Julian Reichelts Kurzstreckenflug

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Julian Reichelts Kurzstreckenflug

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Julian Reichelt ist jemand, den findet man entweder dermaßen freidrehend und indiskutabel, dass man wenig mehr dazu sagen muss und möchte, weil das Leben kurz ist und Reife sich unter anderem in der Fähigkeit zeigt, sich auf positive, konstruktive Seiten unseres ja eben endlichen Daseins zu konzentrieren. Oder aber man findet Julian Reichelt total super. Es mag an meiner Timeline liegen, die ich sorgfältig kuratiert habe, denn das Leben ist kurz, siehe oben. Oder daran, dass Julian Reichelt freidrehend und indiskutabel ist und das für den Salon irgendwann nicht mehr ausreichend genug verstecken konnte – in meiner Timeline jedenfalls stellen die Reichelt-Fans eine verschwindend geringe Minderheit dar.

Das ist für diese Geschichte aber völlig egal. Finde ich zumindest. Denn ob man etwas richtig oder falsch findet, sollte ja – Stichwort: Reife – nicht davon abhängen, wer es tut oder nicht tut.

Julian Reichelt ist also Kurzstrecke geflogen. Und hat sich über seine lange Wartezeit aufgeregt. Einer der am meisten beachteten und bejubelten Tweets dazu:

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Ein in mehrfacher Hinsicht phänotypischer Tweet. Punkt 1: Kurzer Satz, klare Ansage. Punkt 2: Die Absenderin haut drauf. Dafür wurde Social Media zwar nicht erfunden, wohl aber darauf programmiert. Und, Punkt 3, dankbarerweise haut sie drauf auf jemanden, der es aus Sicht Vieler mehr als verdient hat. 24/7.

Julian Reichelt hat eine lange Zeit sehr viel Geld damit verdient, draufzuhauen. Draufzuhauen im Sinne von wohlkalkuliert wild draufzuprügeln. Ohne Skrupel. Also kriegt er jetzt auch einen ab, die Vorlage ist so steil, steiler geht nicht.

„When they go low, gehen wir eben auch low, was soll’s“ – eine in den sozialen Medien ja nicht komplett unverbreitete Denke. Wir ächzen alle unter der Hitze – Stichwort: Klimawandel – und sind dankbar für möglichst geringe Komplexität. Kurzstreckenflüge sind schlecht – Stichwort: Klimawandel, Julian Reichelt ist schlecht. Man muss sich geistig nicht anstrengen, weder beim Thema noch beim Sender-Empfänger-Schema. Hallelujah!

Was die Antwort auf seinen Tweet ebenfalls erfolgreich macht: Reichelt ist böse, die Absenderin nicht.

Das aber führt in eine Bredouille, zumindest Twitter-Süchtige aufmerksame Twitter-Konsumenten. Denn nicht nur Julian Reichelt fliegt Kurzstrecke bzw. versucht es.

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Von Deutschland nach Wien, war der Plan. Kurzstrecke. Hinter dem Plan steckt Natascha Strobl. Strobl, österreichische Politikwissenschaftlerin und Autorin, gehört zu den Hassobjekten der Rechten. Weil Strobl sie chirurgisch analysiert, ihre Mechanismen erklärt und ihnen die Stirn bietet. Wem sie nicht die Stirn bieten musste: derselben Bubble, die Julian Reichelt verurteilt. Ich betone: für seinen Kurzstreckenflug. Es gibt sehr viele andere Punkte, für die Julian Reichelt krtisiert wird, aber hier geht es ja eindeutig um seinen Kurzstreckenflug. Und der einzige Unterschied zwischen ihm und Natascha Strob ist der, dass seiner nicht gestrichen wurde. Natascha Strobl bekam natürlich auch etwas ab, aber nicht allzu viel. Wohl aber viel Zustimmung hierfür:

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Ich habe keine Ahnung, warum Julian Reichelt Kurzstrecke geflogen ist. Vielleicht ist ihm alles egal. Der Gedanke liegt nahe, betrachtet man diese seine Tat im Kontext anderer seiner Taten. Kann aber ja auch sein, dass er gute Gründe hatte. Ich bin zum Beispiel kürzlich morgens von Berlin zu einer Konferenz in München hin- und nachmittags wieder zurückgeflogen. Weil ich pünktlich sein musste. Weil ich vor Ort sein musste, der Veranstalter bestand drauf. Weil ich bei alle drei Bahnfahrten zuvor nicht pünktlich war. Unter anderem kam ich – auf der direkten und nicht allzu langen Strecke von Berlin nach Dresden – zu meiner eigenen Lesung zu spät. Und das fand ich äußerst unangenehm den Leuten gegenüber, die ich warten lassen musste.

In München übernachten konnte und wollte ich nicht. Die Gründe dafür sind privat und gehen niemanden was an.

Und, wer bin ich jetzt? Julian Reichelt oder Natascha Strobl? Oder bin ich jemand, die fest von einem überzeugt ist: Wir müssen alle etwas ändern. Aber so kann man sich nicht benehmen. Das ist zu billig. Natascha Strobl twitterte übrigens, dass sie versprochen hatte, pünkltich (!) zur Geburtstagsparty ihres Sohnes zurück in Wien zu sein. Kann man das kritisieren? Ist das nicht ein guter Grund, zu fliegen?

Ich finde, schon. Aber: Meine Meinung ist doch völlig unerheblich. Wer bin ich denn, zu richten, wer wie oft wie weit oder kurz aus welchem Grund und aus welchem nicht fliegen darf? Und wer was verdient hat?

Wer ich bin: Jemand, die nicht in einer Welt leben will, in der wir uns jetzt voreinander rechtfertigen müssen, was wir essen, wie wir unsere Zeit managen, welche Prioritäten wir setzen. Wer tatsächlich glaube, dass das der Weg ist, hat den Glauben an sehr Vieles schon lange verloren. Nur nicht in seine eigene Unfehlbarkeit. Und an zweierlei Maß. Und daran, dass die Twitter-Polizei irgendeine relevante Größe ist. Kann man alles glauben. Ist aber intellektuelle Kurzstrecke.