21. Mai 2022
Sie sehen hier den Münchener Gasteig. Da tobt momentan eine Konferenz, und ich saß heute auf einem Panel zum Thema „Online-Hass gegen Frauen“. Dieses Panel startete just in dem Augenblick, in dem ich das Foto schoss. (Es startete mit einer Keynote, die nicht ich hielt, deshalb saß ich noch im Publikum.)
Wie Sie sehen, sitzen da viele Leute. Keine Selbstverständlichkeit. Denn was ich bisher meistens gesehen habe: Hass ist kein Blockbuster. Ich beschäftige mich ja viel mit Hass (Lieblingswitz meines Bruders: „Hass ist ihr Hobby“), und normalerweise stehen Leute auf und gehen oder aber kommen erst gar nicht, wenn drüber geredet wird. Niemand mag Hass. Interessant, dass er mancherorts trotzdem so floriert.
Nicht aber heute. Mein Tag war von vorne bis hinten unglaublich nett. Nett im Sinne von: nett. Es fing an mit der Fahrt zum Flughafen – durchweg freundlich. Am Flughafen hatte ich dann versehentlich eine 150 ml-Tube Handcreme im Handgepäck. Das ist ja gegen jede Regel. Der Mitarbeiter an der Sicherheitskontrolle wies mich zwar drauf hin – und drückte dann aber ein Auge zu. „Haick ja ja nich jesehn!“ Und das in Berlin!
Dann fiel mir wenig später nach einem Toilettenbesuch auf, dass mein Ring fehlte. DER Ring. Ich hab ihn vor vielen Jahren, etwa vor 30, von meiner Oma geschenkt bekommen. Er gehörte vorher ihr. Weil ich ihn so sehr liebte, überließ sie ihn mir. Er ist so schön, dass manche Menschen in meinem Umfeld bereits mir nach meinem Leben trachten: Eine Freundin fragte mich kürzlich, ob sie ihn haben könne, wenn ich mal tot sei. Seitdem bin ich wachsam.
Nun ist dieser Ring so beschaffen, dass Seife sich in ihm festsetzt. Also nehme ich ihn zum Händewaschen ab. So auch heute am Flughafen. Ich sprintete sofort zurück in den Waschraum, durchsuchte alles – nichts. Und: Fing an zu weinen. Vorm Waschraum. So. Und dann stand eine Frau vor mir und fragte, ob ich etwas suchte. Ich antwortete – und hatte ihn zurück. Sie hatte hinter mir gestanden am Waschbecken, mich noch rausgehen sehen, dann zu spät meinen Ring, mich dann erst nicht mehr gefunden – und nun zum Glück doch noch. (Sie war zurückgekommen, um nach einer Nummer zu einem Verantwortlichen suchen, wo sie ihn abgeben konnte.)
Und so ging es weiter. Erst traf ich eine liebe ehemalige Cutterin, die seit zwei Jahren in Rente ist, am Gate. Und dann, im Flugzeug, surprise, surprise: alle nett. Angekommen in München, Fahrt zur Konferenz: nett. Auf der Konferenz, Sie können es sich wohl denken, selbst wenn Mustererkennung nicht Ihre Stärke sein sollte. Genau: Alle nett!
Wieder zurück am Flughafen hatte ich noch Zeit. Trank Kaffee. Links von mir am Tisch: eine Frau mit kurzen blonden Haaren. Wir machten uns gegenseitig Komplimente für unseren hervorragenden Geschmack. Rechts von mir: vier Frauen. Sie aßen und tranken dazu Aperol Spritz. Als eine seufzte: „Ich lalle schon, es ist halb fünf!“, musste ich lachen. Sie lachte zurück und bot an, mir auch einen auszugeben. Eine andere bewunderte meine Brille und ließ sich von mir die hervorragende Site buchstabieren, die meine und andere schöne Brillen verkauft.
Ins Flugzeug zurück nach Berlin stieg ich als eine der Letzten ein. Hatte den Fensterplatz. Der in der Mitte und der am Gang waren schon belegt. Zwei große und massive Männer hätten beide aufstehen müssen, hätte ich drauf bestanden. Mir war es aber egal, ich sagte also: „Rücken Sie doch einfach auf, das passt schon“, und das fanden die beiden so schön im Sinne von nett, dass sie mir ihre Schokoladentafeln schenkten, die die Flugbegleiterinnen verteilten.
Was soll ich Ihnen sagen? Dieser Tag stand im Zeichen des Hasses und war von vorne bis hinten nett. Nett im Sinne von selten in einer solchen Ballung erlebt. Wenn ich jetzt für die restlichen Stunden Social Media meide, kann nichts mehr schiefgehen!