5. März 2022
Worauf bezieht sich der große Dank, frug ich mich beim Lesen. Ist es einer im Voraus an alle, die jetzt bitte keine Sachspenden mehr bringen? Oder ist es ein Dankeschön an alle, die schon so viel gebracht haben – nein, ich präzisiere: zu viel?
Erstmal, und das schreibe ich als leidenschaftliche Anwenderin des „Die Welt nicht zu sehr verkopfen“-Lebensmodells, ist es ja großartig, dass so viel da ist, dass es eines Stopp-Tweets bedarf. Klar, es zeigt auch: Unsere Keller sind voll. Überfluss. Bequemlichkeit hat uns die Sachen bisher zu Hause behalten lassen. Besser dort lagern und über den vollen Speicher stöhnen, als den beschwerlichen Weg zum Container antreten (den man vielleicht auch erstmal recherchieren muss). Lieber Abstellkammer-Tetris spielen in der Hoffnung, die Schwerkraft noch eine Kleidergrößen-Saison lang auszutricksen, als den Second-Hand-Shop mit dem Gefühl zu verlassen, über den Tisch gezogen worden zu sein. Vorzugsweise die Dinge dem Motten- oder (Berliner wissen, wovon ich spreche) dem Grundwasser-Risiko aussetzen, als sich nervige Verhandlungen beim Kleiderkreisel wegen abgeplatzter Farbe am dritten Druckknopf von unten am Babybody zu geben. Plötzlich, wenn die Not groß ist, kann das Zeug weg.
Auch bei uns hierzulande ist die Not groß. Ich beobachte in den vergangenen Tagen dreierlei Not bei denen, mit denen ich drüber spreche, und bei mir natürlich auch. (Drüber sprechen ist gerade default-Einstellung. Sprechen wir nicht drüber, bitten wir einander vorher darum: „Wollen wir mal über was anderes reden?“)
Da ist zum einen das reine Mitgefühl. Beim Anblick von Fernsehbildern von erschrockenen ukrainischen Kindern etwa, die das Hier und Jetzt schon ängstigt und die zu ihrem Glück keine Ahnung von der Tragweite des Wahnsinns haben, der um sie herum tobt und sie bedroht. Sie sind zu klein, um das Damoklesschwert über sich zu sehen. Es ist herzzerreißend.
Da ist zum zweiten die Not, dass wir mit Ohnmacht nicht umgehen können. Masketragen und Impfen helfen nicht gegen das, was Putin reitet. Und, um in der Analogie zu bleiben: Die Drostens und Brinkmanns in dieser zusätzlichen Krise können uns nicht sagen, wie wir uns schützen können. Die ehemaligen Generäle, die jetzt in den Sendungen sitzen, die Militärexperten, die haben keine Modellierungen, die zwar unangenehme Kontaktbeschränkungen oder Quarantänebestimmungen nach sich ziehen – aber damit eben auch die Möglichkeit aufzeigen, rauszukommen aus der Lage und vor allen Dingen: uns Handlungsmacht verleihen. Nichts außer der Impfung hat mich so erleichtert wie die Studie Ende vergangenen Jahres über die Wirksamkeit von FFP2-Masken. Mich kann ich ja gut dazu bringen, sie zu tragen.
Die uns nun neuen Experten haben leider nichts dergleichen im Angebot. Sie sagen: Die Bundeswehr hat im Grunde genommen nichts Ernsthaftes, das sie irgendjemandem entgegensetzen könnte. Wir können nicht mal ein paar warme Unterbuchsen für Soldaten an der NATO-Osflanke schicken und uns dadurch gleichzeitig auch wärmen: an dem Gefühl, ein starkes, gut funktionierendes System noch ein kleines bisschen besser gemacht zu haben mithilfe eines symbolischen Aktes. So wie ich meinem fast 80-jährigen Vater etwas zum Geburtstag schenke, weil ich ihm etwas schenken möchte. Nicht, weil er das Geschenk konkret braucht. Er hat alles, sagt er, und ich finde, das stimmt. Stichwort Überfluss. (Ich gönne es ihm von Herzen, nicht, dass das hier falsch rüberkommt.)
Drittens, als direkte Folge aus eins und zwei, wollen wir helfen. Aus Empathie, siehe Punkt eins, und aus dem Bedürfnis heraus, uns selbst zu ermächtigen. Also geben wir. Oder fahren mit dem Auto an die Grenze. Stellen uns an den Hauptbahnhof und begrüßen die Geflohenen. Registrieren uns als Obdach-Geber.
Was wir darüber nicht vergessen sollten: Unsere Not ist zumindest in Teilen konfigurierbar. Und die Bedürfnisse derer, denen wir helfen wollen, ändern sich. Diese Auflistung zeigt beeindruckend, wie viel Fachwissen auch hinter dem Thema „Hilfe“ steckt. Vielleicht sind diejenigen, die unsere in Hilfsbereitsschaft kanalisierte Hilflosigkeit wirklich sinnvoll koordinieren können, die neuen Drostens und Brinkmanns.