Nicht Musk ist das Problem. Wir sind es.

Nicht Musk ist das Problem. Wir sind es.

Es ist noch nicht raus, ob Elon Musk nun aufhört als Twitter-Chef oder nicht. Obwohl ich nicht langsam tippe, kann das bis zum Ende dieses Beitrags schon anders aussehen. Zu schreiben, dass Musk erratisch handelt, lässt mich nach nur sieben Wochen mit dem Milliardär an der Spitze des sozialen Netzwerks vor Langeweile beinahe in Sekundenschlaf fallen. Es ist eine Binse, trotz der Kürze der Zeit, in der er dies unter Beweis stellt.

Vor allem aber ist es egal, ob Musk weiter die Geschicke lenkt oder nicht. Es wäre sogar egal, wenn er den Laden direkt wieder verkauft. Denn ein paar Lehren, die wir aus dem Desaster ziehen können, haben wenig mit ihm zu tun. Sondern mehr mit Usern. Egal, wo sie sich tummeln. Und diese Lehren verheißen nichts Gutes.

1. Wir Menschen sind unfassbar naiv. Bis heute finden sich Fanboys (wenn auch in mittlerweile massiv geschrumpfter Zahl), die einen Plan sehen. Ganz zu Beginn der Musk-„Ära“ antwortete jemand auf meinen Tweet, er sei wirklich erstaunt, dass so viele Journalisten die Strategie hinter Musks Vorgehen nicht erkennen würden. Ich bin froh, dass so gut wie keiner der Journalisten, die ich vorher ernstgenommen habe, diese Strategie erkannt haben. Es gibt nämlich keine. Das räumt inzwischen sogar Frank Thelen ein, obwohl der sich in den vergangenen Wochen nicht minder blamiert hat als „Elon“, wie er ihn, beharrlich peinlich Augenhöhe suggerierend, nennt.

2. Wir Menschen bleiben naiv. Nun gehen also ein paar zu Mastodon. Weil dort angeblich alles besser ist als bei Twitter. Da war aber auch so gut wie nie alles gut – dazu gleich mehr – und noch wichtiger: Mastodon weist eklatante Mängel auf. Wie Ann Cathrin Riedel in ihrem Newsletter schreibt, fällt Mastodon zurzeit weder unter das NetzDG noch gilt der DSA.*

Dass intransparent und insofern demokratisch wenig legitimiert ist, wer wann wieso gesperrt wird, wurde ja inzwischen schon öfter betont.

3. Wir Menschen haben kein gutes Mittel- bis Langzeitgedächtnis. Beim Studium der aktuellen Berichterstattung über Twitter unter Musk gewinnt man den Eindruck, dass unter Jack Dorsey alles tippitoppi war. Hass und Hetze Randphänomene, Bots ein zu vernachlässigendes Problem, der Kampf der Plattform gegen solche Auswüchse im Großen und Ganzen erfolgreich. Kurz und knapp formuliert: Es war alles gut, jetzt ist alles schlecht. Das ist halt Quatsch. Es war nicht allzu gut, vieles war überhaupt nicht gut, und jetzt ist es schlimmer geworden.

Unterm Strich macht das nicht viel Hoffnung, zumal keine Alternative zu Twitter am Horizont erscheinen mag. Wie weit wir von der in den letzten Wochen so oft herbeigewünschten zum Beispiel öffentlich-rechtlichen Gegenlösung entfernt sind, zeigt das Streitgespräch im aktuellen Spiegel zwischen Noch-ARD-Chef Tom Buhrow und seinem Nachfolger, SWR-Intendant Kai Gniffke: Der sagt doch allen Ernstes, der ÖRR dürfe sich nicht abhängig machen von sozialen Netzwerken. Tja. Schade. In Teilen ist dieser Zug längst abgefahren.

Macht aber nix: Es ist schwierig, in diesen Tagen altbacken zu wirken – zumindest neben dem Ministerium für Infrastruktur und – ACHTUNG: Digitales! – von Sachsen-Anhalt: Das hat sich vergangene Woche einen Twitter-Account zugelegt. Keine Ahnung, wie ich jetzt drauf komme, aber ich hätt mal wieder Lust auf „Good Bye Lenin!“

* Eine sehr lesenswerte Ausgabe, wenngleich ich über zwei Punkte gestolpert bin: Erstens ist die Ursache für das AquaDom-Desaster noch nicht geklärt. Und zweitens geht die Arbeit von uns Journalisten über das bloße Schreiben ja sehr hinaus, weswegen ich die Fragestellung zu ChatCPT irreführend und kurz gegriffen finde.