17. März 2022

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Nein, keine Sternstunde. Alles andere als das. Beschämend war das, was heute Morgen im Bundestag passiert ist. Heute, drei Wochen, nachdem wir alle in einer anderen Welt aufgewacht sind, wie Außenministerin Annalena Baerbock den Angriff der russischen Armee auf die Ukraine zu einem uns alle betreffenden Ereignis erklärte, sprach der ukrainische Präsident zum deutschen Parlament, zugeschaltet aus seinem vom Krieg gebeutelten Land. Wolodimir Selenskij hat Deutschland aufgegeben, auch wenn er das so offen nicht gesagt hat. Und auch nicht so drastisch wie sein Botschafter hierzulande. Nord Stream 2 aber sprach er offen an. Die deutsche Putin-Politik, die seiner Ansicht nach viel zu laxen Sanktionen gegen Russland.

Der Bundestag lauschte Selenskijs Worten. Man sah ergriffene, bewegte, nachdenkliche Gesichter hinter den Masken. Manche Abgeordnete musste sichtbar schlucken, andere rieben sich das Gesicht, weil sie irgendwo hinmussten mit ihren starken Gefühlen. Die Lage in der Ukraine, an der Deutschland akut nicht viel ändert, ist entsetzlich. Das schmerzt, so nachvollziehbar die Gründe auch sein mögen. Drei Wochen sind lang genug, um den allerersten Schrecken verdaut zu haben. Lang genug, dass nicht mehr jeden Abend Sondersendungen laufen, nicht eine Push-Meldung die nächste jagt. Aber der Krieg ist zeitlich und – so ist es nun mal – geographisch und politisch auch zu nah, als dass er nicht weiterhin die absolute Hauptrolle in der öffentlichen Wahrnehmung spielen würde. Jeder kennt jemanden, der Flüchtlinge aufgenommen hat. So nah.

Wie nah uns die Bilder gehen – ob von der bombardierten Geburtsklinik, getöteten Familien, in Bunkern singenden Kindern – need I say more? So nah ist all das, rein praktisch, rein emotional, dass wir in den vergangenen drei Wochen gespendet haben, über einen Dritten Weltkrieg nachgedacht, über Reisepässe. Es wurde und wird gehamstert (ich übrigens auch; ich bin nicht stolz, aber es hilft mir – vor allem jetzt, da ich mit Corona zu Hause sitze).

Sehr nah.


Ich habe ein paar Jahre lang aus Krisengebieten berichtet. Dort habe ich ein paar harte Szenen erlebt, und ich habe dort Drehmaterial auch nicht-deutscher, nicht-europäischer Nachrichtenagenturen gesehen. Die oft drastischer drehen als wir. Einmal aus kulturellen Gründen und zusätzlich, weil sie wissen, dass erst Redakteure das Material sehen und es dann daraufhin filtern, was sie ihren jeweiligen Zuschauern zumuten können. Redakteure wie ich. Es gab Bilder etwa aus Syrien oder Gaza, die ich lieber niemals gesehen hätte und die ich unter keinen Umständen für meine Berichterstattung benutzt hätte. Weil sie in ihrer unerbittlichen Darstellung der Realität unerträglich waren.

Trotz dieser Erfahrungen und des dadurch automatisch erworbenen dickeren Fells: Vor drei Wochen, sehr rasch nach Kriegsbeginn, habe ich beschlossen, mir so viel wie auch für meine tägliche Arbeit nötig und so wenig wie für den Fortbestand meiner seelischen Stabilität möglich anzuschauen. Lesen und hören gehen besser. Vielleicht ist der Unterschied zu „damals“, dass die Masse der Bilder in den sozialen Medien zugenommen hat. Dort filtert ja kaum jemand. Ich will das nicht bewerten, und ehrlich gesagt würde ich das auch alles gern sehen können, denn Krieg ist ja fürchterlich, und selbst in Anbetracht der grausamsten Bilder bleibt ja dies: Ich sehe sie auf meinem Berliner Sofa sitzend. Nur stimmt es andersherum eben auch: So nah gehen mir die Bilder, dass ich ihre schiere Menge filtern muss. Von meinem Berliner Sofa aus. Aus der Komfortzone.

Tja. Als Selenskij heute Morgen fertig geredet hatte, applaudierten die Bundestagsabgeordneten ihm. Man stand auf, man zollte ihm Respekt – vordergründig zumindest. Denn das konterkarierte man das, denn dann sofort im Anschluss – ging der Bundestag zur Tagesordnung über. Beziehungsweise: Er stritt erst mal darüber, ob es richtig oder falsch ist, dies zu tun. Man griff einander in der Komfortzone des Parlaments verbal scharf an. Im Bemühen um den richtigen Umgang mit denen, die mit Raketen angegriffen werden. Vielleicht ist es zu nah. Vielleicht musste man es filtern. Das wäre die erträglichste Erklärung für das, was meine Kollegin Andrea Maurer heute in einem in seiner Lakonie genial-fürchterlichen Tweet so zusammenfasste:

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Need she say more?