19. Mai 2022

19. Mai 2022

Dieses Foto ist aus einem Zug heraus aufgenommen worden. Einem fahrenden. Ein Zustand, den man nie für selbstverständlich halten sollte. Ich bin heute zu meiner eigenen Lesung zu spät gekommen. Weil mein Zug 45 Minuten stand. Zirka 100 Meter vom Dresdener Hauptbahnhof entfernt. ICH KAM ZU SPÄT UND ALLE MUSSTEN AUF MICH WARTEN. Und ich hatte eigentlich genügend Puffer eingeplant. Nach normalem Dafürhalten. Aber ich fuhr ja Bahn. Mein Fehler.

Gar nicht mal so kurz habe ich heute darüber nachgedacht, mir einen zweiten Twitter-Account einzurichten. Keinen anonymen, sondern schon klar als meiner erkennbar. Den würde ich aber ausschließlich dafür nutzen, Berichte (aka Pamphlete) von Bahnreisenden (aka Leidensgenossen) zu retweeten. Ich hab das wieder verworfen. Erstens macht mir das nur schlechte Laune und zweitens käme ich dann ja zu nichts anderem mehr. Ich brauche ein anderes Hobby.

Früher hatte ich eines. Jahrelang hatte ich rumprobiert. Tennis. Badminton. Jazz Dance. Keyboardspielen (ich habe sehr kleine Hände, Klavier ging deshalb nicht). Jahrelang lag mein Vater mir in den Ohren, ich solle Mannschaftssport treiben, auch aus charakterlichen Gründen. Jah-re-lang.

Als er es endlich aufgegeben hatte und mich nicht mehr belagerte, fing ich an mit Softball.

Softball ist eine Variante von Baseball. Irrtümlicherweise meinen viele Leute, als Ball würde ein weicher, gelber benutzt. Stimmt nicht. Der Ball ist größer als ein Baseball, aber genau so hart. Glauben Sie mir. Mir wurde mal die Nase mit einem gebrochen und eine Rippe irgendwann auch. Rippe war schlimmer, weil das im Winter passiert ist und Husten mit gebrochener Rippe wirklich unangenehm ist. Dafür waren die Fotos von mir mit Nasenbeinbruch spektakulärer. Irgendwas ist halt immer.

Softball war schön. Zweimal die Woche Training, jedes Wochenende Ligaspiel. Mein damaliger Freund spielte Baseball im selben Verein, also verbrachten wir abwechselnd als Spieler oder Spielerin und als Zuschauer bzw. Zuschauerin beide Tage am Wochenende auf dem Platz. Unser Freundeskreis rekrutierte sich zu weiten Teilen aus dem Verein. Der aber auch wirklich großartig war. Wir waren jung, wir waren partywütig, wir waren sehr lustig. Mein Team, behaupte ich jetzt mal, war auf Turnieren, auf Partys und auch im Alltag immer das extrovertierteste, das lustigste und das netteste. Traumkombi.

Dann machte ich Abi, zog weg und fand die Freiheit, immer das zu tun, was ich will, viel toller als ein Hobby. Also tat ich gar nichts, jedenfalls nichts Sportliches. Dann hatte ich irgendwann einen Beruf, der hatte mit Nachrichten zu tun, die sind unberechenbar, also nix mehr mit Training und Ligaspielen am Wochenende und so. Schade Marmelade. Wirklich schade. Hätte mein Vater mein trotziges Teenie-Ich mal nicht so genervt. Dann hätte ich viel früher angefangen. Im Grunde ist er schuld. Sein Fehler. Gleich mal anrufen und mich beschweren.