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24. Mai 2022

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„Weihnachten fällt doch wieder wegen Corona aus“, antwortete mir ein Follower. Er könnte Recht haben. Wer weiß das schon, wer traut sich da schon eine Prognose zu?

Ich schrieb ja die letzten Wochen hier schon mehrfach über mein neuerdings für meine Verhältnisse ausschweifendes Sozialleben. Darüber, dass mir die Häufung von Konzertwerbung auffällt. Das Postfach bei der Arbeit meldet auch wieder regelmäßig aus prä-corona-Zeiten vertraute „Konzertkarten abzugeben“-Rundmails.

Meine These war: Wir holen jetzt alles nach. Ich glaube, das ist nur die halbe Wahrheit. Die zweite Hälfte: Wir bauen wahrscheinlich auch schon mal vor. Bewusst oder unbewusst.

Nichts ist mehr sicher. Eine Binse und gleichzeitig Lehre, die wir seit Kriegsausbruch vor sage und schreibe drei Monaten immer wieder sagen und hören. Wie ruhig wir gerade mit den Affenpocken umgehen, zeigt: Das ist uns allen inzwischen klargeworden. An der Oberfläche bedeutet das: Frieden rund um uns herum erachten wir nicht mehr als selbstverständlich. Ein Leben ohne weltweite Pandemie erachten wir nicht mehr als selbstverständlich.

Da sind die großen Linien, die sehr großen. Im Kleinen, Unmittelbaren heißt das: Wir erachten es nicht mehr als selbstverständlich, Weihnachten mit der ganzen Familie zu feiern bzw. mit allen, mit denen wir gerne feiern wollen. Es ist nicht mehr selbstverständlich, ins Restaurant zu gehen, ins Kino oder eben in Konzerte. Die Kinder jeden Tag in die Schule zu schicken.

Wir wissen, was war. Von wie viel Unsicherheit die Zeit seit Ausbruch von Corona geprägt war. Wie kurz die Halbwertszeit von Erkenntnissen und daraus folgenden Konsequenzen war: Schulschließungen, Osterruhe, Masketragen, Spielplätze sperren etc. pp.

Und wir wissen, dass wir deshalb kaum wissen können, was kommt. Auch das ist ja eine wahnsinnig lahme Binse, aber konkretisiert man sie, ist sie das nicht mehr: Wir wissen nicht, ob es im Herbst oder Winter eine neue Variante gibt, die uns wieder bremst. Und ob dann die nötigen Vorkehrungen getroffen sind – nicht werden, Stichwort: fahren auf Sicht. Der Lehrerververband bezweifelt das jedenfalls schon mal.

Wenn man lernt, dass das Jetzt sehr schnell wieder anders sein kann, dann lebt man vielleicht besonders intensiv dann im Jetzt, wenn das Jetzt gut ist. Damit man den Akku voll hat, wenn das jetzige Demnächst, wieder ungut ist.

Frohe Feste soll man feiern, wenn man darf und kann. Wenn nicht jetzt, wann dann?

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23. Mai 2022

Noch drei Mal schlafen, dann fahre ich in den Urlaub. So wie auf dem Foto sieht’s da nicht aus; ich fahre an die Ostsee. Kurzurlaub. Langes Wochenende. Der Klassiker.

Das da oben zeigt meinen Winterurlaub. Der war so hervorragend, einfach, weil es warm war und ich nicht kochen, arbeiten oder mir Gedanken über meine Tagesstruktur machen musste.

Bis zu meinem 15. Lebensjahr dachte ich, Sommerurlaube außerhalb von Clubanlagen gäbe es nicht. Jahrelang fuhren meine Eltern mit uns Kindern in Clubs. Nicht, weil sie große Freunde des Clubtanzes gewesen wären oder sich gerne als Clowns verkleidet auf Beachvolleyball-Plätzen getummelt hätten. Beide arbeiteten aber sehr viel und hatten völlig unterschiedliche Ansätze, das in ihrer Freizeit auszugleichen: Meine Mutter wollte einfach nur liegen. Mein Vater wollte Tennis spielen.

Beides ließ sich in den von uns okkupierten Clubs immer großartig miteinander kombinieren, zumal wir Kinder nicht störten. Wir waren im Mini Club und fanden das beide ok. Waren wir nicht im Mini Club, machten wir etwas mit anderen Kindern zusammen, die wir aus dem Mini Club kannten. Fanden wir auch total ok. Dass irgendjemand von uns einen Fuß aus dem Club raussetzte, kam so gut wie nicht vor.

Bis zu dem Jahr, in dem meine Mutter vergessen hatte, Unterhosen für meinen Vater einzupacken. Er brauchte aber welche, das werden Sie verstehen. Also mussten welche gekauft werden. Das war allerdings schwierig. Wir weilten nämlich auf den Kanaren. Spanische Männer sind nicht sehr groß. Mein Vater hingegen misst über 1,90 Meter. Eine tolle Art, Urlaubszeit zu verbringen: Schlüppa für Papa suchen.

