Karl, der König, wurde nicht gefragt.
Die Queen wird ja gerade relativ oft erwähnt. Auch von mir, so zum Beispiel hier und jetzt. Ihre Disziplin wird gelobt, ihr lebenslängliches persönliches Zurückstecken für den Dienst am Volk. Auch ihr Sohn und Nachfolger auf dem Thron, Prinz Charles sprach gestern in seiner ersten Ansprache als König vom „Dienen“, hoben Kommentatoren lobend hervor.
Es sagt viel aus über uns, über unseren Anspruch an uns und an andere, dass wir das Dienen und die Disziplin so wohlwollend betrachten. Und noch etwas ist interessant: wie viel auch jetzt darüber gesprochen wird, dass Charles ja sehr, sehr lange darauf warten musste, endlich den Thron besteigen zu können und deshalb vermutlich nur ein Übergangskönig sein wird.
Mit anderen Worten: Der arme Charles musste lange darauf warten, dass seine Mutter stirbt.
Nun weiß ich nicht, wie die beiden so miteinander waren. Ja, man kennt Geschichte wie die vom eher harten Philip, Charles‘ Vater, der auf Drill in der Erziehung setzte und seinen Sohn ins schottische Internat schickte, was dieser ihm nie verzieh.
Das wissen wir, andere Dinge meinen wir zu kennen, ihr Wahrheitsgehalt schwankt von Quelle zu Quelle. Netflix, Das Goldene Blatt, BBC… Aber wie tief sind denn unsere Einblicke in die Familien um uns herum, um die Strukturen, die Bindungen, den Alltag miteinander? Was wissen wir denn über das Verhältnis selbst unserer engen Freundinnen zu ihren Eltern? Wie gut können wir das zu unseren Eltern durchdringen? Eltern-Kind-Beziehungen sind ja ein bisschen komplexer als die Frage, ob Winnetou verboten wurde oder nicht.
Nehmen wir mal an, Charles und Elisabeth hatten ein durchschnittlich gutes Verhältnis. Er hatte sich abgenabelt, ein eigenes Leben, rief zwar nicht mehr jeden Tag bei Mutti an, hielt aber den Kontakt. Wenn man sich sah, verstand man sich in der Regel gut und sprach nicht in Großbuchstaben miteinander. Streit kam vor, aber in normalem Maße wie bei anderen Leuten auch, wenngleich es allerdings vermutlich selten um Themen ging wie „Du hättest ruhig mithelfen können, als deine alte Mutter den Keller aufräumen musste, mein Sohn!“.
Dies angenommen, wirkt folgende Annahme einigermaßen plausibel: Charles ist traurig. Seine Mutter ist gestorben. Kinder egal welchen Alters sind fast immer traurig, wenn ihre Mutter stirbt. Auch wenn das Verhältnis unterdurchschnittlich gut war. Und gleichzeitig wird Charles wissen, ein mindestens durchschnittlich gutes Verhältnis vorausgesetzt, dass er Glück hatte, so lange eine Mutter gehabt zu haben.
Ich persönlich würde mich relativ unwohl fühlen und meinen Umgang noch mal überdenken, erlebte ich eine Beerdigung, auf der offen ausgesprochen und obendrein konsensual, kollektiv und völlig selbstverständlich dazu genickt würde, dass es doch super für die Nachkommen ist, weil die jetzt zum Beispiel im Familienunternehmen endlich das Sagen haben. Man kann das wohl mal denken, als positiven Nebeneffekt, aber man muss ja nicht alles aussprechen. Oder gar feiern.
Charles ist jetzt König. Vorher war er aber ja auch schon was. Insofern sagt dieses „Was hat der Mann ein Glück, endlich ist seine Mutter tot“ mehr über uns aus als über ihn. Wir setzen das Streben und das Ankommen (nach) ganz oben über alles. Losgelöst von faktischen, praktischen, pragmatischen Fragen. Vielleicht hat Charles ja gar keinen Bock, jetzt durch die Lande ziehen zu müssen. Und zu dienen. Und unparteiisch zu sein, was er bisher nicht immer war und für die Zukunft als König jetzt versprochen hat. Vielleicht wäre Charles jetzt auch einfach lieber noch ein bisschen traurig als direkt König. Aber Charles, der König, wurde nicht gefragt. Er dient jetzt. Der Glückliche.