Sensation! – oder: Das unhässliche Gesicht von Twitter
Guten Abend. Schön, dass Sie hier sind!
Heute erzähle ich Ihnen eine wahre Geschichte – so absonderlich sie auch klingt. Denn sie handelt von etwas Gutem, Wohltätigem gar, etwas Selbstlosem. Und ihr Ausgangspunkt war, es wird immer absonderlicher, das ja schon immer und besonders momentan vielgescholtene Twitter.
Es begab sich, dass mein Wlan ausfiel. Das ist schon mal immer schlecht, wir haben 2022, und noch schlechter ist das, wenn zum Beispiel alle, ich wiederhole, alle Audiogeräte in einem Haushalt ausschließlich über Wlan angesteuert werden können. Also angesteurt werden müssen. Jahrelang hat mir jemand sukzessive ein tolles Soundsytem geschenkt, das ich nach und nach über die Zimmer verteilt habe. So kann ich morgens zum Beispiel vom Bad übers Schlafzimmer bis in die Küche duschend, mich ankleidend und Kaffee trinkend weiterziehen (und auch mal zurück, wenn ich etwas vergessen habe), und fortwährend ununterbrochen meinen geliebten Deutschlandfunk hören.
Etwa eine Woche vor dem Wlan-Ausfall brachte ich beide noch im Keller befindlichen Stereoanlagen zum Sperrmüll, oder, wie das hier in Berlin heißt: zum Wertstoffhof. Eine hatte mir gehört, die andere meinem Bruder. Der mich seinerzeit ausgelacht hatte, als ich sie mitnahm. Ich sagte: „Wer weiß, wann man sie mal gebrauchen kann!“ Als ich sie dann brauchte… Natürlich.
Auch Fernsehen gibt es hier nur noch über Wlan. Ich streame auf das große Gerät. Und, auch nicht ganz unwichtig: Das Wlan reicht nicht durch die dicken Wände bis in mein Arbeitszimmer.
Sie sehen: Ich bin Angela Merkel während ihrer Kanzlerinnenschaft, nur leider ohne Macht, und das Wlan ist russisches Gas. Ich habe unkluge Entscheidungen getroffen und mich abhängig gemacht.
Nun ist Wlan aber nicht so wichtig wie Strom, also wurde ich erst nach sechs Wochen tätig. Da hatte ich keine Lust mehr auf Handy-Geschrebbel und rief meinen Anbieter an. Sehr schnell kam ein neues Gerät. Das tat’s auch nicht, also kam auch ganz schnell ein Techniker. Gerät ging wieder. Nicht aber der Repeater, den ich brauche, um in der ganzen Wohnung Wlan zu haben. Anders als in den vergangenen, glücklichen Wlan-Jahren verband er sich nicht mehr mit dem Router.
Ich kürze das ab, denn warum sollen Sie so schwer leiden wie ich. Erst recherchierte ich. Intensiv. Ich kann das ein bisschen, ich bin ja Journalistin. Ich versuchte. Und scheiterte. Ich versuchte anderes. Und scheiterte wieder. Ich versuchte noch mal. Scheiterte wieder. Ich war fast gebrochen und rief die Hotline des Repeaterherstellers an. Ich schilderte alles bisher Versuchte, wurde vom per default eher genervten Mitarbeiter unterbrochen, bekam anschließend eine Mail, von der ich inzwischen weiß, dass sie in Fachkreisen mit „RTFM“ abgekürzt wird: „Read the fucking Manual“. Das hatte ich schon getan, aber das war dem eher desinteressierten Hotliner egal.
Ich rief die Hotline meines Wlan-Anbieters an. (Ich weiß, auch das habe ich gelernt: Am besten sind alle Geräte vom selben Hersteller und Anbieter. Weil die dann besser ineinandergreifen. Es leuchtet mir ein. Aber: Ich wollte nach dieser Episode gerne jemanden angreifen, und zwar beide Hersteller, deswegen wird hier nichts Neues angeschafft, weder vom einen noch vom anderen. Sollte ich noch einmal so auflaufen, wechsle ich zur Telepost.)
Mitarbeiter Nummer eins redete mit mir, als hätte er die Beine auf dem Tisch liegen. Ich hätte den Repeater sieben (!) Jahre lang völlig falsch mit dem Router verbunden und jedes Mal einfach Glück gehabt, dass es trotzdem ging. Repeater in der Nähe des Routers in eine Steckdose stecken, Taste drücken, aufs Blinken warten, dann Taste am Router drücken – das machen, so habe ich den Herrn zumindest verstanden, nur Affen. Sehr dumme Affen. Analog-Affen. Sehr dumme Analog-Affen. Viel mehr Hilfreiches konnte er mir aber nicht mit auf meinen weiteren Lebensweg geben, denn unsere Verbindung wurde abrupt durch eine Bandansage unterbrochen. Ironischerweise wurde ich gefragt, wie zufrieden ich mit dem telefonischen Kundenservice sei. Auf einer Skala von eins bis Falling Down lag ich etwa bei „Man reiche mir eine Axt“.