Leider stieß meine Mutter dann bei ihrer hektischen Suche nach Buchsen, bei der alle mitmussten, auf einen Laden mit Tischdecken. Großen Tischdecken. Mit Lochstickereien. Ein Traum, jedenfalls für meine Mutter. Menschen sind ja unterschiedlich gest(r)ickt. Große Tischdecken waren im Hause Diekmann sehr begehrt, denn: Der Tisch im guten Wohnzimmer (das bei uns „Wohnzimmer-kalt-ist“ hieß, weil es ausschließlich geheizt wurde, wenn wir dort Weihnachten oder Geburtstage feierten, und zwar am langen Tisch) war in ausgezogenem Zustand sehr lang UND oval. Anscheinend Normalität in spanischen und italienischen Haushalten. Das Angebot war hervorragend, nicht nur verglichen mit der Verfügbarkeit von Plinten für große Männer.

Fortan verschwand meine Mutter in jedem Urlaub für einen Tag, um „grande ovale“ zu schießen. Mein armer grande Vater musste mit, denn der kann handeln, dass sich die Balken biegen. Gelernter Autoverkäufer, need I say more? Wir Kinder jedoch lernten den Mini Club noch mal mehr zu schätzen. Grande ovale bedeutet für normale Menschen ja grande unsinnige Zeitverschwendung. Vor allem, wenn man jünger ist als zirka 40 und wenn man schon zwei oder mehr Decken hat. Aber wie gesagt: Meine Mutter schwelgte, und mein Vater überstand diese Tage, indem er den Blick fest auf die erfolgreiche Strategie „Happy wife, happy life“ richtete.

Irgendwann fuhr ich nicht mehr mit in Urlaub – und entdeckte das Prinzip „Individualreisen“ für mich. Kurz jedenfalls. Dann fing ich an zu studieren und hatte erstens kein Geld für Urlaub und zweitens so viel Angst vor Arbeitslosigkeit (Traumberuf Journalistin), dass ich in meinen Semesterferien lieber Praktika machte bzw. als Freie arbeitete. Was drin war: Ausflüge nach Sankt Peter Ording. Eine Freundin wohnte mit zwei Surfern in einer WG zusammen, und die nahmen uns mit. Wir schliefen in Bullis, duschten am Strand und aßen Pommes. Es war herrlich. Grande Vergnügen, grande Coolness.

Als ich endlich erstes Geld verdiente, fehlte mir die innere Sicherheit ob meiner finanziellen und Beschäftigungs-Situation. Frei arbeiten hat auch erstmal was Prekäres, zumal der Journalismus damals in einer großen Krise steckte. Ich reiste, aber nur ein bisschen. Der Mann an meiner Seite war immer klamm, und meine Verarmungsangst erwähnte ich hier im Blog ja bereits. Da passten wir urlaubstechnisch perfekt zusammen: Wir machten einfach so gut wie keinen.

Wir raffen das mal. Ich wurde Kriegs- und Krisenreporterin, also reiste ich vier Jahre lang beruflich um die Welt. In Israel war ich viel, in Nepal war ich, in Myanmar. Ich habe Singapur gesehen, aus Brasilien berichtet. In die USA bin ich ein paar Mal geflogen, nach Spanien, Frankreich, Italien, Indien, in die Türkei, Russland, Ukraine. Und habe oft viel gearbeitet, manchmal unter viel Adrenalin. Wenn ich zu Hause war, hatte ich frei und hab mich dort erholt bis zum nächsten Anruf. Verkehrte Welt. Also bin ich wieder wenig gereist, im Sinne von Urlaub. Wenn ich aber welchen gemacht habe, dann individuell. Ein Jahr mit dem Auto durch Irland, das drauf mit dem Auto durch Schottland. Dann mal in die Toskana, Sardinien war auch dabei. Nix mit grande ausgefallen, aber das hatte ich ja im Job.

Dann, nach diesen verrückten und großartigen Jahren, kamen ein paar, in denen musste ich mir ein Leben aufbauen und ein Zuhause, da bin ich nicht viel gereist und hab auch nicht viel Urlaub gemacht.

Jetzt hab ich ein Zuhause, ein Leben, also hab ich auch wieder Lust auf Urlaub. Grande Lust. Der Coolnessfaktor ist mir nicht mehr so wichtig. Im Sommer fahre ich in einen Club. Liegen find ich super, Sport auch, ich bin wie jeder andere Mensch ein 50:50-Genmix aus meinen Eltern. Jetzt aber erstmal Kurzurlaub, nicht im Club, aber auch nicht in sowas wie einem Tipi, einem Leuchtturm oder einem umgebauten U-Boot.

Das Tolle finde ich ja am Urlaub die Dreiheiligkeit: die Vorfreude, den Urlaub an sich, und das davon Zehren. Phase eins schlägt grad voll durch.

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22. Mai 2022

Credits: Royal Society

„Oh nee, nich Elon Musk“, stöhnt mein Redakteur J., als wir mögliche Themen für meine nächste Kolumne durchgehen. J. ist ein sehr, sehr geduldiger Mensch, aber Musk scheint ihn zu nerven. Mich auch, schnell ist man sich einig – keine Musk-Kolumne.

Musk nervt aber inzwischen dermaßen, dass man es doch mal dokumentieren muss. Beziehungsweise nerven seine Jünger. Anders kann man diejenigen nicht nennen, die auf Zinne sind, sobald man Musk in Frage stellt.

