Twitter – was machen wir denn jetzt?!
Es wird nicht mehr lange dauern, würde ich schätzen, bis wir uns nicht mehr ganz so intensiv mit Twitter und Musk beschäftigen. Das ist nicht als „Hören Sie genau hin, hier schreibt die allwissende Orakel-Tante aus Berlin“-Prognose gemeint. Sondern speist sich lediglich aus langjähriger Erfahrung mit Nachrichten. Irgendwann wenden wir uns anderen Dingen zu, Stichwort Aufmerksamkeitsspanne.
Im Moment aber vergeht kein Tag ohne Nachfragen. Ob ich mich privat unterhalte oder im Büro, ob ich interviewt werde oder mit jungen Journalisten diskutiere – immer geht es auch um Twitter. Wie sollen wir uns jetzt verhalten, (wie) geht es weiter?
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Allweissenheit geschweige denn Genialität habe ich sie und meine Antworten darauf mal zusammengetragen.
- Warum haben Sie Twitter noch nicht verlassen?
Erstens kann ich es als Journalistin nicht, weil ich wichtige Infos hier finde, unter anderem von Accounts aus dem Politikbetrieb. Politker, Parteien, Institutionen, andere Redaktionen und Journalisten – der große Run auf Mastodon hat da nicht eingesetzt. Der Ton ist nicht netter geworden, aber ich kann ja auch nicht sagen: „Im Büro ist die Atmosphäre schlecht, geh ich also ab jetzt jeden Tag ins Café.“ (Das ist ein ausgedachtes Beispiel, the Kollegen are alright.)
Zweitens sind auch noch viele derjenigen, die ich als „Nicole Diekmann, privat hier“ lustig / interessant / nett finde, da. Es haben sich, ich muss das leider so sagen, noch nicht allzu große Lücken aufgetan. - Aber bestätigen wir Elon Musk nicht in seinem Kurs, wenn wir weiter bei Twitter bleiben?
Nein. „Elon Musk“, „GoodbyeTwitter“ oder „Ende von Twitter“ – seit drei Wochen führen solche Topics die Trends bei – na? Genau: Twitter an. Dort wird wahnsinnig viel über Twitter und seinen neuen Herrscher geschrieben. Das ist auf der Meta-Ebene langweilig, weil irre selbstreferenziell. Allerdings verstehe ich die Belustigung mancher nicht, die darauf hinweisen, wie paradox es sein soll, auf Twitter über Twitter zu meckern. Ich wüsste gerne, wo denn sonst? Ich glaube nicht, dass Musk auf Mastodon mitliest. Bei Twitter weiß ich, er tut es. Nun bin ich nicht Stephen King; mit mir wird Musk nicht um einen angemessenen Preis für das blaue Häkchen feilschen. Aber es ist ja auch die Masse, die es macht. Je mehr dort kritisiert wird, desto mehr Aufmeksamket erregt das Thema. Auch bei Werbetreibenden, die noch da sind und Druck aufbauen können, indem sie ankündigen, es bald nicht mehr zu sein. - Würden Sie für den blauen Haken zahlen?
Nein. Was wäre mein Vorteil? Dass ich gleichberechtigt bin mit irgendwelchen Accounts, die einfach nur deshalb auch einen haben, weil sie Geld dafür bezahlen? Und die vielleicht Schlechtes im Schilde führen? Warum soll ich ein System unterstützen, das es mir genau so wie anderen nicht mehr ermöglicht, zunächst mal sehr schnell vertrauenswürdige oder aber zumindest relevante Accounts von anderen zu unterscheiden? Was nicht heißen soll, dass die allermeisten Accounts ohne Häkchen nicht vertrauenswürdig oder aber irrelevant sind. Da muss man dann aber eben etwas genauer hinschauen. Die vergangene Woche hat sehr gut gezeigt, worum es geht und wie es laufen kann, wenn alles durcheinander geht. (Sie hat aber auch gezeigt, dass natürlich auch jeder verifizierte Haken-Inhaber sich verrennen kann. Wer daraus jetzt aber eine allgemeingültige Regel ableiten will, will in der Regel nicht differenziert diskutieren.)
Ein weiterer Grund, keine 8 oder 20 oder von mir aus auch 0.99$ zu bezahlen: Dadurch würde ich Musk unterstützen. - Ist Mastodon eine Alternative zu Twitter?
Derzeit nicht. Die Nutzerfreundllichkeit, die Behäbigkeit, das Fehlern von Multiplikatoren, die Zweifel an der Belastbarkeit der Server, ein Fehlen von transparenten Kritierien, wann jemand dort mitmachen kann und wann nicht; valide Schwierigkeiten mit dem Datenschutz… Stand jetzt (!) verhält sich Mastodon zu Twitter wie ein Game Boy wie zu einer Switch. - Sollte man trotzdem zu Mastodon gehen?
Ja. Der Ton dort ist sehr, sehr viel freundlicher als bei Twitter, und ich registriere an mir ein Aufatmen, obald ich die App öffne. Ich habe sie nur auf dem Tablet, nicht auf dem Smartphone, und das Tablet lasse ich tagsüber zu Haue. (Auf dem Desktop öffnen geht leider nicht, weil ich mein Passwort anscheinend direkt nach Festlegung wieder vergessen habe. Inzwischen habe ich vier Mal versucht, mir per Mail den Passwort ändern-Link schicken zu lassen. Es gab alle vier Male keine Mail (ich kenne den Spam-Ordner, danke), und jetzt hab ich keine Lust mehr. Dann ist das jetzt eben so. Soviel aber zur Nutzerfreundlichkeit.) Um aus der gar nicht Not eine Tugend zu machen, lösche ich Twitter vom Tablet. Lege abends das Handy zur Seite und beschäftige mich nur noch mit den netten Seiten von Social Media. Bestimmt förderlich beim friedlich Einschlafen. - Könnte Twitter auch zerbrechen? Und was passiert dann?
Klar. Nichts hält ewig, hat meine Oma Therese immer gesagt. Elon Musk ist „quirlig“ (das ist mein Lieblingseuphemismus, hab ich entschieden, nachdem ich das kürzlich in der NZZ gelesen habe), aber er ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht brennend daran interessiert, zu verarmen. Oder auch nur auf ewig Kapitän eines sinkenden Dampfers zu bleiben. Er wird wohl kaum all seine Tesla-Aktien verkaufen, nur um Twitter am Leben zu erhalten. Vor allem nicht, sollten sich noch mehr Firmen zurückziehen und User aufhören, dort viel zu veröffentlichen.
Sollte das passieren – dann kommt was Neues. Oder etwas schon Bestehendes wird gepimpt.