14. März 2022
Eine Frau Mitte 50 und ihre Kinder (Mitte 20 und ein kleiner Nachzügler von zehn Jahren) wohnen seit einigen Tagen bei meiner Bekannten Jekatarina und ihrer Familie. Heute traf ich Jekatarina zufällig und fragte, wie es allen ergeht. Und sie erzählte das da oben. Und ich war kurz wieder in Gaza. Diese Starrheit, von der Jekatarina erzählte, habe ich dort gesehen.
2014 war ich noch Kriegs- und Krisenreporterin. Israel und Gaza bekämpften einander, wieder einmal. Es klingt lapidar, ist aber katastrophal. Jedes Mal. Die beiden Parteien einigten sich auf eine dreitägige Feuerpause, und mein Sender erlaubte einem Kollegen und mir, für diese drei Tage nach Gaza hineinzugehen. Das Risiko schien allen Verantwortlichen überschaubar. Also fuhren wir bis zum Grenzübergang, durchliefen das Prozedere am Terminal und berichteten die drei Tage lang aus dem Küstenstreifen.
Am Freitagmorgen um 8 Uhr sollte die Feuerpause enden. Vorher schaltete ich noch live ins Morgenmagazin, direkt danach sollte ich dann direkt direkt zum Grenzübergang nach Israel gebracht werden, um rechtzeitig rauszukommen. Der Plan war eng getaktet, aber machbar. Weil wir jedoch anscheinend aneinander vorbeigeredet hatten, als wir diesen Morgen planten, wurde es dann doch plötzlich hektisch. Wir hinkten im Zeitplan hinterher. Die Sorge war groß, dass die Raketen wieder fliegen würden, bevor wir Gaza verlassen hatten. Sie haben dort keine Bunker. Tunnel, ja. Aber die sind der Hamas vorbehalten, die da durch Waffen und Raketen schmuggelt. Die einfache Bevölkerung ist relativ ungeschützt in Kriegszeiten.
Nun saß ich also hinten im Auto, neben mir ein Übersetzer, vorn ein Fahrer. Die beiden wollten mich jetzt einfach nur möglichst schnell hier raus bringen. Alle drei waren wir still. Ich hoffte, mein Producer recherchierte auf seinem Telefon den schnellsten Weg, und der Fahrer versuchte, den Menschenmassen auszuweichen. Denn viele, sehr viele Einwohner von Gaza waren auf den Beinen. Auf der Suche nach einem möglichst sicheren Unterschlupf. Oft suchen sie Schutz vor dem Krieg in Schulen oder UN-Gebäude. Auf solche, so ihre Hoffnung, feuern die israelischen Streitkräfte nicht. Keine kritische Infrastruktur.
Ich sah aus dem Fenster, um mich abzulenken von meiner Luxus-Angst. Ich war freiwillig hier. Um zu berichten, ja. Aber auch, um Geld zu verdienen. Das hier war mein Job, nicht mein Schicksal.
Und da sah ich sie, vorn auf einem Pferdefuhrwerk: eine junge Frau, nicht viel jünger als ich. Neben ihr saß der Mann, der das Pferd antrieb, hinter ihnen zwei kleine Kinder auf einer großen, blanken Matratze und zwischen ein paar Taschen.
Den Blick der Frau werde ich nie vergessen. Er war komplett leer. So, als könne sie keine Angst mehr haben. Keine Energie mehr verschwinden auf Hoffen oder Bangen. Sie hatte sich ergeben. Starr.
Das Leben ist wie ein Lottospiel. Diese Frau hatte schlicht und einfach Pech gehabt, dort auf die Welt gekommen zu sein. Ich hatte Glück. Fair ist das nicht.