19. März 2022

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Es gibt ja Menschen, die glauben sehr viel. So konnte ich es damals nicht glauben, als sich rausstellte: Einige Leute meinten tatsächlich, ich hätte ernsthaft in einem Tweet behauptet, alle Leute, die eine andere Partei als die Grünen wählen, wären Nazis. Bis heute weiß ich, dass der größte Teil derer, die sich danach affektiert hochschaukelten, Ironie verstehen. Sie zielten mit ihrem vorgegaukelten Zorn und Entsetzen eben auf die, die es auch gibt: diejenigen, die sie eben nicht verstehen. Es gibt sie, keine Wertung. Ein mir sehr nahes Familienmitglied ist umzingelt von Menschen mit trockenem Humor. Seit Jahrzehnten. Aber: nix. Nada. Der Ironie-Detektor ist nicht eingebaut. Immer wieder Missverständnisse. Und dieses Familienmitglied ist schlau.

Es gibt also Menschen, die verstehen manche Dinge nicht. Dann gibt es Menschen, die auf diese Menschen bauen, wenn sie Quatsch in die Welt setzen. Um sie für eine Sache zu gewinnen, die sich häufig gegen eine andere Sache oder gegen Menschen richtet. Diese Strategie (neben anderen) wenden auch Parteien an. Alle. Es variieren Themen und Skrupel. Auch Politiker als Individuen wenden die Strategie an. Und andere. Normale Leute.

Anschaulich und ein bisschen schmerzhaft zu beobachten war das, als die #MeToo-Debatte aufkam. Was wurde da ein Stuss geäußert. Und zwar durchaus von klugen Menschen gegenüber klugen Menschen. „Schönes Kleid – aber das darf man ja heutzutage gar nicht mehr sagen. MeToo.“ – „Deine Haare sind super so. Oh, ist das jetzt MeToo?!“ Genau, Hans-Dieter. Das ist MeToo. Nein, ist es nicht. Und das weißt du auch. Du weißt aber, dass es zu durchschaubar wäre, würdest du einfach geradeheraus sagen, wie doof du diese MeToo-Sache findest. Dass das in deinen Augen alles Anstellerei ist. Aber du hältst dein Gegenüber (in diesem Falle: mich, danke dafür) dann doch für so stark geistig limitiert, dass es die hidden message nicht mitbekommt. Oder für so eitel. Dein Kompliment, so dein Kalkül, macht mich dermaßen glücklich, dass die flugs rosarot getönten Gläser meiner Weltsicht-Brille alle Grautöne rausfiltern.

Und dann gibt es noch die Strategie, so zu tun, als wäre man bewusst missverstanden worden. Nachdem man sich sehr klar in eine Richtung geäußert hat – mit dem Ziel, aus genau dieser Richtung Widerspruch zu ernten. Den kann man dann nämlich als Beleg für die Ausgangsthese anführen und das eigene Weltbild zementieren. Catch 22.

Nennt man beispielsweise eine Frau „hysterisch“, dann ist das misogyn. Lässt sich gar nicht wirklich drüber diskutieren, bisschen langweilig also, denn wer sich zirka zwei Minuten mit dem Thema Misogynie beschäftigt, stößt, hält er sich dabei weder Augen noch Ohren zu, auf „hysterisch“. Ich meine hier kein Synonym, ich meine keine Beschreibung, die am Ende dann auf das hinausläuft, was man landauf, landab jahrzehntelang als „hysterisch“ verstand – ich meine ganz konkret das Wort „hysterisch“. Um es anschaulich zu machen, hier ein Beispiel:

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Bezeichnet man also eine Frau, in diesem Fall eine Politikerin, als hysterisch, kommen die entsprechenden Reaktionen. So, wie wenn man etwas fallen lässt und es dann – genau: fällt. (Die Rede mag zu laut gewesen sein, zu kurzatmig, zu polemisch, zu Ich-bezogen – das ist Kritik. „Hysterisch“ ist eben keine. Und das weiß man ja auch.)

Ist es jemandem persönlich wichtiger, Recht zu behalten und andere als bescheuert – oder als hysterisch – dastehen zu lassen denn selbst als klug dazustehen, dann wertet er diesen Widerspruch als Beleg. Nicht wenige Leute stellen sich gern dumm, um andere noch dümmer dastehen zu lassen. Jede Wette: Manche Leute fallen darauf rein.