Normalerweise – nee, normal ist gar nichts in Social Media, ich komm noch mal rein. Üblicherweise ist es ja so: Man schreibt etwas in die sozialen Netzwerke, man findet etwas gut, man freut sich über etwas, man mag jemanden, und: 3 – 2 – 1 – es findet sich immer wer, den niemand gut findet, den niemand mag, über den sich niemand freut. Und der kommentiert dann.

Nennen wir ihn mal Werner. Rein fiktiver Name, komplett random gewählt.

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Danke, Werner.

Bei Elon Musk verhält es sich umgekehrt. Kritik an Musk, Warnungen vor Musk, Bedenken ob Musks höchstwahrscheinlich künftiger Rolle als Obermokel von Twitter, Argumente (jaha, ein paar von uns glauben noch dran) gegen jedwede Machtfülle in einem einzigen Paar von Händen, noch dazu in denen von jemandem, der manchmal leicht bis extrem verhaltensauffällig, kritikunfähig, wankelmütig und verantwortungslos rüberkommt – all sie bringen Leute auf die Palme. Vor allem Leute mit einem festgefügten Weltbild. Und das sind ja meistens am konstruktiven Austausch sehr interessierte Leute. Angenehme Leute. Nee, Moment, ich komm noch mal rein: Das sind sie nicht.

In der Struktur erinnert das an die Corona-Debatte. In der Argumente nicht gelten lassen-Struktur. Wissenschaftliche Erkenntnisse – egal. Übereinstimmende wissenschaftliche Erkenntnisse aus mehreren voneinander unabhängigen Quellen – lediglich ein Beleg dafür, dass im vermeintlichen Schweinesystem alle zusammenhalten und einander decken. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht diese Woche etwa: Für einige Spezialexperten der letzte Sargnagel zum Rechtsstaat. Wieder einmal ein Beweis dafür, dass in Karlsruhe nur Tröten sitzen, die woanders niemand mehr beschäftigen wollte. Im Grunde ist „BVerfG“ ein Synonym für „ABM“. Haben Sie ABM und BVerfG schonmal gleichzeitig in einem Raum gesehen? Nein? Ich auch nicht. Ich stelle hier aber auch nur Fragen.

Wagt nun tatsächlich jemand die Ungeheuerlichkeit, Elon Musk nicht als Messias, als Übermenschen, als den Retter der ganzen weiten Welt (und dank SpaceX auch des Universums) zu sehen, sondern in Zweifel zu ziehen, ob das alles so eine gute Idee ist – dann Gnade ihm Gott. Wie wir Nicht-Jünger sagen. Für die anderen ist das ja ein Synonym für Musk. Kritik an Musk ist lediglich ein Beleg dafür, wie groß „unser“ aller Angst vor Meinungsfreiheit ist. „Meinungsfreiheit“ dient hier wie in vielen anderen Debatten als Synonym für „totale Äußerungsfreiheit, Gesetze sind dabei komplett außer Acht zu lassen, Beleidigungen und Drohungen empfinden nur Menschen als falsch, die zum Schweinesystem zählen“. Die Schnittmenge aus schlecht informiert („Musk hat der Ukraine StarLink geschenkt!“ – Nein, hat er nicht, aber anscheinend geht so eine wichtige Info unter, wenn man sich nur Alternativmedien zu Gemüte führt), schlecht argumentierend („Ihr werdet Euch alle noch verantworten müssen!“) und schlecht erzogen (zitiere ich hier nicht) ist groß. Auch dies: eine deutliche Parallele zu Corona-Debatten.

Im Grunde ist das gar kein umgekehrter Mechanismus. Corona. Musk, das Klima, Flüchtlinge – sie alle sind ein Kern, um den herum sich Leute immer wieder eine andere Hülle bauen. Der Kern heißt „Verachtung“. Solche Leute beten Musk an. #NuffSaid.

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21. Mai 2022

Sie sehen hier den Münchener Gasteig. Da tobt momentan eine Konferenz, und ich saß heute auf einem Panel zum Thema „Online-Hass gegen Frauen“. Dieses Panel startete just in dem Augenblick, in dem ich das Foto schoss. (Es startete mit einer Keynote, die nicht ich hielt, deshalb saß ich noch im Publikum.)

Wie Sie sehen, sitzen da viele Leute. Keine Selbstverständlichkeit. Denn was ich bisher meistens gesehen habe: Hass ist kein Blockbuster. Ich beschäftige mich ja viel mit Hass (Lieblingswitz meines Bruders: „Hass ist ihr Hobby“), und normalerweise stehen Leute auf und gehen oder aber kommen erst gar nicht, wenn drüber geredet wird. Niemand mag Hass. Interessant, dass er mancherorts trotzdem so floriert.

Nicht aber heute. Mein Tag war von vorne bis hinten unglaublich nett. Nett im Sinne von: nett. Es fing an mit der Fahrt zum Flughafen – durchweg freundlich. Am Flughafen hatte ich dann versehentlich eine 150 ml-Tube Handcreme im Handgepäck. Das ist ja gegen jede Regel. Der Mitarbeiter an der Sicherheitskontrolle wies mich zwar drauf hin – und drückte dann aber ein Auge zu. „Haick ja ja nich jesehn!“ Und das in Berlin!

