2. Mai 2022

2. Mai 2022

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Olaf Scholz ist ja sehr laut geworden, in Düsseldorf am Sonntag, und seitdem finden ihn jetzt Leute super.

Ich will das inhaltlich gar nicht bewerten, was er in Düsseldorf gesagt hat, weil es arg nachgeklappt wäre, wie man im Nachrichtenjournalismus sagt. Hier übersetzt: Sehr spät würde ich in die Debatte einsteigen, und als Nachrichtenjournalistin darf einer so etwas ja nicht passieren. Spät, weil: Scholz ist als Kanzler schätzungsweise einigermaßen eingebunden in Entscheidungen wie die, nun doch (wenn auch alte) Panzer an die Ukraine zu liefern. Also wird ihm der Gedanke schon vor dem 1. Mai gekommen sein, dass schwere Waffen für die Ukraine das Gebot der Stunde sein könnten. Abstimmungen im Bundestag sind aber nicht laut, und Scholz war es am 1. Mai deshalb, weil man ihn sonst aufgrund von ihrerseits lauten Protestlern in Düsseldorf nicht so gehört hätte. Vielleicht auch nicht so gut verstanden,

Es ist demnach eher nicht damit zu rechnen, dass der Kanzler künftig SEINE STANDPUNKTE UND ENTSCHEIDUNGEN NUR NOCH IN GROSSBUCHSTABEN VERKÜNDET, WEIL ER JETZT NÄMLICH ANDERE SAITEN AUFZIEHT.

In den sozialen Netzwerken sind Äußerungen in Versalien seit jeher ein untrügliches Zeichen, es mit jemandem zu tun zu haben, dem die Argumente fehlen und/oder die Manieren, da sind die Grenzen manchmal fließend. Tweets in Großbuchstaben erleichtern den Alltag, denn man sieht auf den ersten Blick: Damit muss man sich nicht lange aufhalten und kann sich Wichtigerem zuwenden.

Nun ist seit einiger Zeit zu beobachten, dass eine zweifelhafte Anpassung auch bei denen stattfindet, die können und wollen. Die Verkürzung der Argumentation, die Reduktion des Argumentationswillens. Beides könnte einer sehr menschlichen Neigung entspringen: der zur Steigerung der Effizienz. Warum, hab ich mich auch schon oft gefragt, soll ich überhaupt in die Tiefe gehen, wenn es hier eh keinen großen Resonanzboden dafür gibt? Das Interesse an Ausgewogenheit ist in den sozialen Netzwerken quasi wegprogrammiert worden. Pick your fights, sagen sich also anscheinend Viele, und beteiligen sich (dabei sein ist alles, vornehm schweigen ist ebenfalls nicht vorgesehen im Social Media-Kosmos) am eher holzschnittartigen Stakkato-Denken und -Formulieren.

Und so ist die Empörung um den offenen Brief an Olaf Scholz an vielen Stellen (hier der Hinweis an das Team „Holzschnitt“: nein, nicht an allen), groß. Die Unterzeichner, so lese ich an vielen Stellen, haben die Bezeichnung „Intellektuelle“ nicht verdient. Man habe sich jahrelang in [hier den Namen eines der 28 Erstunterzeichner einsetzen] getäuscht. Seitdem Initiatorin Alice Schwarzer in einem Interview konsequent „Ukraine“ und „Ungarn“ verwechselt hat, ist eh klar: Der offene Brief ist das Werk Grenzdebiler.

Man kann das so machen. Aber: Man macht dann eben auch dabei mit, Diskurse nachhaltig und prinzipiell zu verflachen. Und dabei, die Fähigkeit und vor allem: die Bereitschaft, Menschen und ihre Argumente erst mal nicht in eine der beiden Schubladen namens „Mein Team“ und „Gegnerisches Team“ zu stecken. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Harte Kritik muss sein, sonst ist der Diskurs nicht erwachsen. Aber das ist „Kritik“ à la: „Ha ha, die sagt immer ‚Ungarn‘“ ja auch nicht.

Vielleicht, nur mal hypothetisch angenommen, ist es ja möglich, das intellektuelle Potenzial, über das man verfügt, für zweierlei zu nutzen: Erstens abzuziehen, dass man sich durchaus in Live-Situationen im Fernsehen verspricht. Wer das ein- oder zweimal ohne Teleprompter und überdies in kontroversen Situationen gemacht hat, weiß das und wird sich hüten, sich bei anderen darüber lustig zu machen oder es auch nur als Beleg für geminderte Denkfähigkeit zu betrachten. Und zweitens für die Anerkennung der ja eigentlich sehr basalen Tatsache, dass eine andere Meinung nicht gleich komplette Bescheuertness bedeuten muss.

Die Initiative Hass melden gibt nun also auf, erst mal, weil sie im Hass untergeht. Hoffentlich tut sie das nicht für immer. Und hoffentlich reißen sich mal alle am Riemen. Wir haben es ja alle in der Hand, dafür zu sorgen, dass es nicht noch schlimmer wird. Richard Gutjahr hat das gerade im Zusammenhang mit dem Shopping King Elon Musk klug aufgeschrieben.

Hier noch einmal für den Freundeskreis „schnell, schmutzig, Aufmerksamkeit heischend und bequem“: Ich verteidige hier nicht den Inhalt des offenen Briefs. Ich gehe nämlich gar nicht auf den Inhalt ein! Das ist hier gar nicht das Thema. Und ich setze den Hass-Mob nicht gleich mit Debatten verkürzenden und es sich in ihrer Bubble bequem gemacht habenden anständigen Leuten. Nur sind die eben auch dafür verantwortlich, dass Respekt herrscht. Und diese Herrschaft unangefochten bleibt.