Gibt es guten Hass?
In Iran erheben sie sich. Gehen in Massen auf die Straße, protestieren, schneiden sich die Haare, legen das Kopftuch ab. Riskieren ihr Leben, verlieren es sogar auch. Der feministische Aufstand vereint Frauen und Männer in ihrer Wut auf das Regime, nachdem die 22-jährige Mahsa Aminidas in Teheran von der Sittenpolizei wegen zu legeren Tragens ihres Kopftuchs festgenommen worden war und anschließend starb.
Ein Aufstand im Jahr 2022, in einem Land, in dem Unterdrückung herrscht und demnach auch Zensur. Es ist das klassische Setting, die klassische Chance für alternative – für: soziale Medien.
Die in Iran 2009 schon mal eine zentrale Rolle gespielt haben, nach der Präsidentschaftswahl. Als der Hardliner Ahmadineschad erneut an die Macht gekommen war, nutzten Dissidenten vor allem Twitter, um ihre Proteste zu organisieren und die Bilder davon in die Welt hinauszusenden. Vorbei an Pressesperren. Das Time Magazine feierte Twitter damals als das „Medium der Bewegung“. Der Ruf von Social Media war (kurz) aufpoliert.
Es war auch das Time Magazine, das Mark Zuckerberg nur ein Jahr später zum Menschen des Jahres erklärte. Zuckerbergs Facebook hatte ebenfalls eine glorreiche Rolle gespielt, nämlich im Arabischen Frühling. Nicht nur die Medien, NGOs – nein: die ganze Welt lag Zuck zu Füßen. Die Rede war gar von der „Facebook-Revolution“, so wichtig war das Netzwerk gewesen im Versuch der Oppositionellen, sich ihrer Herrscher zu entledigen und sich eine Demokratie zu erkämpfen.
Inzwischen gehören zu Zuckerbergs Imperium, dem Meta-Konzern, neben Facbook auch WhatsApp und Instagram. Letzeres zählt in Iran zu den meistgenutzen Plattformen. Journalisten in Iran schreiben nun, Meta lösche regimekritische Inhalte. Der Konzern arbeite gar mit dem Regime zusammen. Meta dementiert und weist auf seine Gemeinschaftsrichtlinien hin, die Aufrufe zu Hass oder Gewaltdarstellungen verbieten.
Lassen wir mal beiseite, wie konsequent und wie effektiv bzw. eben nicht Meta im Kampf gegen diese Phänomene im Alltag ist. Es stellt sich nämlich eine ganz grundlegende und auf den ersten Blick unheimlich zynische Frage: Gibt es guten Hass? Oder anders: Nach welchen Maßstäben sollten soziale Netzwerke eingreifen? Oder aber, fangen wir noch grundlegender an: Was sind soziale Netzwerke?
Sind soziale Netzwerke lediglich eine userfreundliche Oberfläche, die wir anwenden können, um unsere Inhalte dort zu verbreiten? Sind diese nur an uns gebunden? An unsere Vorstellung von Moral – oder aber an die Gesetze unseres Herkunftslandes? Oder aber an die Gesetze unseres Aufenthaltsortes – also des Landes, in dem wir uns zum Zeitpunkt eines Posts aufhalten?
Könnte ich – dazu später mehr – während meines Urlaubs in Spanien auf Facebook den Holocaust leugnen (das ist in Spanien seit 2007 nicht mehr verboten)? Oder würde ich bei meiner Rückreise nach Deutschland dafür belangt? Oder was wäre, hätte ich mich im in Spanien über einen kleinen Trick über Deutschland ins Netz eingeloggt, weil ich beispielsweise Sportinhalte sehen will, für die eine deutsche Website keine Streamingrechte im Ausland besitzt?
Kriege ich ein Problem, wenn ich auf Twitter den Völkermord an den Armeniert geleugnet habe und dann nach Griechenland reisen will? Oder ihn sogar während meines Aufenthalts dort leugne? In Griechenland ist das nämlich verboten.
Kommen wir zurück auf das Beispiel Holocaustleugung. In Deutschland, dem Land des Tätervolks, ist sie verboten, in den USA nicht. Und auf Facebook war sie es auch lange nicht. Eine Gangart, die Mark Zuckerberg (der Jude ist) wiederholt verteidigte mit Verweis auf die Redefreiheit – und indirekt mit dem Argument, Facebook stelle quasi lediglich die Infrastruktur: Es sei nicht Ziel der Plattform, so Zuckerberg, seine Nutzer davon abzuhalten, Unwahrheiten zu schreiben. Einige Jahre lang war Facebook deshalb laut deutschem Gesetz (NetzDG) dazu verpflichtet, Holocaustleugnung zu löschen, sofern sie von Deutschland aus gepostet wurde. Vorher sah eigentlich auch schon das Telemediengesetz, Stichwort: Störerhaftung, eine solche Verantwortung bei den Plattformen. Allerdings wurde da nicht wirklich konsequent geahndet.