Dann fiel mir wenig später nach einem Toilettenbesuch auf, dass mein Ring fehlte. DER Ring. Ich hab ihn vor vielen Jahren, etwa vor 30, von meiner Oma geschenkt bekommen. Er gehörte vorher ihr. Weil ich ihn so sehr liebte, überließ sie ihn mir. Er ist so schön, dass manche Menschen in meinem Umfeld bereits mir nach meinem Leben trachten: Eine Freundin fragte mich kürzlich, ob sie ihn haben könne, wenn ich mal tot sei. Seitdem bin ich wachsam.

Nun ist dieser Ring so beschaffen, dass Seife sich in ihm festsetzt. Also nehme ich ihn zum Händewaschen ab. So auch heute am Flughafen. Ich sprintete sofort zurück in den Waschraum, durchsuchte alles – nichts. Und: Fing an zu weinen. Vorm Waschraum. So. Und dann stand eine Frau vor mir und fragte, ob ich etwas suchte. Ich antwortete – und hatte ihn zurück. Sie hatte hinter mir gestanden am Waschbecken, mich noch rausgehen sehen, dann zu spät meinen Ring, mich dann erst nicht mehr gefunden – und nun zum Glück doch noch. (Sie war zurückgekommen, um nach einer Nummer zu einem Verantwortlichen suchen, wo sie ihn abgeben konnte.)

Und so ging es weiter. Erst traf ich eine liebe ehemalige Cutterin, die seit zwei Jahren in Rente ist, am Gate. Und dann, im Flugzeug, surprise, surprise: alle nett. Angekommen in München, Fahrt zur Konferenz: nett. Auf der Konferenz, Sie können es sich wohl denken, selbst wenn Mustererkennung nicht Ihre Stärke sein sollte. Genau: Alle nett!

Wieder zurück am Flughafen hatte ich noch Zeit. Trank Kaffee. Links von mir am Tisch: eine Frau mit kurzen blonden Haaren. Wir machten uns gegenseitig Komplimente für unseren hervorragenden Geschmack. Rechts von mir: vier Frauen. Sie aßen und tranken dazu Aperol Spritz. Als eine seufzte: „Ich lalle schon, es ist halb fünf!“, musste ich lachen. Sie lachte zurück und bot an, mir auch einen auszugeben. Eine andere bewunderte meine Brille und ließ sich von mir die hervorragende Site buchstabieren, die meine und andere schöne Brillen verkauft.

Ins Flugzeug zurück nach Berlin stieg ich als eine der Letzten ein. Hatte den Fensterplatz. Der in der Mitte und der am Gang waren schon belegt. Zwei große und massive Männer hätten beide aufstehen müssen, hätte ich drauf bestanden. Mir war es aber egal, ich sagte also: „Rücken Sie doch einfach auf, das passt schon“, und das fanden die beiden so schön im Sinne von nett, dass sie mir ihre Schokoladentafeln schenkten, die die Flugbegleiterinnen verteilten.

Was soll ich Ihnen sagen? Dieser Tag stand im Zeichen des Hasses und war von vorne bis hinten nett. Nett im Sinne von selten in einer solchen Ballung erlebt. Wenn ich jetzt für die restlichen Stunden Social Media meide, kann nichts mehr schiefgehen!

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20. Mai 2022

Heute am frühen Abend bin ich auf dem Balkon eingeschlafen. Im Sitzen. Erst ein einen Basketball während des Schlenderns dribbelnder Teenie weckte mich auf. Sonst säße ich immer noch da.

Die Woche war anstrengend, weil zerfasert. Nichts macht mich müder als fragmentiertes Arbeiten. Die eine Hälfte des Tages dies, die andere das, zwischendurch noch Unvorhergesehenes, dann die Bahn (nein, ich fange jetzt nicht schon wieder an) – Mutti kaputti. So sieht’s aus.

Eigentlich sollte ich heute noch einen Geburtstag mitfeiern. Hatte ich aber keine Lust drauf. Morgen fliege (ja, fliege, die Bahn, Sie wissen Bescheid. Wer nicht mal Berlin-Dresden ohne Probleme hinbekommt, dem bietet nach meinem Geschmack die Strecke Berlin-München eindeutig zu viel Potenzial zum Scheitern auf – Achtung: ganzer Strecke) ich zu einem Panel nach München, ich bin ja müde – ich habe abgesagt. Nun ist es ja nicht freundlich, auch wohlformuliert abzusagen. Es gibt aber ein Problem: Ich bin (selbstgewählt) gläsern.

Würde ich nämlich zu einer weißen Lüge greifen, sagen wir mal: Ich bin krank – da wäre das Staunen aber groß, wenn ich morgen was von der Veranstaltung twittere. Oder die Veranstalter etwas mit mir posten. Ich müsste jetzt auch irgendwas hier schreiben, das die Wahrheit elegant ausspart. Aufs Trainingsgerät hätte ich heute auch nicht steigen und trainieren können. Andere Geburtstagsgäste und ich sind miteinander dort vernetzt. Meine Trainingszeiten können sie mühelos nachschauen. Wer krank ist, fährt kein Rad. Außer Profis. Aber selbst wenn ich nicht gläsern wäre, wüsste so ziemlich jeder: Ein Radprofi bin ich nicht.

