Lisa-Maria Kellermayr

Lisa-Maria Kellermayr

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Jemand schrieb mir auf Twitter daraufhin, dass wir uns alle lieber (er meinte das ironisch und nicht anklagend) mit Themen wie zum Beispiel einer tanzenden finnischen Ministerpräsidentin beschäftigen.

Ich sehe da aber keinen Widerspruch, sondern einen roten Faden. Auch wenn der Fall Kellermayr natürlich tragischer ist. So tragisch wie nur möglich. Das Prinzip hinter beiden aber ist dasselbe. Beide Geschichten handeln von Frauen, die sichtbar sind bzw. waren. Die diskreditiert werden sollen. Zum Verstummen gebracht.

Lisa-Maria Kellermayr hatte um Polizeischutz gebeten. Und ihn nicht bekommen. Vielmehr hatte der Leiter der Pressestelle einer Polizeidirektion kein Problem damit, Kellermayr öffentlich zu unterstellen, sie wolle sich profilieren und „über die Medien das eigene Fortkommen“ fördern.

Sanna Marin, Regierungschefin von Finnland, ist qua Amt mächtig, sichtbar und sie ist laut. Und damit genau so wie alle anderen Frauen in den sozialen Netzwerken quasi automatisch ein Hassobjekt.

Frauen werden, so derzeit der Forschungsstand, nicht öfter als Männer Ziel von Hass im Netz – aber ungleich öfter Opfer von sexualisiertem Hass im Netz. Die Hilfs-Organisation für Opfer von digitaler Gewalt, HateAid, (an HateAid wende ich mich seit Jahren, sobald ich im Netz beleidigt werde, das sei der Transparenz halber erwähnt) liefert ergänzende Zahlen: In der Summe, so sagen die Mitarbeitenden dort, würden Frauen nicht mehr bei ihnen einreichen als Männer. Das, was dann aber vor Gericht landet, richtet sich überwiegend gegen Frauen. Sie bekommen also viel härteren, in der Summe mehr potenziell strafbaren Hass ab.

Das Ziel dahinter, und es wird leider vielfach erreicht: Frauen ändern, auch das belegen Zahlen, ihr Social Media-Verhalten öfter als Männer aufgrund des dort herrschenden Tons. Oder mal ganz deutlich ausgedrückt: Wegen des Hasses, der ihnen dort entgegenschlägt – und anderen. Viele, Männer wie Frauen, ziehen sich auch dann zurück, wenn sie Hass „nur“ mitlesen. Ganz konkret verstummen Menschen dort, wenn sie Angst bekommen. Entweder äußern sie sich zu bestimmten, polarisierenden Themen nicht mehr (Flüchtlinge, Corona sind zwei dieser Themen; zu Beginn der Corona-Pandemie fragte HateAid mich sogar extra an, ob ich mehr Hass in meinen Replys verzeichne; allgemein verzeichne man gerade einen solchen Trend), oder sie äußern sich gar nicht mehr. Diese Ausgeburt der zunehmenden Enthemmung hat auch inzwischen einen Namen, so oft wird sie verzeichnet: Silencing Effect.

Was nicht unbedingt hilfreich ist, um dessen Herr zu werden, sind erstens überlastete, zweitens schlecht geschulte und/oder drittens noch immer nicht ausreichend sensibilisierte Polizisten, Staatsanwälte oder Richter. Ja, es gibt inzwischen Schwerpunktstaatsanwaltschaften, und ja, es gibt sogar erste Bundesländer, die Online-Gewalt gegen Frauen gesondert in ihren Statistiken erfassen, um die Dimension des Problems präzisier identifizieren und hoffentlich gezielter bekämpfen zu können. Es reicht aber bei Weitem noch nicht.

Ich möchte hier gern auf zwei Beispiele verweisen: Das erste Urteil in Sachen Renate Künast gegen Facebook. Die Grünen-Politikerin hatte derbe Beleidigungen über sich auf der Plattform lesen müssen. In einer ersten Entscheidung fanden drei Richter, damit müsse Künast als öffentliche Person leben. Drei der Richter (die in ihrer schriftlichen Begründung Facebook mit Twitter verwechselten), waren Frauen. Die Entscheidung fiel 2019. Glücklicherweise teilten nachfolgende Instanzen eher das Entsetzen der Öffentlichkeit als die Meinung ihrer Berufskollegen.

Das zweite Beispiel bin ich selbst. Ich wurde Hure genannt, eine Richterin stellte in Zweifel, dass es sich nach meinem (?) Dafürhalten um eine Beleidigung handeln würde, ich musste quer durch – ach, lesen Sie selbst. Was soll ich mich noch mal aufregen?

Andererseits: Wir müssen uns weiter aufregen. Über unfähige und unwillige Behörden. Über schleppende Gesetzgebng, über mangelnde internationale Initiative, die es braucht, um den Hass und, nicht zuletzt, die Plattformen in ihrer für sie finanziell lukrativen Untätigkeit, einzuhegen. Wir können uns noch aufregen. Lisa-Maria Kellermayr kann das nicht mehr. Sie ist für immer verstummt.