18. April 2022
Wenn mich Leute fragen, wie sie einen Shitstorm verhindern können, antworte ich: „Gar nicht.“ (Oder aber, indem man sich einfach nicht in den sozialen Netzwerken anmeldet, aber das ist ja keine Option. Denn so wie für Wahlen gilt, dass die Rechten mit jeder nicht abgegebenen Stimme erstarken, so gilt für social media: Mit jeder vernünftigen Stimme, die nie erklingt oder aber verstummt, wird der Mob lauter und einflussreicher.)
Man kann ein Gänseblümchen posten, man kann damit im Zeit-Raum-Kontinuum großes Pech haben – man kann selbst damit einen Shitstorm ernten. Die Wahrscheinlichkeit ist dann jedoch geringer als wenn man entgleist. So zurechnungsfähig ist die Masse dann ja doch noch. Wenn man einen “Witz“ über Vergewaltigungen reißt, zum Beispiel.
Wenn man entweder keinen Anstand besitzt oder aber dem eigenen Empfinden nach zu wenig Aufmerksamkeit genießt, dann reißt man zum Beispiel einen Vergewaltigungswitz. (So wie Joyce Ilg, die ich bis gestern nicht kannte. Nun heiße ich zwar weder Brockhaus noch Wikipedia mit zweitem Namen, aber einigermaßen informiert bin ich schon.) Dann geht das mit der Aufmerksamkeit sehr schnell, denn dann erntet man natürlich einen Shitstorm. So schreiben es heute jedenfalls in paar Websites.
Nur, Moment, ist das denn überhaupt ein Shitstorm? Wird da Shit mit Shit beantwortet? Entgleist die Masse, die sich zur Entgleisung äußern? Mein Eindruck: nein. Die Kritik ist hart, aber im Großen und Ganzen zivilisiert. Shitstorm entwertet die berechtigte Kritik.
Wäre ich Sprecherin oder Beraterin prominenter oder pseudoprominenter Leute – ich würde ihnen immer raten, schnell das Narrativ vom Shitstorm zu verbreiten. Nichts entwertet berechtigte Kritik besser. Und noch immer sind Redaktionen und andere kaum in der Lage, den Unterschied zu erkennen.
Karin Prien, CDU-Politikerin und Kultusministerin in Schleswig-Holstein, hat das vor gar nicht langer Zeit ziemlich erfolgreich so gemacht. Ihre Parteifreundin Julia Klöckner, damals noch Bundesverbraucherschutzministerin, hat 2019 einen ähnlichen Kniff angewendet: Als sie massiv in den sozialen Medien kritisiert wurde, weil sie genau dort ein gemeinsames Video mit dem Chef von Nestlé Deutschland gepostet hatte, sprach sie kurzerhand von “Hatern“. Nicht Menschen mit einem legitimen und diskutablen Anliegen, nämlich eine zu große Nähe einer Ministerin zur Industrie, kritisierten sie, sondern der voreingenommene Mob. Diesen Eindruck wollte Klöckner bei den Leuten (und Leute sind ja aus Sicht der Politik immer gleich potenzielle Wähler) zumindest hinterlassen. Und damit kam sie bei manchen auch durch; ein gar nicht mal so kleines Nachrichtenportal begann die Zusammenfassung der Ereignisse mit dem Zitat eines Tweet, in dem Klöckner als “Hure“ bezeichnet wurde. Dass der Account etwa fünf Follower besaß und für seinen Dreck ungefähr 3 Likes bekommen hatte – das waren wohl keine Kriterien. Um in diesem Fall die Nicht-Repräsentativität zu erkennen, hätte es keine Datenanalyse gebraucht.
Andere Fälle liegen da schon weniger klar; da schadet es nicht, genauer hinzuschauen. Denn nicht alles, was wie ein Shitstorm riecht, ist auch ein Shitstorm. Nicht sehr appetitlich, ich weiß. Aber das ist der Beitrag von dieser Frau auf Instagram ja auch nicht. Er ist Shit.