Dann änderte Zuckerberg seine Meinung (!) und im Zuge dessen wurden auch die Gemeinschaftsregeln verändert: Der Holocaust darf nun auch bei Facebook nicht mehr geleugnet werden, egal, von wo aus das geschieht.
Klingt gut, oder? Besser spät als nie. Wenn Männer wie Zuckerberg oder auch Elon Musk, der ja behauptete, seine Satelliten den von Russland überfalnenen Ukrainern zur Verfügung zu stellen, mehr solcher Entscheidungen und Taten vollbringen würden – die Welt wäre ein besserer Ort. Nur: Wer sagt uns denn, dass dermaßen viel Macht in die Hände von Menschen fällt, die sie gut einsetzen? Wer definiert eigentlich gut? Vor allem, wenn Gut und Böse nicht so plakativ verteilt sind?
Nächste Frage: Mit wem kooperieren die Plattformen, nach wem richten sie sich in solchen Entscheidungen? Folgt Meta einem moralischen Kompass? Oder entscheidet es nach gewinnmaximierenden Maßstäben – denn es ist ja neben der sehr hybriden Infrastruktur/Kurator-Rolle auch (vor allem) ein Unternehmen. Das Geld verdienen möchte. Und angesichts sinkender Gewinne erschreckend schnell nervös wird und an aus vermeintlich altruistisch-moralischen Beweggründen getroffenen Entscheidungen wieder rührt, zum Beispiel in der Frage, ob Fake News zu Corona ok sind oder nicht.
Nehmen wir an, die Behauptungen stimmen: Meta mischt sich ein und richtet sich nach den Wünschen der iranischen Mullahs. Es wäre nicht das erste Mal, dass Meta eingreift. Zuckerberg selbst hat eingegriffen, wie er 2018 in einem Interview erzählte, als auf Facebook zum Genozid gegen die muslimische Minderheit der Rohingya in Myanmar aufgerufen hatte. ES wird kein Zufall sein, dass Zuckerberg diese Geschichte preisgab, zumal im Jahr 2018: Eben da dokumentierten die UN, wie bedeutend und unheilvoll Facebooks Rolle für die orchestrierten und tödlichen Hasswellen gegen die Rohingyas gewesen war. Mit der Schilderung, wie er höchstpersönlich an einem Samstag aktiv geworden und zum Schutz der Rohingyas beigetragen hatte, sichert Zuckerberg sich und seinem Unternehmen Sympathien.
Denn Hass gegen eine Minderheit – das findet niemand gut. Generell ist Hassrede in den sozialen Netzwerken ist ein ernstzunehmendes Problem, die Kritik an den Plattformbetreibern wurde in den vergangenen Jahren (in Wellenbewegungen) lauter.
Aber es gibt ein Dilemma: Gibt es guten Hass? Soll Instagram dann Hass zeigen dürfen, wenn er sich gegen die Bösen richtet? Ist das eine moralische Frage? Eine kuratorische? Die sich moralisch beantworten ließe?
Gibt es guten Hass? Wer definiert ihn? Und, damit schließen wir den Kreis: Wo und wann unterwirft sich Meta, unterwerfen sich andere Konzerne dem Recht von Nationalstaaten? Wenn Meta sich als Kurator versteht, als ein aufklärerisches Medium – muss es dann nicht zum Beispiel das Posten von Videos von Steinigungen etwa von Frauen in Iran erlauben, damit die Welt sieht, was da los ist? Fällt Facebook unter einen Pressekodex? Irgendeinen Kodex? Wer würde, da ist sie wieder, die Frage, diesen Kodex definieren? Oder braucht es nicht vielmehr Gesetze? Wer definiert die? Wer setzt sie durch? Die EU hat 27 Staaten, die sich kaum auf etwas einigen können – wie soll sich die Welt auf irgendein verbindliches und wirklich tiefgriefendes Regelwerk einigen können? Für etwas, das es vorher noch nie gab?
Ich stelle nur Fragen. Lieber hätte ich Antworten.