14. Mai 2022

14. Mai 2022

Wir Journalisten merken es in den Redaktionen: Das Interesse vieler Leserinnen und Leser nimmt ab. Der Krieg geht weiter, aber irgendwann kann man es nicht mehr hören. Das ist der Gang der Welt.

Schreibt Florian Harms, Chefredakteur von t-online, in seinem morgendlichen Newsletter. (Da bin ich Kolumnistin, um transparent zu sein. Hätte ihn aber andernfalls auch verlinkt 😉

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt uns noch, aber nicht mehr so sehr. Ein normaler Prozess. Kaum was passiert ja von jetzt auf Fall.

Die Menschen, die hier her geflüchtet sind, beschäftigen uns alle in sehr unterschiedlichem Maße. Eine russischstämmige Bekannte hat vor Wochen drei Ukrainerinnen bei sich aufgenommen, eine Mutter mit zwei Töchtern. Die ältere der beiden ist bereits über 20, das jüngere Kind geht noch zu Schule.

Inzwischen hier in Berlin, erzählte die Bekannte gestern. Und von einem parallel laufenden Prozess: „Wir [sie sagt ‚wir‘, das finde ich schön] haben jetzt einen Wohnberechtigungsschein. Es geht weiter.“ Es geht weiter. Zurück geht es nicht. Ein Wohnberechtigungsschein, das ist ja ein großer Schritt. Sesshaft werden bedeutet das. Den ursprünglichen Plan über den Haufen werfen bedeutet das. „In vier Wochen gehen wir wieder zurück“, lautete der, erzählt meine Bekannte. Ihre Gäste waren fest davon überzeugt, dass der Krieg dann vorbei sei. (Verloren für ihr Land, übrigens.)

Das ist zwei Monate her. Der Krieg tobt noch, die ältere Tochter hat hier Arbeit gefunden, die kleinere einen Schulplatz und einen Musikurs. Kein Online-Unterricht mehr mit den gewohnten Lehrern und Mitschülern, in der Muttersprache, obwohl weit weg vom Vaterland. Der Job der Großen und der Schulplatz der Kleinen sind ein riesiger Schritt raus aus einem Ausnahmezustand.

Niemand möchte lange in einem Ausnahmezustand leben, egal, wie er gelagert ist. Schule ist Alltag, und Alltag bedeutet: Zuhause.

Das Zeitgefühl von Kindern ist ein anderes als unseres. Und Menschen haben eine unterschiedlich starke Bindung an ihre Heimat. Die Mutter der beiden sucht Arbeit, will nähen. Sie ist Designerin und hat meiner Bekannten einen tollen Mantel genäht. Langfristig will sie aber zurück in die Ukraine. Ihre ältere Tochter will hierbleiben. Die Kleine weiß es noch nicht. Alle drei haben eines gemeinsam: Sie gucken so wenig Nachrichten wie möglich. Die Bilder tun ihnen weh. Und sie sind froh, dass sie leben. Demnächst, wenn alles klappt, werden sie sogar wieder wohnen.