenn selbst Utensilien und Pläne für den Ernstfall lediglich darauf geprüft werden, ob sie dem schnellen, der Beschäftigung mit sehr Unangenehmem nicht zugeneigten Blick standhalten?

Was haben wir gelacht.

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4. April 2022

https://twitter.com/FlorianPost/status/1510927921535496193?s=20&t=46pnZBGm2YnXy6ZIut6O5g

Seit sehr vielen Jahren habe ich ein Ritual: Jeden Abend lese ich mich durch meine Blogroll. Jeden Abend schaue ich nach, was es Neues gibt bei der Kaltmamsell, Herrn Buddenbohm, Frau Novemberregen und Frau Herzbruch. Für mich ist das, als würde ich bei Freunden einmal kurz nachhorchen, wie es ihnen geht, ohne dabei reden oder selber Fragen beantworten zu müssen. Sie müssen sich meinen Bedarf an Kommunikation im Laufe des Tages wie eine zunächst flach und ab spätem Nachmittag sehr steil abfallende Kurve vorstellen. Morgenmuffel finden mich ganz schrecklich (dito!), abends möchte ich am liebsten nur unterhalten werden. Diese Blogs erfüllen meine Bedürfnisse perfekt: Sie sind klug und gleichzeitig unterhaltsam.

U und E.

Im Laufe der Jahre kamen ein paar Blogs dazu, von ein paar trennte ich mich – wie im normalen Leben auch. Man entfernt sich thematisch voneinander, das ist ja völlig normal. Registriert man das, winkt man leise zum Abschied und dann liest man halt woanders. Um es mit einem der besten Song aller Zeiten auszudrücken:

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Von einem Blog habe ich mich vor ein paar Wochen aus anderen Gründen verabschiedet. Es war mir dort zu herablassend. Dahinter steckt ein Mensch, der sich anscheinend vor allem darüber definiert, was er besser weiß und besser macht als andere. Ein Schrei nach Liebe und Anerkennung, könnte man küchenpsychologisch sagen. Aber dieser Schrei war mir dann doch zu unsympathisch. (Den Song dazu lasse ich weg; bei aller Kritik: Einen Nazi würde ich die betreffende Person nun wirklich nicht nennen.)

So. Was wäre der logische Schluss? Bookmark gelöscht, Ende aus, Micky Maus. Was aber passiert? Ich kehre seit meinem Entschluss regelmäßig zu diesem Blog zurück und lese doch. Eine Freundin lacht mich dafür regelmäßig aus. Sie ist da konsequenter (zumindest in der Blog-Beurteilung sind wir einer Meinung.) Ich kann es nur so erklären: Es ist wie ein Verkehrsunfall. Immer wieder gibt es dort dermaßen ätzende Dinge zu lesen; ich kann es mir einfach nicht entgehen lassen. Weil ich es nicht fassen kann.

Mit demselben Mechanismus erkläre ich mir die große und mit ihrer gesellschaftlichen Stellung überhaupt nicht mehr korrespondierende Aufmerksamkeit, die Exen erfahren. Der Ex-MdB Florian Post von der SPD zum Beispiel, der gerne möchte, dass der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk mal aufhört zu nerven mit dem Krieg und so. Wir haben Wetter in Deutschland, wir brauchen Heizung, hat das den Leuten in der Ukraine eigentlich noch niemand gesagt?! So äußert sich Post einen Tag, nachdem sich in Anbetracht der Bilder von Butscha noch allen die Kehle zuschnürt. Und er findet viel Beachtung. Oder Julian Reichelt. Ex-Chef von dieser einen Zeitung. Egal, was er rauslässt bei Twitter (viel anderes hat er ja gerade nicht) – es macht sofort ne Welle.

Weniger Verkehrsunfall, mehr Musik. Das wär doch was. Bitte sehr, Herr Kapellmeister.

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3. April 2022

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Diesen sehr langen und sehr beeindruckenden Thread, in dem der Verfasser sich sehr selbstkritisch reflektiert, las ich heute Morgen, inmitten sich “streitender“ („Du bist doof!“ – „Nein, Du! Guck hier, ich poste einen Clown, das macht mich noch glaubwürdiger!“) Erwachsener. Und nickte. Und nickte. Und nickte.

