2. März 2022
„Die beiden wichtigsten Dinge, die eine ukrainische Frau wissen muss, sind: Wie man Borschtsch kocht und Molotow-Cocktails herstellt.“ Sagt Kateryna Yurko. Bis vor wenigen Tagen besaß sie ein Geschäft für Autoteile in Kiew. Dann brach der Krieg aus. Kateryna Yokus Laden wurde bei den Angriffen zerstört. Jetzt kocht sie Borschtsch für die Soldaten. Und – genau: versorgt sie außerdem mit selbstgebauten Molotow-Cocktails. Eine Mutter von drei Kindern verwandelt sich in eine Waffenproduzentin: Tausende der Benzinbomben, sagt sie, haben sie und ihre Freunde in den letzten Tagen gebastelt.
Auch eine ukrainische Brauerei namens „Prawda“ in Lwiw ist nicht mehr das, was sie einmal war. Vor einer Woche füllten sie dort noch Bier in die Flaschen. Jetzt auch hier: Molotow-Cocktails. Böller statt Bier. (Um Micky Beisenherz zu zitieren: „Der Teufel braut Prawda.“) „Weil wir es können“, sagen die Ex-Brauer und Nun-Bauer auf der Frage nach dem Warum. Auf den zum gefährlichen Geschoss mutierten Flaschen klebt eine Karikatur von Putin.
Verwandlungen inmitten des Krieges, vor Ort. Das Geschehen vor Augen, in den Ohren, im Nacken.
Wir hier, besorgt zwar, aber umhüllt von Frieden, reden gerade ebenfalls viel vom Wandel. Haben wir schon in den vergangenen beiden Jahren getan. Nebenwirkungen der Pandemie waren nicht nur unser bizarr selbstverständlicher Gebrauch von Wörtern wie „Inzidenz“, „Hospitalisierungsindex“ und „Spike-Protein“, sondern auch das sich stetige Aufdrängen neuer Fragen. Unter anderem dieser: Was wird bleiben?
Je nach Temperament, Tageslaune und/oder Wellenhöhe antworteten wir mal mehr, mal weniger optimistisch: die Narben auf Seelen, verursacht durch Isolation. Die neue Genügsamkeit (Hobbys, Familie, Netflix). Die Brüche in Freundschaften durch zutage getretene Unterschiede in der Definition von Verantwortung und/oder Solidarität. Das Wissen um die eigene Krisenresilienz. Der Backlash für uns Frauen.
Ohrenbetäubend hineingekracht in diese doch auch so schon anstrengende und noch gar nicht wirklich begonnene Findungsphase sind vor gut einer Woche noch ganz andere dringende Gewissheiten mit sich anschließenden Fragen. Wieder Fragen, wieder so viele Fragen, und wieder so elementare. Für sich allein genommen schon so gigantische Themen wie „neue Rolle in der Welt“, „neue Bundeswehr“, „neues Selbstverständnis“ und andere, darunter liegende, die erst nach und nach zutage treten werden – die sind plötzlich da und gehen wohl auch nicht mehr weg.
Werden wir ein neues Land? Sind wir durch die #aktuellesituation und #PutinRusslandUSAChina längst zu einem geworden und haben es jetzt erst bemerkt? Ist unser Laden, überspitzt gefragt, schon lange kaputt, und wir müssen jetzt zügig umdenken, wollen wir nicht unter die Räder kommen? Wie schmal ist der Mentalitäts-Grat zwischen Borschtsch-Kochen und Bombenbauen?