Also hab ich gesagt: „Es tut mir Leid, ich kann nicht. Ich brauche Ruhe, lass uns nächste Woche einen Wein trinken.“ Antwort Geburtstagskind: „Alles gut. Ich hab gesehen, was alles bei Dir los ist. Erhol Dich, freu mich auf nächste Woche!“

Gläsern ist also Pest und Fest. Und davon ganz unabhängig stimmt ja auch, was Freundin H. immer sagt: „Ich rechtfertige mich nicht dafür, was ich mit meiner Freizeit mache.“ Kluge Frau.

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19. Mai 2022

Dieses Foto ist aus einem Zug heraus aufgenommen worden. Einem fahrenden. Ein Zustand, den man nie für selbstverständlich halten sollte. Ich bin heute zu meiner eigenen Lesung zu spät gekommen. Weil mein Zug 45 Minuten stand. Zirka 100 Meter vom Dresdener Hauptbahnhof entfernt. ICH KAM ZU SPÄT UND ALLE MUSSTEN AUF MICH WARTEN. Und ich hatte eigentlich genügend Puffer eingeplant. Nach normalem Dafürhalten. Aber ich fuhr ja Bahn. Mein Fehler.

Gar nicht mal so kurz habe ich heute darüber nachgedacht, mir einen zweiten Twitter-Account einzurichten. Keinen anonymen, sondern schon klar als meiner erkennbar. Den würde ich aber ausschließlich dafür nutzen, Berichte (aka Pamphlete) von Bahnreisenden (aka Leidensgenossen) zu retweeten. Ich hab das wieder verworfen. Erstens macht mir das nur schlechte Laune und zweitens käme ich dann ja zu nichts anderem mehr. Ich brauche ein anderes Hobby.

Früher hatte ich eines. Jahrelang hatte ich rumprobiert. Tennis. Badminton. Jazz Dance. Keyboardspielen (ich habe sehr kleine Hände, Klavier ging deshalb nicht). Jahrelang lag mein Vater mir in den Ohren, ich solle Mannschaftssport treiben, auch aus charakterlichen Gründen. Jah-re-lang.

Als er es endlich aufgegeben hatte und mich nicht mehr belagerte, fing ich an mit Softball.

Softball ist eine Variante von Baseball. Irrtümlicherweise meinen viele Leute, als Ball würde ein weicher, gelber benutzt. Stimmt nicht. Der Ball ist größer als ein Baseball, aber genau so hart. Glauben Sie mir. Mir wurde mal die Nase mit einem gebrochen und eine Rippe irgendwann auch. Rippe war schlimmer, weil das im Winter passiert ist und Husten mit gebrochener Rippe wirklich unangenehm ist. Dafür waren die Fotos von mir mit Nasenbeinbruch spektakulärer. Irgendwas ist halt immer.

Softball war schön. Zweimal die Woche Training, jedes Wochenende Ligaspiel. Mein damaliger Freund spielte Baseball im selben Verein, also verbrachten wir abwechselnd als Spieler oder Spielerin und als Zuschauer bzw. Zuschauerin beide Tage am Wochenende auf dem Platz. Unser Freundeskreis rekrutierte sich zu weiten Teilen aus dem Verein. Der aber auch wirklich großartig war. Wir waren jung, wir waren partywütig, wir waren sehr lustig. Mein Team, behaupte ich jetzt mal, war auf Turnieren, auf Partys und auch im Alltag immer das extrovertierteste, das lustigste und das netteste. Traumkombi.

Dann machte ich Abi, zog weg und fand die Freiheit, immer das zu tun, was ich will, viel toller als ein Hobby. Also tat ich gar nichts, jedenfalls nichts Sportliches. Dann hatte ich irgendwann einen Beruf, der hatte mit Nachrichten zu tun, die sind unberechenbar, also nix mehr mit Training und Ligaspielen am Wochenende und so. Schade Marmelade. Wirklich schade. Hätte mein Vater mein trotziges Teenie-Ich mal nicht so genervt. Dann hätte ich viel früher angefangen. Im Grunde ist er schuld. Sein Fehler. Gleich mal anrufen und mich beschweren.

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18. Mai 2022

Ich war heute Abend eingeladen. Ja, das Sozialleben eskaliert, es ist der blanke Wahnsinn. Mein Leben ist eine einzige Polonaise.

Sinnigerweise ging es in der Veranstaltung um Einsamkeit.

Besonders jüngere Leute (in den Zwanzigern) und Ältere bezeichnen sich überdurchschnittlich häufig als einsam, habe ich gelernt. Die Jüngeren, weil eine neue Lebensphase beginnt. Schule vorbei. Ausbildung, oft in einer neuen Stadt. Ältere – das Phänomen kennt man.

Vor allem Frauen sollen betroffen sein, aber eine Teilnehmerin zog das in Zweifel: Sie würde das nicht eine Sekunde lang glauben, sagte sie. Sondern vielmehr davon ausgehen, dass Frauen besser in der Lage sind, ihre Gefühle zu kommunizieren. Das halte ich für sehr schlüssig. Aber man weiß es natürlich nicht.

