11. Mai 2022
Die Kritik an Christine Lambrecht reißt nicht ab – und nun ist er wieder da: der Spin, es handle sich um Frauenfeindlichkeit. Den gab es ja auch schon bei Anne Spiegel. Da sei es um Vereinbarkeit gegangen, darüber sei die inzwischen ehemalige Familienministerin gestolpert, hieß es. An der ja unzweifelhaft unfairen Verteilung von mental load und care Arbeit unter Männern und Frauen.
Dass Anne Spiegel behauptet hatte, an Kabinettssitzungen teilgenommen zu haben – das fiel in der Argumentation unter den Tisch und wird dann wohl bestenfalls als Beleg für die steile Misogynie-These bemüht: Weil Vereinbarkeit nicht möglich sei, habe Spiegel ja lügen müssen. Das ist auch deshalb eine würdelose Verteidigungslinie, weil sie Frauen klein macht. Als wären Frauen nur dann durchsetzungsfähig, wenn sie zu einer List greifen. So wie die Mutter eines meiner ehemaligen Partner einmal voller Stolz erzählte, ihr Vater habe ihre Mutter von allen finanziellen Belangen ferngehalten – die sich aber regelmäßig selber einen Überblick verschafft. Heimlich, wenn ihr Mann nicht im Hause war. Entsetzlich.
Im Fall Anne Spiegel argumentierten einige ihrer Verteidiger, als würde man gewinnen, wenn man sich durchwurschtelt. Als würde es nicht gerade von Rückgrat zeugen, wenn man sagt: Diese Regeln kann ich nicht einhalten, will ich auch nicht, wir müssen das also offen verhandeln – auch auf die Gefahr hin, dass ich verliere.
Bei Christine Lambrecht scheint der Fall noch glasklarer: Es gibt unter anderem Kritik an ihrer Schuhwahl beim Truppenbesuch in Mali und Niger. Die Ministerin trug Pumps. Wirklich hohe Pumps. Pumps, die sie geschätzt zehn Zentimeter größer machen. In der Wüste. Vor Soldaten. „Frauenhass!“, schreit es da direkt auf, wird diese Schuhwahl in Frage gestellt. Frauen trügen nun mal Pumps!
Jo. Stimmt. Nur ist ja im Leben alles Kontext. Stellen wir uns mal vor, ein Verteidigungsminister hätte in Niger Bundeswehrsoldaten besucht. Und zwar in Lackschuhen. Obwohl die Vorgabe lautet: festes Schuhwerk. Man kann das anders machen, man kann sich schick machen, man kann ausstrahlen wollen, einen eigenen Kopf zu haben. Man kann das machen mit dem Vorsatz, sich am Echo nicht zu stören, sich nicht davon irritieren zu lassen. Nur kann doch niemand allen Ernstes die vorhersehbare Reaktion als frauenfeindliche Kampagne bezeichnen. Es sei denn, man setzt auf ein Ablenkungsmanöver. Als Frauenfeindlichkeit als Chance. Und lässt weg, dass Lambrecht auch neben Pumps und Helikopterflügen für anderes kritisiert wurde. Führungsstil, falsche Ankündigungen etc.
Es gibt eine interessante Parallele zwischen Lambrecht und Spiegel: Beide standen dem Bundesfamilienministerium vor. Lambrecht kommissarisch; sie war gleichzeitig Justiz- und dann auch Familienministerin, nachdem Franziska Giffey wegen ihrer Doktorarbeit zurückgetreten war, um ihre Bürgermeisterkandidatur für Berliner noch zu retten. Es gab damals Unmut ob der Personallösung: Das Familienministerium sei viel zu wichtig, um lediglich nebenbei geführt zu werden, sagten Einige. Unter denen, daran erinnerte nun die Tage eine kluge Freundin, seien erstaunlicherweise viele gewesen, die es nun gar nicht so undenkbar gefunden hätten, die sichtbar völlig überforderte Anne Spiegel im Amt zu belassen. Debatten als Bärinnendienst.