Vor dem AfD-Parteitag

Vor dem AfD-Parteitag

Morgen ganz früh fahre ich los. Nach Riesa in Sachsen. Da trifft sich die AfD, mit der ich beruflich viel zu tun habe, zum Bundesparteitag. Es ist der erste Parteitag, seitdem die gesamte AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall vom Bundesverfassungsschutz beobachtet wird. Und es ist der erste Parteitag, seitdem Jörg Meuthen als Chef hingeschmissen hat. Jetzt soll ein neuer, vielleicht sollen auch zwei neue gewählt werden, vielleicht sogar drei. Vielleicht bleibt Tino Chrupalla an der Spitze mit jemand anderem, sehr vielleicht tritt Björn Höcke an. Viel Kluges und Informatives ist im Vorfeld schon geschrieben worden, zum Beispiel hier. Empfehlen kann ich auch diesen interessanten Hintergrund zum Hören. Es gibt auch etwas Hintergründiges zum Gucken (Spoiler: von mir). Meine Kollegen und ich werden in den kommenden drei Tagen von vor Ort berichten.

Hier soll es jetzt aber um Parteitage als solche gehen.

Parteitage haben einen riesigen Vorteil: Man ist „draußen“. Raus aus der Redaktion, nah ran am Berichtsgegenstand. Den ganzen Tag lang hat man sehr viele von denen, über die man regelmäßig berichtet und die man für Interviews und O-Töne normalerweise anrufen muss und die dann oft gerade nicht verfügbar sind, direkt vor der Nase. Geballt. Verfügbar. Entweder für Gespräche vor Kameras und/oder Mikros, oder aber auch mal für fünf Minuten am Rande. Man sieht endlich mal bedeutende Teile der Partei als Gesamtkonstrukt. Als soziales Gebilde. Wer sitzt zwischendurch überraschenderweise mit wem zusammen, wer streicht durch die Reihen, wer könnte versuchen, zu kungeln? Das ist dann schon eher Denver Clan, Politikversion, als Telekolleg.

Dasselbe gilt für andere Journalisten aus anderen Häusern. Berichtet man seit Jahren über eine Partei, dann kennt man sich Mit den allermeisten arbeitet man freundlich zusammen, tauscht Infos aus. Klar, man steht auch in gewisser Konkurrenz zueinander, aber Hauen und Stechen gibt es nicht. Manchmal murrt jemand, wenn sich wer aus Versehen ins Bild schiebt. Schlimmer wirds nicht. Warum auch?

Parteitage haben eine Tagesordnung, die wiederum je nach Parteitagscharakter aus vielen Anträgen bestehen können oder aus vielen Kandidatenvorstellungen oder aus allem. Beides kann sehr, sehr zäh sein. Thrill geht anders; knisternde intellektuelle Erotik sucht man ebenfalls vergebens. Es ist eher Telekolleg Politik als Politkrimi. Sehr viel Zeit auf Parteitagen sitzt man mit dem Antragsbuch an einem Tisch, hört zu, notiert sich die Uhrzeit von Aussagen vorne auf der Bühne, von denen man meint, sie später für die Berichterstattung gebrauchen zu können.

Die Kunst ist, die ganze Zeit über konzentriert zu bleiben. Den Überblick über das oft sehr bürokratische Prozedere zu behalten. Änderungsanträge zu verfolgen, deren Ausgang, der manchmal erst nach Auszählung bekannt gegeben wird, wenn schon längst ein anderes Thema dran ist. Die Atmosphäre gleicht über Strecken der Jahreshauptversammlung eines Kaninchenzüchtervereins. Dann aber kann sich plötzlich alles schlagartig ändern. Dann geht man sich scheinbar plötzlich gegenseitig an und man befindet sich wie aus dem Nichts auf der Jahreshauptversammlung eines Vereins nicht mehr ganz dichter Kaninchenzüchter.

Vorher zu ahnen: Wo könnten Fallstricke sein, wer steckt weshalb hinter welchem Antrag, welche übergeordnete Agenda wird da verfolgt, wer schmiedet Allianzen – das klappt einigermaßen, wenn man schon länger dabei ist.