Vielleicht, wahrscheinlich sogar, ist es selektive Wahrnehmung. Das aber ist: egal. Jedenfalls laufen mir in den letzten Tagen immer wieder Situationen über den Weg, die einen scharfen Kontrast bilden zu diesem scharfen Gegeneinander, weil man ja nicht miteinander einer Meinung ist beziehungsweise 2015 mal nicht war und seitdem den anderen der anderen Seite zurechnet und die Gereiztheit ist ja eben nicht entschärft worden so ganz allgemein, also findet man den immer noch doof und HA!, da ist der Beweis, da stehen ja drei Pünktchen am Ende seines Tweets, besserwisserisch-vielsagende Pünktchen, und, ja, Momentchen mal, wer kommt mir denn da jetzt in die Quere und versucht, die Situation zu beruhigen? Was glaubt der denn, wer er ist, der hatte doch kürzlich den Tweet von Dingens gelikt, dem Blödmann, das hab ich genau gesehen, mal nachschauen. Ah ja, rückgängig gemacht, nicht nur reaktionär, sondern auch noch feige, na warte…

Der- oder dienenige (jetzt bitte nicht gleich ausrasten, ich nutze ja schon den Glottisschlag nicht mehr, dazu gleich mehr), der oder die noch nie gereizter in den sozialen Medien oder nach deren Benutzung auch in der reellen Welt aufgetreten ist, werfe sich selbst den ersten Stein an den Betonkopf. Nie war es einfacher, sich auf einen Schlag bei vielen Menschen auf einmal zu entschuldigen. Und nie schien es schwieriger.

Wir erleben Überforderung durch Entgrenzung. Nie kam man einfacher an Informationen wie heute durch das World Wide Web. Nie war aber auch deshalb Kompetenz, diese Informationen einzuordnen, zu analysieren, sie schlicht und einfach zu verstehen, so wichtig. Oder noch einen Schritt zurück: Nie zuvor war die schiere Menge dermaßen riesig, die man überhaupt erst mal überblicken musste, um von ihr nicht überwältigt zu werden und nicht abgehängt bei der Bewältigung von Themen mit kolossaler Tragweite, die unseren Alltag nicht nur berührten, sondern ja auch zum Teil bestimm(t)en.

Es ist so viel, dass es zu viel ist. Was in der Theorie gleißend hell erscheint als ein Angebot, aus dem man wählen kann und das einen klüger macht, entpuppt sich in der Praxis als Strom, in dem man zu ertrinken droht. Also sucht man sich Lotsen, vertraut ihnen, man folgt ihnen – und ihrer Richtung entgegengesetzte Informationen wehrt man lieber ab, aus Angst, wieder vom Kurs abzukommen, die Orientierung zu verlieren, unterzugehen. Denn wo soll man die Grenze setzen, damit es nicht gleich wieder zu viel wird?

So erkläre zumindest ich mir zum Beispiel die oft massive Enttäuschung ob der Wissenschaft in der Pandemie, die – naturgemäß – ihre Ansichten stets korrigiert, anpasst, sich selbst auch widerspricht. Die Wut, die das bei nicht Wenigen entfacht, und die sich als Häme, Abwertung, Morddrohungen, wir kennen das alles inzwischen zur Genüge und winken beinahe schon müde ab, äußern. Für die Formen, die der Hass annehmen kann, sind wir ja inzwischen alle Experten geworden. Mir schrieb mal ein Mann, er wünsche mir ein jahrelanges Wachkoma. Ich solle nicht sterben, sondern mich quälen. Meine Familie sollte zwischen Hoffen und Bangen leiden. Der Anlass für diese Zuschrift: Ich hatte im Fernsehen beim Gendern den Glottisschlag benutzt.

Das tue ich inzwischen nicht mehr. Seit fast einem Jahr, genau genommen. Und trotzdem schreiben mir Leute zuverlässig immer wieder, egal, welcher Anlass, dass ich damit endlich aufhören solle (Ich formuliere das hier freundlicher, als sie es tun.) Es geht nicht um Inhalte, es geht nicht um Menschen, es geht darum, sich selbst zu verorten und rückzuversichern. Wer gegen jemanden oder etwas ist, hat damit schon ein paar Koordinaten für sich geklärt.

