26. April 2022
Das ist Kalle. Kalle gehört jetzt zur Hälfte mir. Ich besitze neuerdings einen halben Hund. Und das kam so.
Vor ziemlich genau zwei Jahren, als die Angst vor Corona groß war und es schon warm genug, um den Tag draußen zu verleben, stand ich an einem Samstagmittag vorm Haus und wartete auf Gesellschaft. Und während ich da so in die Sonne blinzelnd herumstand, hörte ich einen Nachbarjungen seine kleine Freundin von zwei Häusern weiter fragen: „Holt ihr jetzt den Dackel?“ Als sie nickte, stand ich weiter herum, aber innerlich hüpfte ich.
Ich bin mit Dackeln aufgewachsen. Meine Oma hatte Dackel. Die hießen immer Nicki. Finde ich persönlich retrospektiv schwierig als Enkelin namens Nicole, aber damit vertrete ich wie so oft innerhalb der Familie eine Einzelmeinung. Als ich neun war und keine Nacht durchzuschlafen gedachte, winkten meine Eltern mit einem Dackel (sinngemäß): Würde ich fünf Nächte hintereinander durchschlafen, würden wir auch einen bekommen. Das funktionierte natürlich, man ist ja nicht doof, und so zog Elfie bei uns ein. Als Elfie nach einem langen Hundeleben starb, war ich längst ausgezogen. Auf Elfie folgte Jule, und inzwischen hat Coco ihren Platz eingenommen. Coco sieht haargenau aus wie Kalle, und als sie zu meinen Eltern kam, reichte sie mir vom Handgelenk bis zur Speiche. Besuche ich meine Heimat, liegt Coco etwa 90% der Zeit auf meinen Beinen oder in meinem Arm.
Nur fahre ich nicht so oft nach Gütersloh, dafür aber oft ins Büro. Und dort bleibe ich ziemlich lange, überdies weiß ich meistens morgen nicht, wie lange es sich wohl ziehen wird. Nachrichten sind unberechenbare Viecher. So sehr ich auch gerne eine Coco hätte: Es wäre egoistisch, einen Hund anzuschaffen. Nicht, dass ich diesen Gedanken nicht schon hundertmal durchgespielt hätte.
Dann kam Kalle, und das löste alle meine Probleme. Kalle ist ein sehr lustiger, sich kolossal selbst überschätzender und maßlos lieber Kerl. Autos weicht er grundsätzlich nicht aus, er war ja zuerst da, größere Hunde (und so gut wie alle Hunde sind größer als Kalle) werden ganz selbstverständlich angekläfft und in die Ohren gebissen. Kalle ist der erste Hund, den ich kenne, der ausschließlich das Gelbe vom Ei isst. Das Weiße knabbert er ab und verteilt es in der Wohnung. Und Kalle ist ein kleiner großer Freund des Körperkontakts. Selbst wenn ich in der Küche Gemüse schneide, liegt er auf meinen Füßen. Ich mache keinen Schritt, ohne dass er mir folgt. Keine Redewendung ergibt für mich mehr Sinn als „hinterherdackeln“.
Wenn Kalles Familie in Urlaub fährt, wohnt er hier. Bin ich tagsüber lange weg, passt eine Nachbarin auf ihn auf. So war das auch jetzt über die Osterferien. Das waren sehr schöne zwei Wochen. Es war der vierte Urlaub, den er hier verbracht hat, und wir sind mittlerweile sehr routiniert. Wir haben unsere Liebe in den Alltag hinübergerettet. Umso erschrockener war ich, als ich Freitagabend eine Nachricht von Kalles Besitzern bekam: In gut drei Stunden seien sie zurück. „HEUTE?!!“ lautete meine Antwort, und nun gibt es einen Deal: Kalle kann hier schlafen, wann immer der Wunsch besteht. Auch außerhalb der Ferien.
Ich liebe Kalten Hund, ich liebe Hot Dogs – und ganz besonders liebe ich meinen halben Hund. Morgen kaufe ich ein Körbchen. Er wird es nie benutzen, aber wenn er nicht da ist, kann ich mir mit Blick drauf einbilden, er wäre es doch.