25. Mai 2022
Das ist kein Zahn, sondern ein Steinchen. Es wurde mir vorhin überreicht von der 4-Jährigen, die nebenan wohnt und hier ein- und ausgeht. (In diesem Haushalt existiert eine quasi ebenerdige Süßigkeitenschublade, die maßgeblich dazu beitragen dürfte, ich mache mir da nichts vor.)
„Das sollst du immer mitnehmen. Dann passt das auf dich auf“, sagte die kleine M., als sie es mir in die Hand drückte.
Morgen fahre ich ja in den Urlaub, also nehme ich den mit, Schoß es mir sofort durch den Kopf, den früher gab es in meiner Familie ein Ritual: Verreisten wir, fuhren wir am Vorabend immer zu Omma (in Westfalen immer mit mindestens doppeltem M gesprochen, sonst wirkt man arrogant) Therese, der Mutter meiner Mutter. Dort holten wir uns erstens regelmäßig einen verständnislosen und mit viel Engagement vorgetragenen Monolog des Inhalts „Fernreisen sind doch Unsinn und Flugzeuge Todesmaschinen auf Kerosin“ ab, zweitens Urlaubsgeld und drittens eine kleine Plakette. Den Heiligen Christophorus, den Schutzpatron der Reisenden. Meine Mutter steckte ihn in ihre Handtasche, und er begleitete uns auf unserem Trip des Wahnsinns. Kehrten wir entgegen allen Prophezeiungen doch außerhalb eines Sarges zurück, tat er dasselbe in den Besitz meiner Omma. Bis zur nächsten hirnrissigen Unternehmung.
Meine Oma, meine Mutter und auch ich fingen jeden Sonntag in die Kirche. Erst zusammen, dann irgendwann entkoppelt, weil ich als Messdienerin auch mal morgens um 8 an der Messe teilnehmen musste. Da sahen sich die beiden uhrzeittechnisch nicht. Ob ich glaube, stand für mich eigentlich nie zur Debatte, das war immer klar. Auch, als ich vor 15 Jahren oder so aus der Kirche austrat. Der Grund waren die Missbrauchsfälle und der Umgang damit. Ich glaubte weiter, aber ich ging nicht mehr in die Kirche. Nur an Weihnachten. Von „U-Booten“ spricht man dann ja. Hin und wieder tauchen Leute wie ich auf.
Vor sechs Jahren dann war mein Leben einige Monate lang schwer. Es gab große Ungewissheit und große Sorgen. Und plötzlich fand ich mich sonntagmorgens in der Kirche wieder, jede Woche. Und gefiel mir dabei nicht, das war mir zu einseitig. Ich beschloss, wieder einzutreten.
Und was glauben Sie, was da los war? Die Hölle war los! Totale Überforderung in der hier in meinem Kiez für mich zuständigen Gemeinde! Austritte, Ja, damit hat die katholische Kirche Erfahrung. Aber Eintritte? Das war neu. Es dauerte Wochen, bis das Prozedere recherchiert worden war. Monate, in denen sich hier zu Hause die Ereignisse überschlugen. Das Projekt „Zurück in die Kirche“ hat dann doch nicht stattgefunden, weil anderes wichtiger wurde und dringlicher war.
Ich glaube, aber ich geh nicht in die Kirche. Ich reise, und habe dafür jetzt einen Stein. Und ich finde, das passt alles gut zusammen. So wie Urlaub und ich. Passen Sie gut auf sich auf!