Aber auch nicht imme. Was Parteitage nämlich stets haben, ist das, was man Dynamik nennt. Stimmungen können entstehen, die den zwei- bis dreitägigen Veranstaltungen plötzlich einen vorher ungeahnten Spin geben. Wie sich das als Parteichef gehört, hielt Meuthen zum Beispiel in Kalkar eine Rede. Die es in sich hatte. Meuthen griff Teile seiner eigenen Partei aufs Schärfste an. Die Delegierten reagierten – quasi erst mal gar nicht. Ich kann es mir nur mit Schockstarre erklären. Dann aber, am darauffolgenden Tag, nachdem man sich hinter den kulissen ausgetauscht und formiert hatte, implodierte der Parteitag fast. Da gab es sehr viel Wut. Laute Reden an Saalmikrofonen, sowohl von Meuthengegnern als auch -befürwortern, ein vorzeitg abgereister Alexander Gauland, ein sich von Rede zu Rede weiter vertiefender Riss quer durch die Partei. Kalkar war der Anfang vom Ende Meuthen. Hatte zu Beginn des Parteitages niemand mit gerechnet. Und Meuthen hätte diese Rede nie gehalten, hätte er sich dort zur Wiederwahl stellen müssen. Kalkar war aber kein Wahlparteitag.

Auch besonders auf Parteitagen: die Infrastruktur. Im Sender haben wir feste Schnittplätze, kennen die Cutterinnen und Cutter, mit denen wir täglich zusammenarbeiten. Die Abläufe sind eingespielt und komfortabel. Komme ich mit einer Chipkarte voller Drehmaterial in den Sender zurück, übergebe ich es an die Produktion. Dort wird das Material eingelesen auf einen zentralen Sever. Von jedem Rechner aus und von jedem Schnittplatz hat man Zugriff darauf.

Auf Parteitagen schneiden wir auf so genannten SNGs, also Ü-Wagen. Das Einlesen von Material geschieht auf Zuruf. Was da ist oder was nicht, muss man erfragen. Niemand hat den Gesamtüberblick. Das macht das Produzieren von tagesktuellen Beiträgen anspruchsvoll. Zudem schneiden wir unter hohem Zeitdruck mit Leuten, die wir vorher nicht kennen. Etwas beengt, etwas provisorisch. All das mag ich auch sehr. Man muss einander vertrauen. Es ist unmittelbarer und in seiner komprimierten und trotzdem so wahnsinnig gut funtkionierenden Technik für mich immer noch enorm beeindruckend.

Die Hölle auf Parteitagen ist das Essen. Man ist ständig auf der Suche nach einem guten Bild, macht gerade einen O-Ton, die Zentrale ruft an, oder es ist irgendwas anderes. Dynamik zum Beispiel. Da hat man keinen Nerv fürs in Ruhe hinsetzen und Essen. Und das, was es gibt, entspricht diesem Spirit exakt. Ergo isst man irgendwann zwischendurch irgendwas, wenn es sich gerade ergibt oder was rumsteht, zum Beispiel auf dem Schreibtisch oder am Schnittplatz. Ich nehme auf Parteitagen traditionell pro Tag zirka 10.000 Kalorien zu mir. Parteitage sind meine Tour de France. Nur ohne Sport. Und komplett ohne Vitamine.

Irgendwann ist dann auch mal Feierabend. Für manche von uns lange nach Ende des Parteitags, wenn die Stühle alle leer sind, das Licht wieder an oder schon komplett aus, durchgefegt, die Türen der Halle abgeschlossen, alle Delegierten noch auf ein Bier aus oder schon im Hotel, den nächsten Tag vorbereiten. Denn manche Sendungen laufen ja spät am Abend, und man ist eigentlich immer erst sehr knapp erst vor Sendungsbeginn fertig. Egal, ob im Studio oder „draußen“. Wenn dann aber Feierabend ist, dann gehts ins Hotel. Findet der Parteitag in einer größeren Stadt statt, gibts auch noch ein Bier. Vielleicht sogar was Warmes zu Essen. Und am nächsten Morgen gehts dann weiter.

Jeder Parteitag ist anders. Das mag ich daran vielleicht am allermeisten.