2. April 2022
Ritter Sport liefert weiter nach Russland. Und begründet das mit ansonsten zu massiven Problemen, die es den eigenen Angaben nach als mittelständisches Unternehmen schwer stemmen könnte. Das Unternehmen veröffentlichte vorgestern eine Erklärung, es wolle jeglichen Gewinn aus dem laufenden Russland-Geschäft an humanitäre Hilfsorganisationen spenden. Dem ukrainischen Botschafter in Deutschland kann das nicht reichen. Es geht um alles oder nichts. Aber es lohnt sich, sich die Debatte näher anzuschauen. Diesen Tweet zum Beispiel:
Die Welt ist kompliziert. Und wir wollen nicht kompliziert. Und schon gar nicht wollen wir ambivalent.
Ich habe mich diese Woche sehr geärgert. Es gibt ein Projekt, an dem ich (in einer sehr, sehr untergeordneten Funktion) mitgewirkt habe. Ich hatte zu Beginn ein wenig Bedenken, mitzumachen, weil ich in die Gefahr kam, eine mir sehr unangenehme Funktion in der Gesamtkomposition einzunehmen. Das wollte ich unbedingt vermeiden und habe mir schriftlich zusichern lassen, dass dieser Fall nicht eintritt. Also machte ich mit. Sehr gerne sogar. Es geht um eine mir wichtige Sache, alle Beteiligten sind sehr nett. Besonders die Hauptverantwortliche. Tja. Und dann sah ich am Donnerstag das Produkt. Und es war genau der Fall eingetreten, den ich unbedingt hatte verhindern wollen.
Ich rief die Verantwortliche an und sagte sehr klar erstens den Grund für meinen Ärger und zweitens meine Forderung: dass eine Änderung vorgenommen werden müsse. Ansonsten würde ich meine Teilnahme zurückziehen.
Die Gegenseite reagierte verständnisvoll, bedauernd und konstruktiv. Noch am selben Abend kamen drei (!) Kompromissvorschläge per Mail. Alle drei waren für mich sehr ok. Das Resultat: Ich schlief zufrieden ein. Ich schlief mit einem schlechten Gewissen ein. Ich wachte zufrieden auf. Ich wachte mit einem schlechten Gewissen auf. Beide Gefühle sind noch da. Das mag ich überhaupt nicht, und es beschäftigt mich, aber: Was wäre die Alternative? Mich dafür entschuldigen, dass ich eine Vereinbarung erfüllt sehen möchte? Die mir dermaßen wichtig war, dass ich sie schriftlich festgehalten wissen wollte und sie zur Bedingung für meine Mitarbeit machte? Dann wäre ich mir selber ja nicht allzu wichtig.
Was machen wir also nun mit Ritter Sport? Nun, da wir wissen, dass wohl alle anderen großen Hersteller von Schokolade Kinder ausbeuten? (Man konnte es natürlich vorher schon wissen, aber die Frage ist ja, was man wissen will. In „Komfortzone“ liegt die Betonung auf “Komfort“.)
Essen wir gar keine Schokolade mehr? Das ist für mich keine Option, wirklich nicht. Kaufen wir gerade jetzt Ritter Sport, weil die keine Kinder für sich arbeiten lassen und obendrein ein mittelständisches Unternehmen sind und außerdem Geld an humanitäre Hilfsorganisationen spenden? Was ist uns wichtiger?