Ich wählte erneut die Hotline an. Mitarbeiter Nummer 2 war sehr freundlich, erklärte mir, dass jeder Mensch Router und Repeater exakt so verbindet, wie ich es lange zu tun gepflegt hatte, weil es so ja auch im fucking Manual angegeben wird. Dass sein Vorgänger plötzlich weg gewesen sei, erklärte er mit Irrtum. Natürlich würde niemand einfach auflegen, sie wollten uns Kunden ja schließlich helfen. Er zeigte mir einen Lösungsweg auf, für den die fucking Firma aber noch etwas Technisches veranlassen musste, eröffnete ein Ticket, wir verabschiedeten uns. Ich war nicht mehr wütend und fühlte mich nicht mehr hilflos.
Bis mich eine halbe Stunde später Mitarbeiter Nummer 3 anrief. Er habe das Ticket gesehen. Was denn Mitarbeiter 2 für einen Quatsch erzählt hätte. So ginge das nicht. Es könne nicht am Router liegen. Ich versuchte, zu erklären, wie es zur Idee gekommen war, wurde immer wieder unterbrochen, Fragen gefragt, die meinen Laien-Status komplett überstiegen, und belehrt. Ich wurde sehr, sehr ungehalten, erklärte ihm, dass ich allmählich exponenziell steigend uninteressiert an einer weiteren Vertragspartnerschaft mit diesem Unternehmen sei, erwähnte Mitarbeiter Nummer 1, der plötzlich weg gewesen war, und hörte von Mitarbeiter 3: „Ja, da hat der Kollege wohl aufgelegt, gute Frau. Weil wir Ihnen sowieso nicht helfen können.“ Wir legten dann auch auf, und ich tat etwas, das ich nur in seltenen Fällen tue: Ich weinte.
Und dann tat ich etwas, das ich sehr oft tue: Ich twitterte. Ich schilderte meinen Fall und meine Säuerness.
UND DANN PASSIERTE ES. Dann trat T. auf den Plan. Eine Followerin. Eine IT-lerin. Eine Heilige.
Sie könne mir helfen, schrieb sie mir. Ich war zunächst skeptisch, denn die vier Männer, mit denen ich zuvor mit eben diesem Anliegen gesprochen hatten, hatten mir nicht geholfen, sondern mich psychisch quasi ruiniert. Aber hatte ich eine Wahl? Hatte ich Wlan? Hatte ich Wlan? Ich ließ mich drauf ein.
Die folgenden Tage schickten wir Nachrichten hin und her. Ich versuchte Dinge nach ihrer Anweisung. Ich legte Passwörter neu fest. Ich schaltete Firewalls an und aus. Sie forschte und forschte und kam mit immer neuen Vorschlägen, die ich wie ferngesteuert einfach ausführte. Stunden, und ich meine wirklich Stunden, investierte diese unfassbar nette Frau. Ich gewährte ihr Remote-Zugriff auf meinen Rechner, sie zauberte wild herum – nichts half. Sie überlegte, meldete sich Tage später wieder mit einer neuen Idee, wir scheiterten wieder, sie dachte weiter nach. Einfach so. Unfassbar, oder?
Als ihr nichts mehr einfiel und ich auch schon mehrfach angeboten hatte, es sein zu lassen, erschöpft vom Leben, erschöpft von der Digitalisierung, schloss sie sich mit meinen Kundendaten ausgestattet, mit den Kundendiensten zusammen. Und verhandelte in meinem Namen mit ihnen. Ein neuer Repeater wurde geschickt. Ich brauchte ein paar Tage mentalen Anlauf, um einen neuen Versuch zu starten. Inzwischen hatte ich eine Wlan-Lethargie entwickelt und war bereit zum Kauf einer Stereoanlage. Oder eines Kurbelradios. Blackouts, Putin, da schließt sich ein Kreis, warum nicht?!
Nun. Ich schreibe Ihnen in meinem Arbeitszimmer. Der Versuch ist geglückt. Happy End. Und das dank Twitter! Es gibt sie noch, die guten Kurz-Nachrichten-Dienste. Und Menschen.