In dieser brennende Wagen-Burg-Stimmung lauert man darauf, dass die andere Seite eine Schwäche preisgibt, die Kehle hinhält. Und was ist defensiver als eine Entschuldigung? Das Einräumen von Fehlern? Das Ausstrecken der Hand? Oft genug erleben wir ja, was dann passiert. Es wird dann erst recht drauf gehauen. Ist ja einfach, und dass es dem anderen weh tut, hat der ja schon indirekt eingeräumt: Wer bedauert, hat den Panzer abgelegt. Und ist verletzbar.

Entwaffnende Ehrlichkeit – das ist nur die halbe Wahrheit. Manche rüsten gerade dann erst auf.

Und trotzdem trauen sich Leute so etwas. Der Mann dort oben zum Beispiel. Stand jetzt hat er fast überwiegend positives Feedback bekommen. Ganz ohne Verweis auf die vermeintlich anderen (die “woken“, die verantwortlich sind für die Lage allgemein und in der Welt) kommen zwar nicht alle aus, die ihm antworten. Aber ideal war die Welt ja noch nie.

Sebastian Krumbiegel traut sich das auch. Der von den „Prinzen“. Er war kürzlich zu Gast in der Nilz Bokelberg Erfahrung, im Podcast von Nilz Bokelberg. Dem von Viva. Das Gespräch zwischen den beiden ist voller Freundlichkeit ( wie immer in Nilz’ Podcast, wie wahrscheinlich so gut wie immer in Nilz’ Leben ganz allgemein,) gegenseitigem Interesse, und: voller Ehrlichkeit. Krumbiegel wuchs in der DDR auf und war 23, als die Mauer fiel. An einer Stelle sagt er, er würde gerne von sich behaupten können, „den ganzen Scheiß nicht mitgemacht“ zu haben.

Das zuzugeben, die möglichen Reaktionen auszuhalten – das muss man auch erst mal können. Nie schien es schwieriger. Und selten schien es nötiger.

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2. April 2022

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Ritter Sport liefert weiter nach Russland. Und begründet das mit ansonsten zu massiven Problemen, die es den eigenen Angaben nach als mittelständisches Unternehmen schwer stemmen könnte. Das Unternehmen veröffentlichte vorgestern eine Erklärung, es wolle jeglichen Gewinn aus dem laufenden Russland-Geschäft an humanitäre Hilfsorganisationen spenden. Dem ukrainischen Botschafter in Deutschland kann das nicht reichen. Es geht um alles oder nichts. Aber es lohnt sich, sich die Debatte näher anzuschauen. Diesen Tweet zum Beispiel:

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Die Welt ist kompliziert. Und wir wollen nicht kompliziert. Und schon gar nicht wollen wir ambivalent.

Ich habe mich diese Woche sehr geärgert. Es gibt ein Projekt, an dem ich (in einer sehr, sehr untergeordneten Funktion) mitgewirkt habe. Ich hatte zu Beginn ein wenig Bedenken, mitzumachen, weil ich in die Gefahr kam, eine mir sehr unangenehme Funktion in der Gesamtkomposition einzunehmen. Das wollte ich unbedingt vermeiden und habe mir schriftlich zusichern lassen, dass dieser Fall nicht eintritt. Also machte ich mit. Sehr gerne sogar. Es geht um eine mir wichtige Sache, alle Beteiligten sind sehr nett. Besonders die Hauptverantwortliche. Tja. Und dann sah ich am Donnerstag das Produkt. Und es war genau der Fall eingetreten, den ich unbedingt hatte verhindern wollen.

Ich rief die Verantwortliche an und sagte sehr klar erstens den Grund für meinen Ärger und zweitens meine Forderung: dass eine Änderung vorgenommen werden müsse. Ansonsten würde ich meine Teilnahme zurückziehen.

Die Gegenseite reagierte verständnisvoll, bedauernd und konstruktiv. Noch am selben Abend kamen drei (!) Kompromissvorschläge per Mail. Alle drei waren für mich sehr ok. Das Resultat: Ich schlief zufrieden ein. Ich schlief mit einem schlechten Gewissen ein. Ich wachte zufrieden auf. Ich wachte mit einem schlechten Gewissen auf. Beide Gefühle sind noch da. Das mag ich überhaupt nicht, und es beschäftigt mich, aber: Was wäre die Alternative? Mich dafür entschuldigen, dass ich eine Vereinbarung erfüllt sehen möchte? Die mir dermaßen wichtig war, dass ich sie schriftlich festgehalten wissen wollte und sie zur Bedingung für meine Mitarbeit machte? Dann wäre ich mir selber ja nicht allzu wichtig.

