Borgen, Staffel 4
Diese Woche gab es in der Süddeutschen eine Seite 3 über Robert Habeck. Dort war unter anderem die These zu lesen, dass der nah an der Grenze zu Dänemark lebende Habeck, dessen vier Söhne in DK zur Schule gegangen sein sollen, seinen Politikstil vom Nachbarland übernommen habe: superpragmatisch, superuneitel. Wobei jemand im Artikel Habeck schon auch große Eitelkeit attestiert.
Da musste ich an „Borgen“ denken, dessen 4. Staffel ich vor zwei Wochen frisch erschienen quasi inhaliert habe. Zwei Nächte waren sehr kurz, dann war ich durch. Ich hatte aber auch, wie so viele andere, sehnsüchtig drauf gewartet.
„Borgen“ dreht sich um die dänische, wer hätte es gedacht, Politikerin Birgitte Nyborg. Ihren Aufstieg bis hin zur Regierungschefin, was sie dann irgendwann auch nicht mehr ist. Ihre Familie, das Scheitern ihrer Ehe. Ihr Frausein. Ränkespiele in der Politik, aber auch einfach um: politische Prozesse.
Die vierte Staffel hat Grönland im Vordergrund, das auf eine riesige Menge Öl stößt. Das löst fast einen Dritten Weltkrieg aus. (Vor 4 Monaten hätte das geklungen wie die reinste Dystopie oder nach hysterisch überzeichnetem Drehbuch. Schade, dass es das nicht mehr tut.)
Das ist der Plot im Vordergrund. Nyborg wird gezeigt, wie sie als nunmehr Außenministerin verhandelt. Mit Grönland, mit den USA, China. Mit ihrer eigenen Partei. Und mit ihren eigenen Werten. Sie wird unfreundlich, ungeduldig, unnachsichtig. Hart.
Sie wird aber auch gezeigt als zwar mächtige, jedoch oft auch einsame Frau in dem, was wir so gerne als beste Jahre euphemisieren. Die beiden Kinder sind aus dem Haus, der Ex-Mann wird noch einmal Vater. Birgitte Nyborg hingegen steckt mitten in den Wechseljahren. In einer Szene weint Nyborg, als sie gegenüber ihrem Sohn ziemlich offen zugibt, allein zu sein. Die beiden sitzen dabei in einem Café.
Es gibt keine Szene, keine Heulkrämpfe, keinen Wendepunkt. Nix da Tabula rasa, kein „Eat Pray Love“. Das ist Kopenhaben, nicht Hollywood. Nyborg steigt nicht aus, schmeißt alles hin und wird jetzt Yogalehrerin. Sie macht weiter, und sie tut einem Leid in diesem realistischen Umgang mit dem Angekotztsein von manchen Seiten ihres Lebens. Man kann halt nicht alles haben.
Ähnliches erlebt ihre ehemalige Sprecherin, Katrine Fønsmark. Sie kehrt zurück zu ihrem Fernsehsender, wo sie nun aber nicht mehr als Moderatorin und Redakteurin arbeitet, sondern als Nachrichtenchefin. Also auch über Macht verfügt. Auch sie verändert sich, und das nicht zum Guten. Sie gerät an eine streitbare Mitarbeiterin und merkt: Oben ist es einsam. Der Stress setzt ihr zu, die ihr abverlangten Kompromisse durch die Gratwanderung zwischen Journalismus und den Ansprüchen der Politik an den öffentlich-rechtlichen TV-Sender ebenso. Sie schreit ihre Kinder an, am Ende findet sie sich mit zusammengebrochenen Nerven wieder. Auf einer Toilette beim außerordentlichen Parteitag von Birgitte Nyborgs Partei.
Die Nyborg nicht mehr vertraut, weswegen man sich außerplanmäßig trifft. Nyborg schmeißt hin. Beide Frauen erkennen am selben Ort, dass sie nicht mehr können und/oder nicht mehr wollen. Und geben auf.
Ich liebe es, mir fremde Themen zu erarbeiten. Mit Genuss habe ich zum Beispiel Anfang des Jahres Khuê Phams Roman „Wo auch immer ihr seid“ gelesen. Ich hatte nämlich sehr wenig Ahnung von Vietnam. Und so ging es mir auch mit Grönland. Dafür war „Borgen“ super.
Was mir auch gut gefallen hat: die besonders dieser Staffel zugrunde liegende Annahme, dass in niemandes Leben alles tippitoppi ist. Auch finde ich es intellektuell sehr entgegenkommend, wenn nicht so getan wird, als ließe sich das ändern. Dass aber gleich beide Frauen am Ende aufgeben, ist doch bescheuert. Die Lehre kann ja nicht sein, dass gar nichts geht. Dass die große Karriere das Erste ist, was man hinschmeißt, ohne vorher wenigstens mal an anderen Stellschrauben gedreht zu haben. Am eigenen Perfektionismus zum Beispiel. Da hätte ich mir Varianz gewünscht.
Trotzdem: dicke Empfehlung. Schön erzählt. Sympathische Menschen. Nahbare Politiker. Tolle Bilder vom geliebten Kopenhagen und dem faszinierenden Grönland. Schlaue Gedanken. Fast so grandios wie „The West Wing“. Aber das erzähle ich ein andermal.