Die Veranstaltung war erstaunlich lustig und – natürlich – sehr geprägt vom Thema Pandemie. Es waren sehr schlaue Frauen dort (ein Frauennetzwerk soll geknüpft werden, deshalb), drum nahmen die Diskutantinnen die intellektuelle Hürde locker und gelangten schnell über das ja einigermaßen simple „Wir waren ja oft einsam in der Pandemie“ hinaus.

Zwei Punkte fand ich interessant: Eine Frau im Publikum engagiert sich ehrenamtlich in einem Wahlpaten-Verein. Menschen ohne Enkel zum Beispiel gehen in Familien, denen wiederum die Großeltern fehlen. Weil sie zu weit weg leben. Oder gar nicht mehr. Diese Ehrenamtliche erzählte, die Wahlpaten hätten, vor die Wahl gestellt zwischen Immunschutz und weiterhin Kontakt zu „ihren“ Familien, letzteres gewählt. Sehr logisch, wenn man drüber nachdenkt. Wer sich eine Familie sucht, will nicht mehr einsam sein. Und dann kommt Scheiß-Corona.

A propos: Es ist manchmal auch okayes Corona. Ein, zwei Begleiterscheinungen haben es ja auch auf die Positiv (pun intended)-Liste geschafft. So werde, zweiter für mich interessanter Punkt, dank des Virus inzwischen offener über Einsamkeit gesprochen, berichteten anwesende Politikerinnen. Ein Teil des Stigmas sei verloren gegangen. Niemand vermisst es. Es können sich gern noch mehr Teile dazu gesellen.

Über Affenpocken möchte ich trotzdem nicht nachdenken.

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17. Mai 2022

Lustig sehen wir aus, oder? Und gut gelaunt auch. Beides trifft auch zu. Ich war aus, essen, mit Freunden, unter anderem dem da oben. Und wissen Sie was? Ich wollte erst schreiben: „Heute hab ich gar nicht viel zu berichten“ (nachdem ich gestern schon nichts geschrieben habe, weil um 21 Uhr eingeschlafen bin wie so ein Baby oder wie eine Seniorin, you name it, um 5 war ich heute früh wach, passt auch auf beides, nur dass ich durchgeschlafen hab, egal, ich verliere mich hier in thematischen Schnörkeln), „denn ich war nur aus und hatte auch sonst einen unspektakulären Tag.“

„Nur.“

Heute Morgen musste ich beruflich in den Bundestag, zu einem alldienstäglichen Pressetermin einer Fraktion. Wegen Regens nahm ich die Bahn, musste ein Stück des Weges laufen – und fühlte mich qua Masse fast schon regelrecht angebrüllt von Plakaten. Für Konzerte. Musik. Kultur. Ich interessiere mich nicht sehr für Konzerte. Wenn ich Musik höre, will ich tanzen und nicht dabei zugucken und -hören, wie Leute Lieder, die ich von ihren Alben kenne, plötzlich anders spielen und singen. Ich bin da Banausin, ich bin da einfach gestrickt.

Plötzlich sind da überall Konzerte

Wenn ich das richtig überblicke, gibt es drei Möglichkeiten dafür, dass selbst ich die vielen Konzertankündigungen sehe:

1. Es fällt mir jetzt einfach viel mehr auf, weil es das wegen Corona so lange nicht mehr gab, schon gar nicht in dieser Fülle. 2. Es gibt einfach mehr Konzerte wegen Nachholbedarfs. 3. Es gibt jetzt mehr Konzerte, weil man so viel wie möglich aus Sorge vor der nächsten Welle ab Herbst in den Frühling und den Sommer stopft. (A propos Frühling: Gibts den überhaupt noch? Für morgen sind 26, für Donnerstag 29 und für Freitag 27 Grad angesagt. Dieser Tweet bildet meine Einstellung dazu perfekt ab:)

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„Wenn immer so ein Wetter wäre, wäre Einiges einfacher“, sagte ich vorhin auf dem Nachhauseweg aus dem Restaurant zu Freund C. Wir fahren durch die Alte Schönhauser Allee. Leute sitzen draußen, essen, trinken, gesellen so herum. „Nur.“

Sogar C. findet’s schön

„Ach, Nicole“, seufzte es auf dem Klapprad neben mir, unter einem weißen Fahrradhelm. C. hat eine GoPro drauf geschraubt, damit die aggressiven Berliner Autofahrer ihn in Frieden lassen. Er sieht damit aus wie ein als UN-Blauhelm verkleidetes Mitglied der Ameisenarmee aus „Biene Maja“. Ihm ist das völlig egal; auch, dass ich ihm das immer wieder sage. Er ist und bleibt ein Nerd. „Du weißt doch, ich bin nicht so ’ne Frohnatur wie du“, sagt er. „Ich kann das nicht uneingeschränkt teilen.“

Und doch war er es, der beim Rausgehen aus dem Restaurant in einem sehr unbedachten Moment in überraschtem Singsang sagte: „Das war schön! Das hatte ich vergessen, wie schön das ist. Ich hab das so lange nicht mehr gemacht!“

„Nur.“

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15. Mai 2022

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Ich höre und lese die tumbe und gefährliche Behauptung von der „Lügenpresse“ relativ häufig. In den sozialen Medien. Auf Drehs, sobald jemand das Kamerateam und unsere Herkunft erkennt. Wo ich es äußerst selten höre: in meinem privaten Umfeld. Warum sollte ich mich auch freiwillig mit Menschen umgeben, die sich einem Narrativ von Demokratiefeinden anschließen? Gestern Abend aber fand ich mich an einem Tisch wieder, in kleiner Runde, wir waren zu siebt – und unter uns ein Vertreter des „Lügenpresse“-Unsinns.

