24. April 2022
Barbra Streisand wird 80, gestern Abend schwelgten eine langjährige Freundin und ich in Erinnerungen, und gestern Nachmittag sah ich einen Mann, der so aussah, wie ein anderer Mann jetzt aussehen könnte. Würde er noch leben.
Erinnerungen. Man spricht ja viel drüber im Zusammenhang mit Tod. Der Mensch, der gegangen ist, lebt in unseren Erinnerungen weiter, sagen wir, und das ist ja auch so. Optisch bleibt er auch in Erinnerung. Konserviert. Das wurde mir gestern klar, als ich eben den Mann sah, der einem anderen so ähnlich sah. Hätte der noch die Chance gehabt, weiter zu leben, zu altern. In dem Moment, in dem Schluss ist mit Leben, ist natürlich auch Schluss mit neue Erinnerungen hinterlassen. Und bewusst bin ich noch nie auf die Idee gekommen, mir vorzustellen, wie Menschen jetzt wohl aussähen, wären sie noch da.
Das ist eine Facette von Erinnerungen. Eine andere: Tote bleiben in unserer Erinnerung, aber ihre eigene und auch Teile unserer gemeinsamen nehmen sie mit ins Grab. Gestern Abend saß ich wie gesagt mit Freundin L. zusammen. (In einem Promi-Hot-Spot nebst deprimierenden Ereignissen, aber das Thema Wohlstandsverwahrlosung würde den Rahmen hier sprengen.) Wir kennen uns seit dem allerersten Tag des Studiums, haben sehr viel Zeit zusammen verbracht, auch mal zusammen gewohnt, dann zog ich in eine andere Stadt, und wir lebten nie wieder in derselben. Trotzdem haben wir es geschafft, uns nicht aus den Augen zu verlieren. Aber natürlich verliert man Anekdoten. Kein Mensch kann sich alles merken. Neben allem Aktuellen sprachen wir auch über früher, unser schönes, sehr lustiges Früher (keine Sorge, mit unserem Jetzt sind wir auch sehr zufrieden, wenngleich es wahnsinnig unterschiedlich ist).
Und wir ergänzten einander. Ich hörte Geschichten, die ich längst vergessen hatte, und ich erzählte Geschichten, die L. erst allmählich wieder zu rekonstruieren in der Lage war.
Meine Mutter ist vor drei Jahren gestorben. Die Frau war klein und zierlich, und trotzdem war sie ein Elefant. Ihr Gedächtnis war phänomenal. Sie konnte sich alles merken. Dialoge zwischen ihren Eltern (mein Opa starb in den frühen Siebzigern) konnte sie mühelos wiederholen, die Namen ihrer Grundschulfreundinnen saßen bis zum Schluss, Geschichten aus meines Bruders und meiner Kindheit waren stets akkurat abrufbar. Das alles ist jetzt weg. Skurril: In meinem Leben ist sie immer noch präsent, aber durch ihren Tod fehlen jetzt Teile meines Lebens.
Meine Mutter wurde nur 69. Barbra Streisand wird wie gesagt 80. Gucken Sie „So wie wir waren“. Ich mag den Film sehr. Und wollte ihn meiner Mutter noch zeigen.