21. April 2022
Eine der Regeln in meinem Elternhaus lautete: Neue Sachen werden für gut aufgehoben.
Shopping war ein fester Bestandteil des wöchentlichen Plans. Samstags ging man in die Stadt und kaufte Klamotten. Das war so. Absurd, aber: Es war so. Und das, was gekauft worden war, wurde erst mal weggelegt. Für später. Weil das Jetzt anscheinend nicht gut war, nicht so wichtig. Eine Hoffnung auf tolle Zeiten ließ Sachen im Schrank auf eben diese Zeiten warten, um sie dann dekorierend zu begleiten. Eine Investition in die Zukunft, wenn man so will, nur eben ein bisschen eigenwillig interpretiert.
Nun wartet aber das Schicksal bekanntlich nicht. Ergo fanden wir nach dem Tod meiner Oma in ihrem Kleiderschrank gar nicht mal so wenige ungetragene Kleidungsstücke, an denen noch das Preisschild hing. Der Wochenordnungspunkt „Klamotten kaufen, nicht weil man sie braucht, sondern weil man es braucht“, stammte von ihr. Meine Mutter war so aufgewachsen.
Paradoxerweise hat meine Oma, die Frau mit vielen überflüssigen und nicht ganz billigen Sachen im Schrank, nichts, aber auch gar nichts weggeworfen. In einer Küchenschublade bewahrte sie Gummibänder auf. Geordnet. Nach Gummibändern aus längst kaputten Einmachgläsern zum Beispiel und dünnen Gummibändern, mit denen etwa Suppengrün zusammengehalten wird. Meine Oma, deren Nerz in meinem Keller hängt, aß Milchsuppe, tunkte die härtesten Brötchen tapfer in ihren Carokaffee und nahm die Dritten vorsichtshalber raus, bevor sie reinbiss. Regelmäßig schenkte sie uns Enkeln Schokolade, die schon weiß angelaufen war. Es. Kam. Nichts. Weg. Bei. Oma. Therese.
Anscheinend bekam sie diese beiden Extreme nur für sich miteinander in Einklang, indem sie die guten Sachen wirklich pflegte. Maximal: durch Nichtbenutzung. Meine Mutter hat das übernommen und versucht, meinen Bruder und mich ebenfalls so zu erziehen.
Das hat in meinem Fall zum Teil gut geklappt. Zu gut. Seit einiger Zeit bemühe ich mich, das abzuschütteln. Nun shoppe ich äußerst ungern. Zu viele Samstage, die ich als Kind gelangweilt in Herrenbekleidungsgeschäften herumsaß, zu viele Situationen als Teenie, in denen meine Mutter ohne Vorwarnung im proppevollen Laden den Vorhang zu meiner Umkleidekabine zur Seite riss, haben mich womöglich in eine andere Richtung getrieben. Und ich mag keinen Überfluss. Freunde nennen das meine Angst vor Verarmung. Das wiederum dürfte zu einem großen Teil an den mitleidigen Blicken der mit einer verheißungsvollen Zukunft gesegneten Jura- und BWL-Studenten liegen, die ich im Studium erntete, wenn ich von meinem Berufswunsch Journalistin erzählte.
Nun. Es ist ja einigermaßen gutgegangen bisher. Ich bin Journalistin, ich werde satt, ich kann gut leben. Was ich nicht so gut kann: Sachen jetzt machen. Schöne Sachen für mich. Ungelogen habe ich beispielsweise jahrelang im Winter immer ein bisschen gefroren. Nicht schrecklich doll, aber gefroren. Ich friere schnell. Letzten Winter dann, nach 16 Jahren in Berlin, habe ich mir einen richtig dicken, richtig guten Wintermantel gekauft. Als Belohnung für mein Buch. Nun kann ich mitreden und sagen: Es ist schön, im Winter in der oft rattenkalten Hauptstadt nicht zu frieren.
A propos Winter: Über Weihnachten war ich im Urlaub. Es war aus unterschiedlichen Gründen der erste wirklich teure Urlaub, den ich allein bezahlt habe. Ich sah mich im Vorfeld bereits für diesen Leichtsinn büßen, gleichzeitig half mir die Vorfreude auf zwei Wochen Licht, Wärme und Liegen nach eineinhalb Jahren Pandemie und einem nebenbei geschriebenen Buch super durch den Winter. Als ich dann angekommen war, sah ich mich von außen als sehr zufriedene Frau, wenngleich auch ein bisschen erzürnt sich selbst gegenüber, sich so oft Dinge zu versagen, weil kann man ja auch wann anders machen. Es geht doch noch irgendwie auch so, es ist doch auch so total ok.
Das denke ich auch in anderen Zusammenhängen. Und das ändere ich auch in anderen Zusammenhängen. Vor ein paar Tagen hab ich hier über meine Vorstellung von einem schönen Sommer geschrieben. Heute sagte Freund D.: „Machste dann ja jetzt, ne?“* Ja. Den August nehme ich mir komplett frei, so mein Arbeitgeber nichts dagegen hat. (*Hab ich natürlich erst beschlossen, nachdem D. es mir wie selbstverständlich hingeworfen hatte. Es ist noch ein weiter Weg, aber ich beschreite ihn.)
Denn wer weiß, was wann noch kommt. Keine Sorge, ich bin 44, Arztbesuche gönne ich mir sehr wohl, bin also ordentlich durchgecheckt, alles tippitoppi.
Aber, ich möchte meine Tante zitieren, die Schwester meiner Mutter – und in vielen Dingen das komplette Gegenteil meiner Mutter: „Was bringt es dir, die reichste Frau auf dem Friedhof zu sein?“