22. März 2022
Frau Herzbruch möchte bei sich zu Hause nur noch auf schöne Dinge gucken. Auf Wäscheständer, die aussehen wie eine Rakete zum Beispiel. Sie zieht das seit Monaten konsequent durch, recherchiert sehr akribisch und investiert neben Zeit und Schweiß (sinnbildlich, gerade erst hat sie ihr Schlafzimmer gestrichen) durchaus auch Geld.
Ich hab in den letzten Jahren auch viel investiert. Auch Geld, aber in Grenzen. Auch Zeit, aber ich recherchiere nicht halb so viel wie Frau Herzbruch. Wenn ich dafür nicht bezahlt werde, hab ich keine Lust, das scheint meine Art der Rebellion zu sein. Vor allem hab ich Mut investiert.
Es klingt wie eine furchtbar banale Binse, wie „Carpe diem“, aber mich hat es Jahre gekostet, wenigstens zu verstehen, dass ich einfach versuchen muss, alles so zu machen, wie ich es haben will. Das ist so einfach, dass es in unserer komplizierten Welt manchmal ein Kraftakt ist.
Paradoxerweise brauchte es einen Schicksalsschlag, damit ich anfangen konnte. Ein von außen aufgezwungener, notwendiger Neuanfang brachte mich ins Handeln. Es lag sowieso alles in Trümmern, von jetzt auf gleich, es war eh alles kaputt und musste repariert werden – oder eben: neu aufgebaut. Nach meinen Wünschen.
Wenn man kann, muss man immer das Gute sehen.
Also: Wenn was Schlimmes passiert ist, hat man wenigstens keine Angst mehr davor, dass was Schlimmes passiert. Das befreit, wenn die erste, zweite und dritte Schockwelle überwunden sind.
Inzwischen bin ich dem Ziel sehr viel näher gekommen. Zumindest in den Bereichen, die ich steuern kann. Das finde ich sensationell: dass man mit den Jahren immer besser zu erkennen vermag, wo der eigene Tanzbereich beginnt. Und wo er endet. Wo man sich nicht die Zähne ausbeißt, keine Energie verschwendet, keine unrealistischen Erwartungen verfolgt – und was man aber eben auch selbst einrichtet, verteidigt, so teilt, wie man selber das will.
Seit Corona hat sich das alles noch mal destilliert, seit Kriegsbeginn zumindest für mich auch noch mal zusätzlich ein bisschen. Vielleicht durch die gewachsene Wertschätzung dessen, was man hat, was man bisher die allermeiste Zeit über als selbstverständlich erachtet hat. Und was andere gerade verloren haben: ihr Zuhause, ihre sicheren vier Wände. Ihre Welt.
Ich sitze immer noch mit Corona zu Hause, immer noch positiv, immer noch milder Verlauf. Raus darf ich aber ja nicht, und arbeiten soll ich auch nicht, weil meine Viruslast internationale Top-Rekorde erzielt. Also hab ich endlich Löcher gebohrt, gegen dicke Wände gewonnen, Gardinenstangen angebracht und Gardinen aufgehängt. Gardinen, die seit dem Umzug vor sechs Jahren im Schrank lagen.
Das Wohnzimmer sieht jetzt so aus, wie ich mir das seit Monaten ausgemalt habe. Erträumt. Seitdem liegen die Gardinenstangen hier. Ich habe mir nämlich letztes Jahr einen Lebenstraum erfüllt und ein Buch geschrieben. Und mich mit einem Sofa dafür belohnt. Einem sehr günstigen; niedriger dreistelliger Betrag. Aber: Es ist das erste Sofa, das ich ganz alleine gekauft habe. Das so aussieht, wie ich das möchte. Kein Kompromiss. Und dazu passen jetzt die alten Gardinen. Die das Drinnen schöner und gemütlicher machen und das Draußen aussperren, wenn ich das will. Wenn ich nur das Gute sehen will.