Ursprünglich war ich mit drei Freundinnen verabredet gewesen, das Ganze seit zwei Wochen geplant. Eine nach der anderen sagte am Freitag ab: schiefer Haussegen bei der einen, irgendwie verpeilt war die andere, und die dritte saß beruflich außerhalb Berlins fest. Ich erzählte Freundin E. fasziniert davon, die kurzerhand beschloss, mich mit zum Chinesen zu nehmen. Sie und ihr Partner T. (beide Österreicher) waren von ihrem guten Freund B. und dessen Frau dorthin eingeladen worden. Außerdem sollte noch irgendeine Frau dazu kommen, die mit irgendeinem entfernten Bekannten von irgendwem mal was gehabt hatte, und ihren Großcousin mitbringen, der auch Österreicher ist, und dann ist man ja quasi von einem Schlag und wird sich schon verstehen.

Jaha. Denkste.

Im Grunde war mir schon klar, wohin die Reise ging, als er mich nach meinem Beruf fragte, nach meinen Schwerpunkten, und daraufhin: „Dürftest du eigentlich auch positiv über die AfD berichten?“ Ich antwortete, dass ich alles darf, jedoch berichten ja bedeutet: weder positiv noch negativ, sondern einordnend, analytisch, nicht aber kommentierend. Seine Anschlussfrage: „Und was meinst du, wie ist es um die Pressefreiheit bestellt in Deutschland?“ Ich erwiderte: Na ja, war schon mal besser, die Einschränkungen werden mehr, die Bedrohung wächst, auf Demos nur noch mit Security…

Er hatte jedoch wohl „Meinungsfreiheit“ gemeint, als er „Pressefreiheit“ gesagt hatte, denn seine Reaktion auf meine Antwort hatte mit dieser wenig zu tun. Sie lautete: „Ja, aber Ken Jebsen wird hier in Deutschland zensiert!“ Auf meine Nachfrage, worauf konkret er sich beziehe, nannte er Jebsens Sperre bei YouTube. Ich entgegnete erstens die korrekte Definition von Zensur, schilderte zweitens die problematischen Inhalte Jebsens, daraufhin kam er mit RT (früher Russia Today), ich nannte Beispiele für Staatspropaganda, erläuterte kurz den Unterschied zu Journalismus, das war aber alles gar nicht von Belag für ihn, er kürzte den argumentativen Teil schnell ab und erklärte er mir, die Medien (ja, „die Medien“) würden ja ständig lügen.

Der Rest des Tisches muss ihn ähnlich angeguckt haben wie ich. Bis dahin hatte er sich – zumindest, so weit ich das beurteilen kann von außen – nicht unwohl gefühlt. Jetzt aber ruderte er ein wenig zurück und schob nach, was er wohl für konsensfähig in der Runde hielt: „Zum Beispiel die Bild.“

Ich halte weder „die Medien“ noch den Vergleich mit der Bild für klug oder gar redlich, hatte jetzt ja auch schon genug gehört, stellte klar, dass ich mit Bild nicht in einen Topf geworfen werden möchte, das Label „die Medien“ für zu undifferenziert halte und die Mär von der Lügenpresse für gleichsam unterkomplex wie gefährlich. Dann ging ich noch kurz im Kopf mögliche Handlungsoptionen durch (seine Thesen durchdeklinieren mit der Bitte um diese Thesen untermauernde Fakten; mein Buch in Form eines engagierten Impulsreferats zusammenfassen und ihn somit ins Koma quatschen; etwas anzünden; einfach gehen), und entschloss mich: sitzenbleiben, Gespräch weiterführen. Nichts von dem, was er bisher vorgebracht hatte, war fundiert. Und vor allem aber: Ein Gespräch war ja möglich.

Was mich zugleich – auch heute noch – sehr erschreckte, war nämlich ja gleichzeitig auch eine Chance: Er war kein wildgewordener Irrer auf einer Querdenkerdemo, dem beim Reden Spucke aus einem Mundwinkel läuft. Auch kein hoch aggressiver Gegner des ganzen angeblichen Schweinesystems, der sich vor Jahren abgekoppelt hat und mit Mitte 50 noch bei Mutti wohnt. Kein Twitteruser mit dem Namen „Penispropeller85“. Vor mir, direkt vor mir, saß ein sehr gut verdienender, akademisch gebildeter Mann. Wirtschaftsprüfer und Partner in einer großen, bekannten Beraterfirma. Es war die Gelegenheit, ohne Zeitdruck, weil ich beruflich unterwegs war, ohne Angst vor möglichen körperlichen Angriffen der Gegenseite sowie ohne innerliches Abwinken ob seines Geisteszustands endlich mal zu erfahren, wie sich so ein Weltbild eigentlich zusammensetzt. Ohne Twitterpublikum. Ohne die Möglichkeit, einfach nicht mehr zu antworten, wenn ihm die Argumente ausgehen.

