Ordentliche Selbstbestrafung

Ordentliche Selbstbestrafung

Meine Magisterarbeit habe ich zu 99 Prozent zu Hause geschrieben. Ich bin gerne zu Hause, kann mich gut selbst disziplinieren und lasse mich schnell von äußeren Reizen ablenken. Also schrob ich daheim. Dafür musste ich viele Bücher ausleihen. Sehr viele.

Eines Tages ließ ich den Blick vom Schreibtisch durch mein Wohn-/Arbeitszimmer schweifen, schweifte hin, schweifte zurück, schweifte ab – und blieb an einer Kiste hängen. Warum stand diese Kiste dort? Welchen Inhalts war diese Kiste?

Meine Untersuchung ergab: In dieser Kiste lagen sehr viele Bücher. Die ich zu Beginn meiner sechsmonatigen Schreibzeit gebraucht hatte. Nun war ich fast fertig. Kurz war ich benommen, dann fasste ich mir ein Herz, packte die Kiste und fuhr in die Stabi. Manche Dinge muss man handhaben wie Pflasterabreißen.

In der Rückgabestelle staunte man nicht schlecht. Zumindest, bis ich ein Drittel der Bücher auf den Tresen gelegt hatte. Ab da war der Berg schon so hoch, dass die Miene des Mitarbeiters dahinter verschwand.

Nach langer Stille, nur unterbrochen vom grob über den Daumen gepeilt 150-fachen Piepsen des Scanners, nannte der Mann mir eine Summe. Als ich wieder bei Bewusstsein war, fragte ich, ob Kartenzahlung ginge. Raten Sie mal: 2004, Staatsbibliothek. Also machte ich mich auf den Weg zum Geldautomaten.

Bei meiner Rückkehr war der Mitarbeiter nicht mehr alleine. Er hatte ein paar Kollegen dazu geholt. Schaulustige könnte man sie auch nennen. Ich konnte sie verstehen. Mit schmalen Lippen zahlte ich und warte seitdem auf die Umbenennung in „Nicole Diekmann-Bibliothek“. Hat man bisher wohl vergessen.

Was ich vergessen konnte, war das Heather Nova-Konzert, auf das zu gehen ich vorgehabt hatte. Das verbot ich mir. Nicht aus finanziellen Gründen, darauf kam es nun wirklich nicht mehr an. Sondern aus pädagogischen.

Und weil ich so funktioniere, habe ich nun endlich, ich möchte es laut tirilierend wiederholen: ENDLICH einen aufgeräumten Keller.

Seit zweieinhalb Jahren hat der Gedanke an diesen Keller mir schlechte Laune gemacht und saß mir wirklich schwer im Nacken mit kontinuierlicher Tendenz zum schwerer Werden. Eine von mir nur halb lustig gemeinte These lautet, dass ich mein Buch geschrieben habe, um eine Ausrede fürs NichtKellerAufräumen zu haben.

Gestern fiel mir durch eine Verkettung von Zufällen auf, dass ich finanziellen Mist gebaut habe. Eine 100%-ige Eigenleistung, bedingt durch Bequemlichkeit, Unkonzentriertheit und Unwillen. Ich kann hier nicht ins Detail gehen, weil ich niemanden auf dumme Gedanken bringen will und mein kaufmännisch ausgebildeter und -gefuchster Vater mich wohl zur Adoption freigeben würde, würde er davon erfahren. Ich will auch gar nicht ins Detail gehen, weil es wirklich peinlich ist. Finde ich. Die ich in einem eben kaufmännisch geprägten und sehr ordentlichen und sparsamen Haushalt aufgewachsen bin.

Nun habe ich kein Vermögen an der Börse verjubelt. Dazu müsste ich ja eins (gehabt) haben. Oder auf falsche Berater vertraut. Ich bin ja nicht Steffi Graf. Es ist keine Katastrophe. Ärgerlich, das ja.

Was aber nun passiert, ist folgendes: Die „Schöner Wohnen“ kann sich schon mal ready machen. Um halb sechs heute Morgen bin ich aus den Federn, habe die Sommersachen verräumt, allen zu erledigenden Papierkram erledigt, auf dem Rückweg aus dem Büro notwendige Herbst- und Wintersachen gekauft und anschließend DEN KELLER AUFGERÄUMT. Und so wird das hier weitergehen. Damit mir sowas nicht noch mal passiert.

Ich fühle mich wie eine Mischung aus Marie Kondo und einem Opus Dei-Mitglied. Mit einem sensationellen Keller. Immerhin.