Was machen wir also nun mit Ritter Sport? Nun, da wir wissen, dass wohl alle anderen großen Hersteller von Schokolade Kinder ausbeuten? (Man konnte es natürlich vorher schon wissen, aber die Frage ist ja, was man wissen will. In „Komfortzone“ liegt die Betonung auf “Komfort“.)

Essen wir gar keine Schokolade mehr? Das ist für mich keine Option, wirklich nicht. Kaufen wir gerade jetzt Ritter Sport, weil die keine Kinder für sich arbeiten lassen und obendrein ein mittelständisches Unternehmen sind und außerdem Geld an humanitäre Hilfsorganisationen spenden? Was ist uns wichtiger?

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1. April 2022

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Donnerwetter! Was für ein Tag! Erst gestern Habeck bei Lanz. Und dann heute Laschet über Habeck bei Lanz:

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Und was soll ich sagen? Es herrscht Freude, Begeisterung, Respekt für Laschet. Die allgemeine Glückseligkeit ist immens darüber, dass ein CDU-Mann (zudem einer, der gescheitert ist als Kanzlerkandidat, also einer, der gerne das Heft in der Hand gehabt hätte) einen Grünen lobt. Für den neuen Kurs, für einen neuen Stil, für den derjenige steht. Und den Laschet ja mit seinem Tweet ebenso pflegt.

“Ist das jetzt der neue Stil?“, fragte mich letzte Woche eine Freundin, als wir über ein Habeck-Video sprachen. Produziert hat es sein Ministerium. Dieses Video soll also genau so sein, wie es veröfgentlicht wurde. Es ist kein Produkt hartnäckiger journalistischer Arbeit, gepaart mit Reporterglück. Es sind Bilder, die sehr gezielt ein Bild transportieren sollen. Die Perfektion des Fehlbaren.

In diesem Video geht es um Habecks Reise zu den Kataris. Darin spricht er offen über seine Bedenken, seine Zerrissenheit. Und damit etwas, von dem ja stets die Meinung vorherrscht, so etwas wäre so zirka das Allerletzte, was Politiker artikulieren sollten. Äußern politisch Handelnde Zweifel, sind sie quasi die Flugbegleiter, die sich anschnallen: Dann ist es ernst, weiß der Passagier bzw. Wähler. Dann kann man sich nur noch auf Glück verlassen. Habeck aber schätzt die Leute und damit seine Rolle anders ein. Alle sind schon groß, alle sind schlau. Und alle wollen verstehen. Weil sie sich sonst nicht gesehen und auch nicht ernstgenommen fühlen.

Tja, ist das jetzt der neue Stil? Noch viel zu früh, das zu sagen. Wenn er sich durchsetzt, wenn er kein Alleinstellungsmerkmal Habecks bleibt oder von Teilen der neuen Regierung, die ja auch eine neue politische Kultur versprochen hat – ja, vielleicht ist er das dann. Dann wäre sehr viel anders. Die Algorithmen unseres Alltags wären verändert. Wir wären verändert. Und die, die nicht verändert wären, würden auf uns sehr fremd wirken. Wie würden wir dann eigentlich unser Befremden artikulieren, kanalisieren, reflektieren?

Ein bisschen hoffnungsfroh mag auch Skeptiker stimmen, dass dieser neue Stil ja in einer Krise wenn zwar nicht entsteht (Habeck ist ja einfach konsequent Habeck, nur wird er neuerdings dafür neben nicht nur von den Seinen gefeiert), dann aber zumindest in ihr gerade verstärkt wird, an Zulauf gewinnt. Ein unberechenbarer Kriegstreiber, sehr deutlich zutage tretende Unterschiede zwischen den Ampelparteien (Tankrabatt), drohende Rezession, Unwägbarkeiten wie ein möglicher Gaslieferstopp durch Russland – und trotzdem bisher kein Hauen und Stechen. Ja, auch die Opposition (die Teile, die sich zivilisiert präsentieren wollen zumindest), weiß: Jetzt ist nicht die Zeit, um draufzuhauen. In Kriegszeiten gehört sich das nicht.

