28. März 2022
„Du, das Eine kann ich dir sagen: Ich fand die Ohrfeige von Will Smith SUPER! Ich fand sie richtig gut, obwohl es körperliche Gewalt war – oder vielleicht sogar deshalb. Weil nämlich, ich als Kind hatte auch Haarausfall, und ich hab mir so viele Scheißwitze reinpfeifen müssen, und so oft blöd dagesessen und mir die anderen anhören müssen, also, das hat mir heute total gutgetan! Ich mein, dann hat man‘s einmal gemacht, und jeder andere wird sich jetzt überlegen, ob er jemals wieder so etwas in einer Oscar-Verleihung bringt.“
Was Sie da lesen und was ich in der oben stehenden WhatsApp-Sprachnachricht höre, ist meine Lieblingscutterin. Nennen wir sie Annette. Annette ist großartig. Sehr ehrlich, sehr empathisch, sehr schlau, sehr witzig. Und sehr feministisch. Und heute nicht meiner Meinung. Das kommt hin und wieder vor, wir sind ja normale Menschen, aber die groben Linien verlaufen bei uns beiden ziemlich oft identisch. Wir jaulen im Schnittraum regelmäßig gleichzeitig auf, wenn jemand irgendeinen menschenverachtenden, antiquierten oder sonstigen unsinnigen Quatsch in die Kamera sagt. Und freuen uns in den Momenten, wenn das Gegenteil der Fall ist. Das passiert ja auch.
So. Nun zum Klatsch aus Hollywood. Har har. Der heute in allen Schlagzeilen (ich lasse die Wortspiele jetzt, keine Sorge) war. Ich bin fundamental anderer Meinung als Annette, und habe mich deshalb nicht nur über sie gewundert. Anscheinend ist körperliche Gewalt in besonderen Fällen tatsächlich doch akzeptierter, als ich gedacht hatte.
Natürlich finde ich aber, dass der Witz von Chris Rock über Smiths Frau Jada Pinkett-Smith völlig daneben war. Man macht keine Witze über Äußerlichkeiten. Nicht, wenn sie einfach so da sind, und auch nicht, wenn sie Folge einer Krankheit sind. Das gehört sich nicht. Hart, dass man das noch betonen muss. Aber paradoxerweise muss man das wohl in einer Welt, in der die Maßstäbe so seltsam verrutscht sind. In der ein erstaunlich großer Teil der Menschen, die sich heute öffentlich äußerten, die Ohrfeige ok fanden, die Smith Rock für dessen schlechtes Benehmen verpasste.
Nur: Das gehört sich doch eben auch nicht. Etwas grundsätzlich Falsches wird besser dadurch, dass vorher etwas anderes Falsches passiert ist? Schwierige argumentative Spirale. Denn, das haben Spiralen ja so an sich: Das endet dann ja nicht. Und: Denken wir das Ganze doch mal weiter. Wo ist die Grenze? Wer darf wann, wer nicht, und wenn ja, wie viele Ohrfeigen? Ich zum Beispiel habe, was Beleidigungen angeht, ein dickes Fell. Auch bei Äußerlichkeiten. Das ist ja beliebt in den sozialen Medien, gerade bei Frauen. Manchen sehe ich zu alt aus, andere meinen, mein Gewicht beurteilen zu müssen, wieder andere finden mich einfach aus mir heraus sehr unansehnlich. Das ist mir wirklich unfassbar egal. Twitter hat mich nicht zermürbt, sondern gegerbt.
Annette und ich werden das argumentativ klären. Ich bin mir sicher. Und jetzt muss ich Geschenke einpacken. Mein Lieblingsnachbar wird morgen drei. Der haut übrigens auch manchmal. Der hat aber auch noch ein kleines Kindergehirn.