Isch eskaliere
Während der Zeit, in der ich oft und regelmäßig in Israel arbeitete, diskutierte das Land über einen Gesetzentwurf: Nazi-Vergleich im israelischen Parlament, der Knesset, sollten endlich verboten werden. Nazi-Vergleiche – ausgerechnet in Israel? Ja, es stimmt wirklich. In Israel gehörten sie im Parteienstreit, ich zitiere: zum „Standardvokabular.
Generell ist die Auswahl an Eskalationsstufen in Debatten mit und innerhalb von Israelis einigermaßen begrenzt. Im Autoverkehr ist das dermaßen hörbar, dass der damalige Mann an meiner Seite sich weigerte, noch als Beifahrer mit mir in mein Auto zu steigen: Ich hatte mich nach seinem Geschmack zu stark vom Prinzip: „Hupen und Schimpfen, Rest regelt sich von selbst“ überzeugen lassen, das auf den Straßen Israels gilt.
Mittlerweile, so mein Eindruck, geht der Trend global gesehen weg von vielen Nuancen auf der Eskalationsleiter. So global sogar, dass das Wetter diese zweifelhafte Mode mitmacht. 15:30:30 Uhr: „Diese Hitze!“ – 15:30:33 Uhr: „Wo ist meine Winterjacke?!“ So fühlte sich dieses Jahr das an, was wir einst den Übergang nannten. In dem wir einander obendrein fragen: „Heizt ihr schon?“
Um das Bild zu vervollständigen: Wer Eskalation sagt, muss natürlich auch „Social Media“ sagen. Vorgestern twitterte ich eine wieder mal ganz kolossal großartige „Torte der Wahrheit“.
Isse nicht wieder grandios? Kann man finden, muss man natürlich nicht, klar. Aber: So sind die Zeiten ja nicht. „Widerwärtig“ lautete das verbale Geschoss, das jemand als Reaktion abfeuerte. Seiner Ansicht nach fehlten wichtige Themen in der Auflistung. Krieg, Artensterben und Klimakatastrophe scheinen nach seinem Empfinden nicht die aktuell höchststehenden Probleme zu sein. Das ist ja völlig legitim, es könnte ja durchaus bereichernd sein, seine Begründung zu hören, an seiner Abwägung teilhaben zu können. So funktionieren Debatten. Aber, man kann es nicht ändern, er konkret wollte es nicht ändern: Auch auf Nachfrage blieb es bei seinem Urteil: „Widerwärtig.“ Reiht sich ein in das mal eben kurz gefällte Urteil einer Autorin, die das Buch eines Journalisten zur ja ohnehin unfassbar aufgeladenen Debatte um die „Cancel Culture“ schlankerhand als „Schande“ verdammte.
Wer kann, der muss, scheint die Devise der Stunde zu sein. Warum kleckern, wenn man klotzen kann? Ich mache mir das jetzt womöglich mal zu eigen. Der Postbote etwa kommt, die Nachbarschaft ist sich in ihrer Beobachtung einig, derzeit nicht täglich. Man könnte sich mal bei der Bundesnetzagentur erkundigen, durchaus beschweren. Aber will ich altmodisch wirken? Nein, ich will nicht altmodisch wirken. Bei seinem nächsten Besuch mache ich sein E-Bike zu Kleinholz.
A propos Nachbarn: Die Alarmanlage des Autos eines Nachbarn geht ständig los, aus dem Nichts, ohne Grund. Also, jedenfalls ohne den Grund, für den sie gedacht ist: versuchter Diebstahl. Der Grund ist vielmehr ein technischer Defekt. Beim nächsten Mal leg ich ihm eine tote Ratte vor die Tür. Was ich mit dem Nachbarn mache, der eine andere Partei wählt als ich, überlege ich mir dann noch. Zweimal tote Ratte ist ja langweilig.