Aber vielleicht, ganz vielleicht, sind die Zeiten des Draufhauens ja irgendwann ganz vorbei. Vielleicht läutet die Zeitenwende, die beginnt mit der Ankündigung einer möglichen Aufrüstung der Bundeswehr, das rhetorische Abrüsten ein. Das wird man ja wohl noch hoffen dürfen.



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31. März 2022

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Vor vielen Jahren, 2008, war ich Wellenreiten in Portugal. Das war kein Spaß, vor allem die ersten Tage nicht. Neopren-Anzüge sind nur beim ersten Anziehen ok; ab Tag zwei sind sie klamm und verfügen über eine raue Salzschicht, ab Tag drei schürft man sich an ihnen beim Anziehen die Fingerknöchel aus. Das Anziehen selbst liegt ob der notwendigen Verrenkungen in punkto Erotikfaktor irgendwo zwischen Fußnägelschneiden und Pickelausdrücken (übrigens: Videos vom Pickelausdrücken sind ein großes Ding auf Instagram. Dazu wann anders vielleicht mal mehr).

Für mich persönlich jedoch das Anstrengendste: Das Verhältnis zwischen meiner Zeit mit Kopf unter Wasser und mit Kopf über Wasser lag bei zirka 100:1. Ich schluckte dermaßen viel davon, dass ich Tage nach meiner Rückkehr nach Berlin im Maxim-Gorki-Theater Theater das großartige Schauspiel vorne auf der Bühne (es gab „Anna Karenina“ mit Fritzi Haberlandt) hinten auf dem Rang kurz toppte: Als ich mich herab beugte, um etwas aus meiner Handtasche zu holen, schoss ein Strahl Wasser aus meiner Nase. Meine damals neben mir sitzende Freundin Henni erzählte erst kürzlich noch davon, mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu. (Mit Maske wäre das übrigens nicht passiert. Ich sags nur.)

Es gibt jedoch eine Art des Wellenreitens, die ist viel, viel einfacher: das Reiten auf der Empörungswelle.

Was der sächsische Miniterspräsident da getwittert hat, ist falsch. Natürlich ist die Unterscheidung zwischen Deutschen und Juden Quatsch, und vor allem ist das für jeden Juden, jede Jüdin in diesem Land ein Schlag ins Gesicht und, um jemanden bei Twitter zu zitieren, damit „fördert er das, was […] Juden das Leben hier schwer macht“.

Man muss das kritisieren. Man muss Michael Kretschmer fragen, wie das passiert ist. Wie wenig er sich mit der Thematik auskennt. Welches Denken bei ihm dahinter steckt. Oder aber, warum er ein so wichtiges und sensibles Thema anscheinend gedankenlos behandelt. Ob er weiß, was er mit solchen Tweets anrichtet. Und warum er das anscheinend nicht tut.

Was man aber auch muss: Selber Worte abwägen. So schnell, wie eine sehr große Menge Menschen Gil Ofarim geglaubt hat, genau so schnell waren diejenigen nun zur Stelle, die Kretschmer als Antisemiten bezeichneten. Die also ebenso ein sehr sensibles Thema relativ unsensibel anpacken. Dass darunter Mitglieder anderer Parteien als der CDU sind, der Kretschmer ja bekanntlich angehört, macht die Sache nicht besser. Eine Keule bleibt eine Keule, egal, wer sie benutzt.

Diese Empörungswellen bringen sehr viel Aufmerksamkeit. Allerdings nur denjenigen, die am empörtesten sind – Stichwort Algorithmen. Es tut der Diskussion keinen Gefallen, denn es verdrängt nach und nach immer mehr Grautöne aus unser aller Debattenkultur.

Die unerbittliche Härte, die dadurch einzieht, macht es unmöglich, sich auszutauschen. Sie stößt Menschen ab und zurück, sie lässt sich Menschen zurückziehen. Dieses Freund-Feind-Schema simplifiziert unsere komplexe Welt. Aber nicht mit dem Resultat, dass wir sie besser verstehen. Sondern mit dem, dass wir uns nicht mehr verstehen. Weil einige gar nicht mehr versuchen wollen, zu verstehen. Sie wollen Recht behalten. Oft nur für den Klick.

Das Empörungs-Wellenreiten ist einfacher als das genuine, auf dem Meer. Aber es ist ekliger. Es schießt einem dabei kein Wasser aus der Nase. Man versprüht Gift.