23. April 2022
Es wird Frühling. Bei uns in Berlin zwar ein bisschen zögerlicher als anderswo, aber hier klappt ja selten was auf Anhieb. Trotzdem ist es spürbar, leugnen zwecklos. Nicht nur das Wetter zeugt davon. Auch nicht die Tatsache, dass mir schon wieder ein Besen vor der Haustür weggeklaut worden ist (vorm Haus steht ein Baum, der verteilt sich um diese Zeit ordentlich. Ich fege, lasse den Besen im Reinen mit der Welt draußen stehen, jemand nimmt ihn mit, die Spirale der Niedertracht beginnt von Neuem, der Kapitalismus, vertreten durch die besenfabrizierende Industrie, gewinnt). Auch sozial macht sich der Frühling bemerkbar: Die Leute kriechen aus ihren Löchern. Die ja dank Corona tiefer waren als sonst.
Ich habe das riesige Glück einer sehr intakten Nachbarschaft. Man mag sich, man kennt sich, man sieht sich. Zumindest, wenn es warm wird und ist und noch ein bisschen bleibt. Im Winter sehen wir uns zwar auch, aber nicht ständig alle und nicht unverabredet. Wer Lust auf Kaffee und Gesellschaft hat, geht hier einfach vor die Tür. Irgendwer wird da sein. Jetzt kommen alle wieder raus, Kinder spielen, Wein wird getrunken, Verabredungen mit anderen sind unnötig, man hat ja einander. Bis zum Winter halt.
Auch die Freundinnen feiern ihre Comebacks. So meldete sich gestern A. Unser letztes Treffen ist glaube ich ein Dreivierteljahr her. Allerdings kennen wir uns seit fast 20 Jahren, da macht das nix. Wir sehen uns nächste Woche, wir freuen uns, gut is. (Anlass ihrer Meldung war mein Blog, das fand ich außerordentlich schön. Schmeichelhaft einerseits, weil sie einen Beitrag lobte und selbst eine fantastische Schreiberin ist; wir wurden gemeinsam ausgebildet. Und schön auch deshalb, weil es ja ein netter Nebeneffekt der Schreiberei hier ist, von den Lieben zu hören. Und ein überraschender, da ich eher das Gegenteil befürchtet hatte: Mehr als einmal sagten Leute zu mir, sie hätten immer den Eindruck, auf dem Laufenden zu sein, weil sie mich auf social media lesen. Deshalb würden sie sich auch so selten melden. Bis ihnen einfällt, dass sie ja womöglich gar nicht alles aus meinem Leben via Twitter erfahren.)
Allein heute habe ich Zeit mit zwei Freundinnen verbracht, deren Gesichter ich im Fall einer nötigen Phantomzeichnung gar nicht mehr einwandfrei ohne Überlegen hätte beschreiben können. Es wird Frühling. Wunderbar.
Die logische Forderung wäre ja: Jahreszeiten abschaffen! Im Sommer sind alle geselliger und freundlicher; fragen Sie mich jetzt bitte nicht nach Huhn und Ei. Nun bin ich aber ja ein paar Jahre regelmäßig gereist und war auch mehrmals für einige Wochen in anderen Klimazonen. In dieser Zeit habe ich gelernt: Du kriegst die Diekmann aus den Jahreszeiten, aber du kriegst die Jahreszeiten nicht aus der Diekmann. Sie haben mir gefehlt.
Meine Freundinnen auch. Das nehme ich als Trost: Ohne Vermissen keine Wiedersehensfreude.