Das ging aber nicht. Denn nun übernahm der neben mir sitzende B., der den Abend organisiert hatte. Vielleicht fühlte er sich verantwortlich und es war ihm peinlich, dass jetzt so ein Quatsch erzählt wurde. Keine Ahnung. Jedenfalls: B. wurde sauer und hielt ein flammendes Plädoyer für die deutsche Presselandschaft, für den Zustand der Meinungsfreiheit hierzulande. Nannte gute Argumente, warum Ken Jebsen und RT nicht so großartige Quellen sind und warum er gerne Rundfunkgebühren zahlt. B. schraubte sich dermaßen hoch – so hoch komme ich mittlerweile gar nicht mehr. Nicht wegen Altersmilde, sondern wegen Abnutzung. Ich höre all diesen Mist so oft, dass ich die Konsequenzen dieses „Lügenpresse“-Geschreis zwar durchaus noch ernstnehme, mich allerdings auf keine Debatten mehr einlasse. Es lohnt sich nicht. Meine Motivation für das Gespräch wäre im Leben nicht gewesen, den Mann zu überzeugen, dass es die Lügenpresse nicht gibt. Das versuche ich nicht mal mehr an Wochentagen im beruflichen Kontext geschweige denn an meinem Samstagabend in einem sauleckeren Restaurant (Hot Pot – super, ich hatte ja keine Ahnung!).

Ich hätte dieses Gespräch also gerne geführt, ich hätte es initiiert. Ich bin nicht konfliktscheu. Aber als B.s Frau ihm ihre Hand aufs Bein legte und ihn bat, es nicht eskalieren zu lassen, entschloss ich: Wir wechseln das Thema. Ich war das Anhängsel gestern Abend. Ich hatte genau zwei von sechs Leuten gekannt, als ich im Restaurant angekommen war, ich würde den Abend nicht an mich reißen. Es war ja für alle Wochenende.

Wir saßen noch zwei Stunden zusammen. Nach einer habe ich es über mich gebracht, den Lügenpresse-Behauptungs-Mann wieder anzusprechen, bei unverfänglicheren Themen. Wir haben den Abend mit Anstand hinter uns gebracht, war später auf dem Heimweg unser Fazit. Anstand, den ich dem Mann abspreche.

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14. Mai 2022

Wir Journalisten merken es in den Redaktionen: Das Interesse vieler Leserinnen und Leser nimmt ab. Der Krieg geht weiter, aber irgendwann kann man es nicht mehr hören. Das ist der Gang der Welt.

Schreibt Florian Harms, Chefredakteur von t-online, in seinem morgendlichen Newsletter. (Da bin ich Kolumnistin, um transparent zu sein. Hätte ihn aber andernfalls auch verlinkt 😉

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt uns noch, aber nicht mehr so sehr. Ein normaler Prozess. Kaum was passiert ja von jetzt auf Fall.

Die Menschen, die hier her geflüchtet sind, beschäftigen uns alle in sehr unterschiedlichem Maße. Eine russischstämmige Bekannte hat vor Wochen drei Ukrainerinnen bei sich aufgenommen, eine Mutter mit zwei Töchtern. Die ältere der beiden ist bereits über 20, das jüngere Kind geht noch zu Schule.

Inzwischen hier in Berlin, erzählte die Bekannte gestern. Und von einem parallel laufenden Prozess: „Wir [sie sagt ‚wir‘, das finde ich schön] haben jetzt einen Wohnberechtigungsschein. Es geht weiter.“ Es geht weiter. Zurück geht es nicht. Ein Wohnberechtigungsschein, das ist ja ein großer Schritt. Sesshaft werden bedeutet das. Den ursprünglichen Plan über den Haufen werfen bedeutet das. „In vier Wochen gehen wir wieder zurück“, lautete der, erzählt meine Bekannte. Ihre Gäste waren fest davon überzeugt, dass der Krieg dann vorbei sei. (Verloren für ihr Land, übrigens.)

Das ist zwei Monate her. Der Krieg tobt noch, die ältere Tochter hat hier Arbeit gefunden, die kleinere einen Schulplatz und einen Musikurs. Kein Online-Unterricht mehr mit den gewohnten Lehrern und Mitschülern, in der Muttersprache, obwohl weit weg vom Vaterland. Der Job der Großen und der Schulplatz der Kleinen sind ein riesiger Schritt raus aus einem Ausnahmezustand.

Niemand möchte lange in einem Ausnahmezustand leben, egal, wie er gelagert ist. Schule ist Alltag, und Alltag bedeutet: Zuhause.

Das Zeitgefühl von Kindern ist ein anderes als unseres. Und Menschen haben eine unterschiedlich starke Bindung an ihre Heimat. Die Mutter der beiden sucht Arbeit, will nähen. Sie ist Designerin und hat meiner Bekannten einen tollen Mantel genäht. Langfristig will sie aber zurück in die Ukraine. Ihre ältere Tochter will hierbleiben. Die Kleine weiß es noch nicht. Alle drei haben eines gemeinsam: Sie gucken so wenig Nachrichten wie möglich. Die Bilder tun ihnen weh. Und sie sind froh, dass sie leben. Demnächst, wenn alles klappt, werden sie sogar wieder wohnen.